Kaisermühlener AphrodisiakaArtistin

Ein Stück Boulevard im transdanubischen «Werkl»

Das «Werkl» im Goethehof verschreibt sich 2017 der hundertsten Wiederkehr der Oktoberrevolution. Vorher bietet es eine Premiere der boulevardesken Art. «Aphrodisiaka» von Achim Lenz, unter der Regie von Irene Lang und Mirza Prince. Ein Rollenspiel mit Spielrollen. Karl Weidinger (Text und Foto) besuchte die Proben.Der Fototermin ergab sich bei der Rolltreppe in der U-Bahn-Station Kaisermühlen, Vienna International Center, gegenüber der UNO-City. Hier hat das natürliche Licht gepasst, reiner Zufall. Aber so spielt das Leben. Das Leben ist wie eine Rolltreppe. Es geht immer dem Ende entgegen. Kaum Zeit für eine gelungene Inszenierung. Es geht zu schnell. Und immer nur in eine Richtung. Kein Platz für Kehrtwendungen, null Korrekturen, schon gar nicht rückwärts. Steh still und sei – und fahre.

Aber alles von Anfang an. Der Goethehof liegt an der Adresse Schüttaustraße 1–39. Ein Gemeindebau mit 650 Wohneinheiten. 1930 wurde der Bau besiedelt und schon im Februar 1934 heftig umkämpft. Der Hof geriet stark unter Beschuss, auch aus der Luft. Hier befand sich eine der letzten Bastionen des Schutzbunds, eine Hochburg der Sozialdemokratie.

Die Rückseite des Hofes ist zur Alten Donau hin offen zum beliebten «Kaiserwasser». Weit über die Grätzlgrenzen bekannt wurde der Ort durch Ernst Hinterbergers «Kaisermühlen Blues». Auch so etwas wie eine immer laufende Rolltreppe der Erinnerung.

Josef Iraschko wartet schon. Er ist Bezirksrat für «Wien Anders» und werkt als Berater und Mietrechtsexperte. Im Goethehof hat er ein weites Betätigungsfeld. Das Selbsthilfe-Zentrum für Mieter_innen (MSZ) besteht auf Initiative der KPÖ-Wien hier seit etwa 20 Jahren. Das «Werkl» im Goethehof gibt es seit Herbst 2012. Es stemmt sich der Verwertungslogik im Kulturbetrieb entgegen. Steht für «wahre Kultur» und keinesfalls für die «Ware Kultur».

Das nächste Stück ist «Aphrodisiaka». Das Regieduo Irene Lang und Mirza Prince versucht den Gemeindebau fürs Theater zu öffnen. Ein Rollenspiel mit Spielrollen. Beim Probengespräch ist das halbe Ensemble anwesend: Katharina Mölk und Horst Dinges (neben Fabienne Simone und Manuel Prammer). Der Text spielt die wichtigste Rolle. Horst Dinges ist ein erfahrener Mime, hat zufällig Geburtstag am Tag des Probenbesuchs. Ihm wird ein Ständchen gebracht. Doch vorher noch zum Zweck des Besuchs: Das Publikum soll aus dem Gemeindebau ins Theaterwerkl kommen, dafür ist es ja da.

 

Alles auf Gassenniveau

Die eine Hälfte des Regieduos, Irene Lang, kommt von der musikalischen Seite. Ihr liegen die richtigen Töne. Sie hat bisher immer etwas mit Gesang gemacht. Nun ist die reine Sprache dran, aber auch Gossenslang, wie er im Buche steht. Mirza Prince lernte das Regiehandwerk unter dem im Vorjahr verstorbenen Altmeister Dieter Haspel. Seine Herangehensweise ist eine pragmatische. Das Stück befindet sich wie der Eingang zum «Werkl» auf Gassenniveau. Ein engagiertes Callgirl (das muss so etwas wie ein Mannequin sein) vervollständigt das klischeehafte Sittengemälde. Katharina Mölk gibt die Naive, eine dralle Blondine. Sie hat von der freien Rolle im Internet erfahren. Ein entlarvendes Gesellschaftsspiel über Sex und Obsession. Fehlt nur noch die gemeinsame Orgie, samt Partnertausch. Eine verklemmte Psychostudie über Lust und Laster im Gewand einer harmlosen Boulevardkomödie. Nun denn, soll sein. Und die Rolltreppe nicht zu vergessen. Das Leben ist so! Oder es tut nur so.

«Kulturelle Freiräume», sagt Josef Iraschko, und der ist auch schon 74 Jahre alt und einer der wenigen kommunistischen Bezirksräte. Das gehört auch noch gesagt: Das «Werkl» ist rassismusfreie und konsumzwangfreie Zone. Es steht für basissolidarische Zusammenarbeit bei feministischer Grundhaltung. Die Rolltreppe schunkert, aber sie fährt weiter. «Aus Herrschaftsverhältnissen befreiend» soll ein breites Spektrum an Kulturschaffenden, Randgruppen, Minderheiten und Menschen, die selbst kreativ tätig werden wollen, erreicht werden. Gut. Funktioniert. Kommt an. Das Ziel ist in Reichweite. Bald ist alles gesagt. Einem breitgefächerten Publikum, Menschen mit geringem Einkommen, soll durch Wegfall von Konsumverpflichtung die Teilnahme am kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben ermöglicht werden – so weit die Theorie, so weit die Fahrt auf der Rolltreppe.

www.werkl.org

«Aphrodisiaka» mit Katharina Mölk, Fabienne Simone, Manuel Prammer, Horst Dinges

Buch: Achim Lenz, unter der Regie von Irene Lang und Mirza Prince.

Termine: 5., 10., 11. und 12. November (Kulturpass willkommen).

Radio Augustin bringt das ausführliche Probengespräch am

7. 11. von 15 bis 16 Uhr.