30 Jahre aktionstheater ensemble
Die freie Theatergruppe aktionstheater ensemble ist für seine radikalen Bearbeitungen des Jetzt bekannt. 2019 feiert es sein 30-Jahre-Jubiläum und präsentiert dafür jetzt schon eine Schau aus vier Stücken der letzten Jahre. Text: Veronika Krenn
«Es beginnt mit dem Loslassen», konstatiert Martin Gruber, der Regisseur hinter dem legendären aktionstheater ensemble, das mit seinen politischen Stücken auch nach 30 Jahren noch Furore macht: «Das heißt zu Probenbeginn nicht gleich zu wissen, was man will.» Dass dabei Energie freigesetzt wird, die hochmusikalisches Performance-Theater, mit erfrischend aktuellen Stückentwicklungen auf Basis von Interviews, zutage fördert, ist der erfreuliche Effekt. Theater, das keine Scheu hat, die Absonderlichkeiten unserer Gegenwart exemplarisch zu sezieren. Das alles mit einem höchst virtuosen Ensemble, das mit der Fähigkeit zur schonungslosen Selbstbeschau begnadet ist.
Sein 30-jähriges Jubiläum feiert das aktionstheater ensemble mit Vier Stücke gegen die Einsamkeit, einer Schau, die sich den Entsolidarisierungstendenzen unserer Zeit widmet. Vier erfolgreiche Produktionen der letzten Jahre wurden dafür neu bearbeitet, je zwei werden an einem Abend aufgeführt: Bei Die wunderbare Zerstörung des Mannes geht es um Machismus und patriarchale Strukturen, bei Ich glaube um Glaube als Machtinstrument. Immersion. Wir verschwinden dreht sich um eine narzisstische Neid-Gesellschaft, und Swing: Dance to the Right schließlich holte sich im Jahr 2017 Inspirationen bei einer politischen Slim-Fit-«Bewegung», die Rechtsdrehungen spezialisiert und die Spaltung der Gesellschaft eifrig befeuert. Mit dabei: Schauspieler Nicolaas van Diepen, der für seinen «smarten, perfekt frisierten, schönen und aalglatten Vortänzer der Nation» heuer für den Nachwuchs-Nestroypreis nominiert wurde. Im Swing-Stück spielt Regisseur Martin Gruber mit «Worthülsen», wie sie in der Politik gerade en vogue sind. Die große Herausforderung sei »eine Stunde lang nichts zu sagen, wenn man spricht».
Unter dem offensichtlichen politischen Kontext dieser vier Stücke, so Martin Gruber, ist Einsamkeit die große Klammer. Dabei geht er von der These aus, dass die steigende Entsolidarisierung vor niemandem haltmachen kann und so zu einer Einsamkeit des Einzelnen führt. Das, obwohl man wisse, dass der Mensch nur durch Solidarität überleben konnte, denn der Löwe sei stärker, sagt er.
Zeitloses Jetzt.
Martin Gruber gründete 1989 das aktionstheater ensemble, mit dem er bis heute über 60 Produktionen realisierte. Nach einem Schauspielstudium habe er bei seinen ersten Regien auch noch selbst gespielt, erzählt er, was ihm aber wahnsinnig eitel vorgekommen sei. Seine Entscheidung sei klar für Regie gefallen, weil das künstlerisch eine andere Herausforderung sei. Seit zehn Jahren entwickelt Gruber seine Stücke aus Interview-Texten, die er zu schrägen Performances verwurstet, die eine charmante künstlerisch-gestylte Authentizität verströmen. Davor arbeitete er mit klassischen und zeitgenössischen Stücken «von Sophokles bis Heiner Müller», wie er sagt. An den Klassikern habe ihn die absolute Reduktion auf den Urkonflikt interessiert, erzählt er, «ohne Schnickschnack des Modischen». Wenn man sich wirklich mit dem Jetzt auseinandersetze, sei es paradoxerweise dann auch zeitlos. Als Schauspieler, der auch Performances gemacht habe, gab es für ihn irgendwann den Punkt, an dem er das Direkte, das Unmittelbare der Performance in Theaterproduktionen transferieren wollte: «Diese Form, einerseits mit Material zu arbeiten, das immer direkt auf Aktuelles reagiert, und das dann zu verdichten, gelingt immer besser nach diesen Jahren. Ich glaub, es war Tabori, der gesagt hat, im Alter wird man immer radikaler – oder spießig. Ich hoffe, es ist das erste.»
Durch die unglaublichen Materialmengen, die sich mit Interviews ansammeln und aus denen er seine Stückentwicklungen generiere, sagt Gruber, kriege man einen Blick dafür, was «selbstreflexiver Schas ist und was vielleicht das Publikum auch interessiert». Wichtig sei, dass man im Theater nicht mit Arroganz arbeite – «Wir sagen euch, was richtig und falsch ist.» Das würde bloß das Publikum dazu zwingen wollen, geläutert dann unten zu sitzen. In Kein Stück über Syrien erzählt etwa Michaela Bilgeri davon, dass sie am Westbahnhof gestrandete Flüchtlinge bei sich aufgenommen habe. Bei den Proben fragte sie erstaunt, ob sie denn über ihre eigene Gütigkeit reden solle, erzählt Gruber. Seine Antwort: «Ja genau, und das wird ziemlich schlimm …» Sie habe verstanden, was gemeint sei. «Mit Selbstironie schaffst du Distanz, das ist es, was mich interessiert.» Bei seinen Texten interessiere ihn, was dieser evozieren und auslösen könne und keinesfalls «intellektuelle Onanie», wie er es ausdrückt. Grundlage für Dialoge sei immer Empathie, und ein gut gesprochener Text sei immer dann gut, wenn er eine Reaktion auf etwas sei. Es gehe immer um den Moment, das sei die große Herausforderung, um das, was jetzt passiere.
Für jede Stückentwicklung sucht sich der 1967 in Bregenz geborene Martin Gruber ein Ensemble, das in seiner Heterogenität das Thema am besten fassen kann. «Es muss eine gewisse Heterogenität und Vielfalt da sein», sagt der Regisseur. Seine Schauspieler und Schauspielerinnen, dessen darf man sich bei Vier Stücke gegen die Einsamkeit überzeugen, bestechen mit gnadenloser Selbstbeschau, die von einem großen Humor im Umgang mit den eigenen Schwächen begleitet ist. Etwas, das vielleicht abfärben mag, wenn man seinen eigenen Schweinehund im Antlitz des Anderen schmunzelnd erkennt.
Vier Stücke gegen die Einsamkeit
15. bis 18. November, 19.30 Uhr
Werk X, 12., Oswaldgasse 35A
Karten: 10 bis 20 Euro
www.werk-x.at, www.aktionstheater.at
Unter allen, die bis 13. November das Kennwort «AUGUSTIN» an karten@aktionstheater.at mailen, werden 2×2 Gratis-Karten für die Vorstellung am 17. November verlost. Die Gewinner_innen werden schriftlich verständigt.