Laut lesen!Allgemein

Musikarbeiter unterwegs … Ottakring, Umviertel, Fun Island, Black Box

«Musik und andere Geräusche» ist das erste Buch von Franz Reisecker. Der aus Oberösterreich stammenden Musiker liefert eine verknappte, substanzielle Nicht-Autobiografie.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

«Hilde sah Liz Taylor ein wenig ähnlich.» Ein erster Satz, der einen reinzieht in das Buch wie ein prägnanter, überlegt gesetzter Akkord in einen Song – das Hauptinstrument des 1963 geborenen, seit 1987 in Wien lebenden Franz Reisecker ist die Gitarre. Umso mehr, als die so Verglichene wenig später gedanklich anmerkt: «Von Richard Burton bist du leider weit entfernt.» Hilde und Walter werden trotzdem ein Paar, noch auf der ersten Seite wird Walter Gump geboren. Die Hauptfigur dieser nah aus dem Leben ihres Autors paraphrasierten Entwicklungs­geschichte. Dass der Sohn den Namen des Vaters bekommt, ist so üblich, dort zwischen «Bezirkshauptstadt und Kaff», an diesen Schauplätzen des ersten Lebensabschnitts unseres (Anti-)Helden. Das Erzähltempo bleibt bis zum Ende – so viel sei verraten, abermals ist von einer Geburt zu lesen – dichte 142 Seiten später verschärft. Kein Wunder also, dass schon am Beginn von Seite 2 der Vater Elvis zitiert und so auf die Musik hinweist, die eine große Rolle im Leben seines Sohnes spielen wird.

Musik und …

Wie im Leben von Franz Reisecker. Der viele Jahre tatsächlich von seiner Kunst, seiner Musik lebte, Zeitgenosse vieler (semi-)prominenter Figuren der heimischen, vor allem Wiener Szene, die auf den Seiten auszumachen sind. Dabei zieht die Geschichte überhaupt nicht aus dem «Wer ist jetzt wer, was ist was?» ihren vorrangigen Reiz, im Gegenteil. Das Buch ist so gut gebaut, dass es ohne solche «Vorkenntnisse» gewiss mindestens so spannend, und, ja, berührend zu lesen ist. Insbesondere gelingt Reisecker etwas, das einem so zuletzt wiederholt in französischen Romanen begegnete, das unprätentiöse Reflektieren des politischen und gesellschaftlichen Geschehens als selbstverständlichem und individuell wahrgenommenem Bestandteil dieser erzählten, «zusammengesetzten» und der Wirklichkeit «frei nacherfundenen» Geschichte. Das hat, wie die Diskografie von Franz Reisecker, Klasse und Gehalt. Eine Diskografie, die von den Occidental Blue Harmony Lovers über Mastalsky und Orchester 33 1/3 bis zu Trio Exklusiv reicht. Lichtenberg, Lichtenberg Band und Paradies der Tiere nicht zu vergessen. Letzteres ein dringend zu entdeckendes Album mit Wolfgang Schlögl aus dem Jahr 2012, das den Texter und Sänger Reisecker nachhaltig wirken lässt. Musik wird weiterhin gemacht, sporadisch huldigen etwa der Autor und Franz mit drei weiteren Klanggenossen The Clash, das heißt dann The Clashinistas. Da grinse ich oft wie ein Hutschpferd, weil es so leiwand ist, wie und was Franz spielt.

… andere Geräusche

Von der Musik, dem «Heilmittel» und ihrer Kraft hat das Buch viel zu erzählen, von Sun Ra ebenso wie von den Studschis – oder Stougs (gemeint sind The Stooges). Oder von Panikattacken, Familienverhältnissen mit geprügelten Kindern und schwierigen Arbeitsplätzen, der Sehnsucht nach Sex, Nähe und Liebes-Beziehung. Reisecker macht seine Figur Walter ganz schön weit auf, bis zu schweren suizidalen Sinnkrisen und Therapie. Köstlich und tief blicken lassend: «Der Gesprächs­fokus der immer noch regelmäßig stattfindenden Sitzungen mit Dr. Lauf verlagerte sich mehr und mehr weg von der Familie in Richtung Bandkollegen.» Der Weg zum Buch begann über ein Aufschreiben der eigenen Familiengeschichte für den Sohn, entwickelte dann Eigendynamik, über das Sprachefinden und Experimentieren bis zum Das-Vorhandene-andere-lesen-Lassen und Verschicken. Bis sich Verleger Wolfgang Pollanz nach anfänglichem Zögern mit Franz Reisecker da­ran machte, den jetzt vorliegenden Text konsequent für die Veröffentlichung in seiner Reihe Pop! Goes The Pumpkin zu formen. Das hieß für den werdenden Neo-Autor den Verzicht auf liebgewonnene Passagen, besticht dafür mit großer sprachlicher Klarheit und Präzision. Ein Buch, das weit über «Autobiografie mit Sound» oder «those were the days» hinausgeht. So gelassen wie Franz im Ottakringer Café Ritter die Entstehungsgeschichte nacherzählt, so gelassen sieht er dem entgegen, was mit dem Buch nun passiert oder nicht. Als die zu öffnende, vermeintlich unspektakuläre Perle zeitgenössischer Literatur, die es ist, hoffentlich einiges.

Franz Reisecker: Musik
und andere Geräusche
Edition Kürbis
Präsentation (mit Franz ­Adrian Wenzl):
24. 2., 20 Uhr
Erd­geschoss
7., Schottenfeldgasse 95
http://reisecker.at
www.kuerbis.at