Sterbefonds und TrauerzeremonienDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (99)

In letzter Zeit sterben sehr viele Menschen aus der Heimat Hüseyins, die er kennt. Ihm ist es noch nicht bewusst, dass er langsam in die Jahre kommt, wo sich der Tod mit seinem Säbel auch in der Nähe von ihm herumtreibt.

Grafik: Carla Müller

Normalerweise werden diese Toten in die Türkei überführt. Viele der Menschen aus der Türkei sind Mitglieder von Sterbefonds. In Österreich gibt sie seit über 40 Jahren. Bis 55 Jahren zahlt man keine Anmeldegebühren und jährlich 10 Euro Jahresmitgliedsbeitrag. Im Todesfall wird die Leiche an die angegebene Adresse überführt. Amtswege, Totengebet, religiöse Bräuche und Überführung werden von dem Sterbefonds übernommen. Sogar eine Begleitperson, die den Toten bei der Reise begleitet, wird finanziert. Anschließend werden entweder in einer Moschee oder in einem Cemhaus (bei den Aleviten) Trauerbesuche empfangen. Bei diesen Empfängen gibt es auch etwas zum Trinken (nichts Alkoholisches) und Essen. Hüseyin nimmt an solchen Empfängen nicht teil. Es kommt ihm komisch vor, jemandem sein Beileid zum Ausdruck zu bringen und dann zu essen. Hüseyin und sein Vater sind keine Mitglieder bei so einem Fonds.

Vor Kurzem war Hüseyin bei einem Begräbnis am Zentralfriedhof. Ein Kurde, der so alt war wie Hüseyins Vater, ist verstorben. Aus der ersten Generation der Migrant_innen. Der ist genau so wie Hüseyins Vater in den Sechzigern nach Österreich gekommen. Aus der gleichen Gegend wie der Hüseyin ist der Verstorbene. Im Gegensatz zu Hüseyins Vater hatte er all seine Kinder nach Österreich gebracht. Einer der Gründe, warum man ihn nicht nach dem türkischen Teil von Kurdistan überführt hat, ist seine Frau. Die wurde auch am Zentralfriedhof begraben. Seine Kinder hätten ihn gerne in die alte Heimat überführt, aber keines der Kinder darf aus politischen Gründen in die Türkei fahren. Dem Hüseyin kam diese Zeremonie an diesem kalten Tag am Zentralfriedhof ziemlich kühl vor. Hüseyin nahm an vielen Begräbnissen in seiner alten Heimat teil. Meist wurden irgendwelche Klagelieder über den Verstorbenen zum Besten gegeben. Es gab Klagefrauen (Sängerinnen), die über den Toten sangen. Diese Sängerinnen haben eine traurige der Situation entsprechende Stimmung hinterlassen. Diese Momente blieben im Gedächtnis. Es kamen Menschen aus den Nachbardörfern und aus den Städten.

Hüseyin wusste nicht, dass es am Zentralfriedhof auch einen Teil gibt, in dem nur Aleviten begraben werden. An diesem eisigen Februartag kamen um die tausend Leute zu diesem Begräbnis. Innerhalb von einem Tag waren so viele Menschen informiert. Hüseyin konnte sich gar nicht vorstellen, dass das möglich ist. Es gibt unter den Migrant_innen, Menschen, die bei jedem Trauerereignis dabei sind. Er kennt sogar einen, der sogar ein- bis zweimal im Monat von einem Tag auf den anderen zu Begräbnissen in die Türkei fährt. Dieser Mann hält sehr viel von der Anteilnahme in solchen Situationen. Solche Flüge in die Türkei sind sehr teuer. Er meint, manche fahren auf Urlaub und geben Geld für diverse unnötige Sachen aus, er macht das für sein gutes Gewissen.

Hier auf diesem Zentralfriedhof war vieles steril. Ob Herr Hüseyin auch in Österreich begraben werden wird, weiß er noch nicht. Aber die Zeit dafür ist noch nicht reif.

Einen schönen Frühlingsbeginn wünscht Herr Hüseyin.