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Unterhaltsgarantie für Alleinerziehende

Fast jede zweite Ein-Eltern-Familie in Österreich ist armutsgefährdet.  Das liegt oftmals auch daran, dass der getrennt lebende Elternteil keine Alimente bezahlt. Alleinerziehende fordern seit Langem eine Unterhaltsgarantie und richten dazu nun einen Offenen Brief an die neue Regierung – aber die hat andere Pläne, berichtet Julia Grillmayr. Illustration: Nanna Prieler.

Wohnung heizen, Miete bezahlen, Winterstiefel kaufen, die Kinder auf Schullandwochen mitfahren lassen. «Wir reden wirklich vom untersten Limit», sagte eine Vertreterin der Alleinerziehenden, als sie, gemeinsam mit Mitstreiter_innen, am Mittwoch, dem 13. Dezember der Österreichischen Volkspartei einen Offenen Brief überreicht. Darin wird auf die anhaltend schwierige Situation von Ein-Eltern-Familien aufmerksam gemacht und eine Reform des Unterhaltsgesetzes gefordert.

Alleinerziehende haben in Österreich einen gesetzlichen Anspruch darauf, für jedes Kind Unterhaltszahlungen vom getrennt lebenden Elternteil zu bekommen. Zahlt der nicht, gibt der Staat einen Unterhaltsvorschuss und fordert das Geld dann von der unterhaltspflichtigen Person zurück. Das sollte eigentlich vermeiden, dass die monatlichen Alimente ausfallen oder sich verzögern. Denn diese werden meist dringend gebraucht.

Keine Einzelfälle.

Im Jahr 2016 wurden von der Statistik Austria knapp 180.000 Ein-Eltern-Haushalte mit zu erhaltenden Kindern unter 25 Jahre verzeichnet. In 90 Prozent der Fälle handelt es sich um Mütter. Diese Zahlen zeigen auch: 40 Prozent dieser Familien sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Das wird dadurch verschärft, dass der getrennt lebende Elternteil, trotz Unterhaltspflicht, oftmals keine oder zu wenig Alimente für Kinder zahlt.

«Er kann aus heiterem Himmel ohne Angabe von Gründen den Unterhalt auf eine beliebige Summe herabsetzen lassen. Bis die Gerichte seinen Antrag überprüft haben, können ein bis zwei Jahre vergehen», sagt Teresa Arrieta, die den Offenen Brief mitverfasst hat. «Ich habe fünf Jahre lang für meine beiden Buben weder Alimente noch Unterhaltsvorschuss erhalten, weil der Vater ins Ausland ging», schildert sie ihren eigenen Fall. Denn wenn die Alimente als uneinbringlich gelten (etwa auch aus finanziellen Gründen), könne der staatliche Vorschuss, den es derzeit gibt, verweigert werden.

Solche Situationen sind keine Einzelfälle. Eine Umfrage der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) aus dem Jahr 2012 ergab, dass 18 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden keinen Unterhalt bekommen. Mehr als die Hälfte bekommt weniger, als ihnen gesetzlich zusteht. Was die Alleinerziehenden daher seit über zehn Jahren fordern, ist eine Unterhaltsgarantie. Das würde bedeuten, dass der Staat einspringt, wenn der oder die Unterhaltspflichtige nicht oder zu wenig bezahlt. Diese Garantie soll an die Familienbeihilfe geknüpft sein und vom Bund ausgezahlt werden.

Die Höhe der Sicherung soll sich am sogenannten Regelbedarf eines Kindes richten, also der berechneten Summe, was es kostet, ein Kind in Österreich zu erhalten. Hier setzt die zweite Forderung an, die im Offenen Brief formuliert ist: Der derzeitig gültige Regelbedarf basiere auf einer Berechnung aus dem Jahr 1964 und entspreche somit nicht den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Unterzeichner_innen fordern daher eine «Kinderkostenstudie», auf deren Basis die Regelsätze neu berechnet werden sollen.

Lücken.

Die Forderung einer Unterhaltsgarantie scheint so grundlegend, dass man tatsächlich überrascht sein kann, dass in Österreich solche sozialpolitischen Lücken klaffen. «Wenn man zu erzählen beginnt, erkennt man, dass nur wenige über diese Situation Bescheid wissen», sagt Julia Stadlbauer, ebenfalls Alleinerzieherin und an der Initiative beteiligt.

Die politischen Entscheidungsträger_innen dürften die Forderungen aber kaum überraschen. Nicht nur weisen die Betroffenen auf diesen Missstand seit Langem hin, eine Reform des Unterhaltsgesetzes steht bereits seit 2008 im Regierungsprogramm. Noch Ende September diesen Jahres sah es auch ganz so aus, als gäbe es einen breiten politischen Konsens in der Frage der Unterhaltsgarantie: Bei der Puls4-Elefantenrunde wurden die Spitzenkandidat_innen von ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen, Neos und Liste Pilz gefragt, ob sie diese Gesetzesreform befürworten würden. Sechs JA-Taferl wurden in die TV-Kameras gehalten. Später wurden entsprechende Parlamentsanträge, die Liste Pilz und SPÖ einbrachten, von ÖVP und FPÖ jedoch abgelehnt.

Familienpolitik für alle?

Am gleichen Mittwoch im Dezember, während das Gespräch mit den Alleinerzieher_innen in der ÖVP-Zentrale ruhig und sachlich verläuft, wird unweit und ein paar Stunden zuvor heftig über die Unterhaltsgarantie gestritten. In der zweiten Sitzung des neu konstituierten Nationalrats pochen SPÖ und Liste Pilz erneut darauf, die Unterhaltsgarantie zu beschließen und eine Kinderkostenanalyse durchzuführen. Doch ÖVP und FPÖ sind dagegen. Die Finanzierung des Modells sei unklar, und es sei nicht sichergestellt, dass das Geld nicht ins Ausland fließe. In dem vorliegenden Antrag ist die Unterhaltsgarantie allerdings dezidiert an einen gemeinsamen Wohnsitz von Kind und Elternteil in Österreich geknüpft. Mal direkt, mal indirekt hieß es von Seiten der ÖVP zudem wiederholt, man wolle Familien mit zwei Elternteilen gegenüber Alleinerzieher_innen nicht benachteiligen.

«Das sind fadenscheinige Begründungen. Das hat damit zu tun, dass der ÖVP Alleinerziehende kein politisches Anliegen sind», sagt Teresa Arrieta und weist auf den von der neuen Regierung geplanten «Familienbonus» hin, der es erlauben soll, einen Steuerbonus von bis zu 1500 Euro pro Jahr pro Kind zu erhalten. «Das betrifft nicht die, die es am allernotwendigsten haben», sagt Arrieta.

Was an dieser hochgradig armutsgefährdeten Gruppe besonders deutlich wird, betrifft die Familienpolitik insgesamt. Die Alleinerzieher_innen befürchten drastische Kürzungen des Familienlastenausgleichfonds. Außerdem kündige sich ein «konservativer Backlash» an, was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft, sagt Arrieta: «Die ersten Maßnahmen der neuen Koalition lassen erahnen, dass es in Richtung ’Frau zurück an den Herd’ geht anstatt einer weiteren Stärkung der Frauenrechte. Beispiel: Oberösterreich, wo der Nachmittag im Kindergarten wieder kostenpflichtig wurde.»

Alltagsheld_innen.

Der Offene Brief spricht klar die schlechten Bedingungen an, in denen Ein-Eltern-Familien oft leben müssen. Gleichzeitig wollen sich die Alleinerzieher_innen keineswegs in einer passiven Opferrolle verstanden wissen. «Das sind Löwenmamas. Heldinnen des Alltags», sagt Arrieta. «Ich bin immer darum bemüht zu zeigen, dass Menschen, die Kinder alleine erziehen, Hochleistungsträger_innen sind, die Verantwortung für zwei Personen übernehmen, für zwei Arbeiten und rund um die Uhr im Einsatz sind.» Genau aus diesem Grund sei es für Alleinerziehende auch besonders schwer, sich zu organisieren, hebt Julia Stadlbauer hervor: «Dass sie es nun tun, ist eine große Leistung, die sehr viel Kraft verlangt.»

Angesichts des erstarkenden Konservatismus, seien gerade die Alleinerziehenden «an der Speerspitze der Gegenbewegung», betont Teresa Arrieta. Diese Menschen – zum Großteil Frauen – erregten nicht zuletzt darum Anstoß, weil sie ein sehr selbstbestimmtes Lebensmodell verfolgen würden: «Das sind unangepasste, unabhängige Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, obwohl die gesellschaftlichen Bedingungen sie alles andere als unterstützen.»