KlonenDichter Innenteil

General W. herrschte mit eiserner Hand über sein Land, nachdem er 20 Jahre zuvor seinen Vorgänger gestürzt und hingerichtet hatte. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, ein Genie als Staatsmann und als Soldat.

Grafik: Karl Berger

Ein Jammer für die Menschheit, dass es ihn in seinem Land, vielleicht auf der ganzen Welt, nur in einem einzigen Exemplar gab. Niemand erreichte sein Niveau, nicht einmal einer seiner 34 Söhne. Wie könnte es – im Interesse der Menschheit – mehr solche Menschen wie ihn geben? Nächtelang zermarterte er sich sein Gehirn.

Dann hörte er von einer einzigartigen Erfindung: Klonen! Er hatte genug Geld, um die besten Wissenschaftler der Welt für sich arbeiten zu lassen. Er befahl, diese Entdeckung zuerst an den stärksten, schnellsten und fruchtbarsten Tieren zu erproben. Nach den Tieren sollten sie sich den Menschen zuwenden. Er bestellte die Klone der besten Sportler des Landes und der ihm ergebenen Soldaten – und diese millionenfach. Bald hatte er eine schlagkräftige Riesenarmee, die ihr Leben jederzeit für ihn hinzugeben bereit war. Nach dem Klonen seiner treuesten Minister widmeten sich die Wissenschaftler schließlich der großen Aufgabe, ihn, den General selbst, zu klonen.

Nach einigen Wochen war der erste Klon fertig. Äußerlich sah er General W. zum Verwechseln ähnlich, doch sein Charisma und seine Intelligenz fehlten ihm. Der Klon war einfach nur brutal und abstoßend. General W. war empört und ließ den verantwortlichen Wissenschaftler wegen Landesverrats sofort hinrichten. Dann wurden weitere Versuche unternommen, schließlich gelang es einige ihm perfekt ähnliche Personen zu schaffen. Natürlich sollten die Klone nicht alle Eigenschaften des Generals W. haben – sonst wären sie für ihn gefährlich geworden.

Einige Klone waren genauso klug wie er, aber ohne seine Ausstrahlung. Andere Klone waren zwar charmant, aber nicht so schlau wie er. Die Klone wurden zuerst bei attentatsgefährdeten Veranstaltungen eingesetzt. Da General W. viele Feinde hatte und er nie ruhig schlafen oder sich bei einem Fest entspannen konnte, war der Einsatz vieler Klone notwendig. Zahlreiche von ihnen fielen Attentaten zum Opfer, denn trotz aller Kontrolle gelang es dem General nie alle seine Feinde zu vernichten. Bald wurden seine Klone tausendfach reproduziert und überall im öffentlichen Leben eingesetzt. Die einfachen Menschen wussten nichts vom Klonen und glaubten an die Übermacht des Generals, der die Gabe besaß, immer und überall vorhanden zu sein, alles zu kontrollieren und zu überwachen. Das Volk hielt ihn für einen unverwundbaren Übermenschen.

Man wusste nicht, wer das Original war

Er setzte einige seiner Klone auch privat ein. Der Klon mit der größten sexuellen Ausstrahlung ersetzte ihn im Bett seiner Frau, die wegen seiner häufigen Abwesenheit stark frustriert war. Sie merkte den Unterschied nie und blühte auf. General W. konnte sich in diesen Nächten mit anderen attraktiven Frauen amüsieren.

Mit der Zeit wurden die vielen Tausend Klone dem General doch zu viel. Er befahl, die meisten von ihnen zu vernichten und ließ nur mehr einige Dutzend am Leben, um wichtige Repräsentationsaufgaben zu erfüllen.

Der General musste seiner gelangweilten Riesenarmee eine echte Aufgabe geben. So griff er die Nachbarländer an. Doch sie schlossen sich gegen ihn zusammen. Trotz seiner heldenmütigen Soldaten wurde er besiegt. Die Sieger besetzten das Land. General W. wurde mit all seinen Klonen zusammen gefangen genommen. Man plante, ihn vor Gericht zu stellen, doch man wusste nicht, welcher von den Verhafteten das Original war. Jeder behauptete, ein Klon zu sein und an den Verbrechen, die man dem echten General W. zur Last gelegt hatte, unschuldig zu sein. Als Klon wäre er fremdbestimmt gewesen und hätte aus reinem Zwang gehandelt.

Da der echte General in der Schar der Klone nicht zu finden war, wurden alle freigesprochen und des Landes verwiesen. Sie verteilten sich über die ganze Welt. Typen, die charismatisch, klug und grausam waren und geeignet, Leute zu manipulieren, tauchten in allen Ländern auf.

Klonen von Menschen wurde danach weltweit verboten.