Lichtklingel und Schwarzschrifttun & lassen

Versammelte Expertise im metalab: Franz Steinbrecher, Johannes Střelka-Petz, Denis Sari und Oliver Suchanek (Foto: © Carolina Frank)

 

Im Wiener Hackspace metalab beseitigen gehörlose und blinde Tüftler:innen Barrieren. Ihre Projekte haben eines gemeinsam: Sie verbinden nachhaltige Technologieentwicklung mit sozialer Inklusion.

 

Eigentlich ist es ein epochales ­Ereignis: Seit März gibt es eine frei zugängliche ­Suchmaske im Internet, mit der man sechs Datenbanken gleichzeitig durchforsten kann. Das unter https://suche.machs-auf.at abrufbare Gebärden-­Archiv ist eine Meta-Suchmaschine, die ­Begriffe ­einer weit verbreiteten Sprache an ­einem Ort zentriert. Die österreichische ­Gebärdensprache (ÖGS) hat rund 12.000 Sprecher:innen. Sie verfügt über eine ­eigene Syntax und Grammatik; regionale Dialekte und ­individuelle Abwandlungen können jedoch so verschieden sein, dass es mehr als einer Übersetzung bedarf. Ein Vergleich im Archiv zeigt: Während die meisten ÖGS-Sprecher:innen eine ähnliche ­Gebärde für «­Katze» ­verwenden – ­Schnurrhaare zu beiden Seiten des ­Gesichts – gebärdet ein Sprecher aus der Steiermark die Schnurrhaare nur auf ­einer Seite. Auch Vorarlberger Stubentiger zeigen sich ­anders: Der ÖGS-Sprecher fährt mit vier abgewinkelten Fingern seiner linken Hand über den Rücken der rechten.

Auf Augenhöhe

Derzeit beherbergt das Gebärden-Archiv mehr als sechzigtausend Videos, die Einbindung weiterer Online-Ressourcen ist geplant. Zu finden sind neben Eigennamen und alltagstauglichem Vokabular auch Gebärdenlisten mit Bezeichnungen für das gesamte Spektrum geschlechtermäßiger ­Vielfalt. ­Oliver Suchanek, Mitinitiator des ­Archivs, hat sie dem Korpus an Bestehendem hinzugefügt, search: «queer». Der gehörlose Netzwerktechniker mag Dragqueens, seine Fotos gleichen einer visuellen Ode an sie; er ist Vorstandsmitglied im Verein metalab und will den Space für Menschen mit sicht- oder unsichtbaren Behinderungen ebenso öffnen wie für solche ­abseits ­binärer ­Hetero-Matrizen. Im ­Rahmen von Mach’s auf! hat er ­gemeinsam mit dem ­gehörlosen Päda­gogen Franz ­Steinbrecher seine ­Expertise weitergegeben. Mach’s auf! ist ein ­Projekt, das sich damit ­beschäftigt, wie ­Technik ­gestaltet sein kann, damit sie von ­gehörlosen und hörbehinderten ­Menschen ­besser ­genutzt ­werden kann. Während Franz und Oliver ihre ­Anwendungen auf Herz und ­Nieren prüften, eigneten sich die ­beteiligten Techniker:innen Pepi Zawodsky und ­Michael Lutonsky ­erste ÖGS-Kenntnisse an. Zum ­Gebärden-Archiv gäbe es auch eine auf der Programmiersprache Python basierende App, meint Systemadministrator Pepi, die technischen Details seien diesmal aber nicht so wichtig. Für ihn stelle Mach’s auf! vielmehr unter Beweis, dass ­gehörlose und ­hörende Menschen auf Augenhöhe miteinander kommunizieren können. Die von ­Oliver ­geplante und im Hauptraum des metalab ­realisierte Lichtklingel ist ein weiteres Beispiel ­dafür: Die gelbe Hupe am Plafond lärmt nur optisch, ohne aufdringliches Geräusch sorgt sie für ­geöffnete Türen.

Dolmetsch für Hörende

Mach’s auf! denkt ­Hacken konsequent anders. Der primär mit Praktiken der Aneignung proprietärer Techniken assoziierte Begriff erhält nochmals eine ­radikalere Wendung, wenn es um das «Knacken» sozialer Blackboxen geht. Für viele, die ihre Sinne anders organisieren, war das ­metalab bis vor kurzem noch eine solche: exklusiv und nicht barrierefrei. Seit Mai letzten Jahres lädt der Hackspace hingegen zum wöchentlichen ÖGS-Treffen, dank Budget des Chaos Computer Club gibt es Dolmetscher:innen für Hörende. Franz Steinbrecher und Oliver Suchanek wollen diesen Kommunikationskanal auch in Zukunft offenhalten. Mit Gebärdenverse haben sie einen Verein gegründet, eine zum Thema «Deaf Gain» geplante Ausstellung soll einmal mehr mit dem defizitorientierten Bild von gehörlosen Personen brechen: Nicht alle unter ihnen waren schon im All, in der Nacht schlafen die meisten aber besser – ein Vorteil, der auch Schwerhörige ­betrifft, die ihre Hörgeräte ablegen oder ausschalten können.
Katta Spiel hat die Begleitforschung zu Mach’s auf! übernommen und kann dies nur bestätigen. Als Wissenschafter:in am Institut für Mensch-Maschine-Interaktion der TU Wien sorgt Katta nicht nur im Projektkontext für «affirmative action», auch Teile von Kattas Lehrveranstaltung gibt es bei Bedarf in ÖGS.

Pinke Otter

Think pink outside your box: Denis Sari ertastet ein Tier, das sich auch dem ­Anschein nach nicht sofort zu erkennen gibt. Der Hut am Kopf der rund fünf Zentimeter großen Figur hat eine breite ­Krempe, ihre Deutung liegt in Denis’ Händen. Sehende müssen sich nach den pinken Ottern erst auf die Suche machen, die Franz, zeitweise auch als Clown tätig, gern im metalab versteckt. Aus dem «Otterspace» will auch er einen «Other Space» machen, mit einem Fabelwesen aus dem 3D-Drucker heißt Franz Denis willkommen.
Denis ist Teil von Define, einem Schwesternprojekt von Mach’s auf!, das blinden Menschen neue Zugänge zum Machen und Reparieren einfacher und komplexerer Technologien eröffnen soll. Das quelloffene Betriebssystem Linux, das Denis an diesem Nachmittag zum ersten Mal ausprobiert, zählt für ihn zu Ersteren. Dank Sprachausgabe über das Programm Orca fällt das Arbeiten in der ­Kommandozeile leicht, der freie Screenreader liest alle Bildschirminformationen in Hochgeschwindigkeit vor. «Im Terminal gibt es ­keine Werbung», stellt Denis fest, der Windows dahin­gehend ein ebenso schlechtes Zeugnis ausstellt wie den mit grafischen Icons übersäten ­Smartphone-Oberflächen; trotz Adblocker im Browser ­werde er auch von Google mit sinnlosen Angeboten bombardiert, erst einmal im Ohr, lenken sie vom Arbeiten ab.
Auf herstellerspezifischen Standards beruhende und somit nicht frei veränderbare Technologien schließen auch blinde Personen vom funktionalen Computergebrauch aus – und das, obwohl die Braille-Kundigen unter ihnen geborene Coder:innen sind: Als der Schüler ­Louis Braille um 1819 die Blindenschrift erfand, orientierte er sich an einem militärischen Zeichensystem, das selbst bei vollständiger Dunkel­heit noch dechiffrierbar sein sollte. «Braille lernt man in der Schule», sagt Denis, der sich am Bundes-Blindeninstitut Lesen, Schreiben, Zeichnen und Rechnen beigebracht hat. Beim Online-Lesen benutzt er als Ausgabegerät oft ein ­Braille-Display, für Musiknoten und mathematische Notationen hat es einen Sondersatz. Bei den kleinen, geometrisch konstruierten Kästchen mit ­jeweils acht Löchern handelt es sich um Entsprechungen für die Buchstaben eines Alphabets, das Denis einfach nur «Schwarzschrift» nennt. Als reliefartige Ausbuchtung auf einem zweisprachigen Namenskärtchen, das aus dem 3D-Drucker kommt, ist sie farblich auch so markiert; dreidimensionale Pläne zur Orientierung vor Ort liegen gleich daneben.

Brailleschrift fürs Handy

Beim Entziffern von Braille ist das Fehlen einer Hervorhebung ebenso bedeutsam wie ihr Vorhandensein – eine Haptik des Binären, die mit der zweiwertigen Logik von Computersystemen einiges gemeinsam hat. Define-Mitinitiator ­Johannes Střelka-Petz kennt beide Sprachen, Erstere fand er aber besser. Im Austausch mit Schüler:innen des Bundes-Blindeninstituts und Erich Schmid, blinder Informatiklehrer und Vorstand der Österreichischen Brailleschriftkommission, entwickelt er ein Eingabegerät für Smartphones, das mit allen gängigen Modellen kompatibel sein soll, sein Name: Oskar. Dank des Handyimmanenten Funkstandards Bluetooth braucht es zum Anschließen keine teuren Spezialkabel, anwenden können soll die Tastatur schließlich jede:r. Oskar passt auf Handy-Hinterseiten und soll demnächst auch als Selbstbausatz erhältlich sein.
Auch Seher:innen eröffnet die Tastatur neue Perspektiven: Zukünftig könnten ganze acht Tasten ausreichen, um sich über das Mobilgerät zu verständigen. Es sind Entsprechungen für Computer-Braille, das zwei potenzielle Punkte mehr hat als die nicht-digitale ­Variante. Die in ein 3D-gedrucktes Gehäuse eingebetteten Knöpfe kann man wie auf einem Tasteninstrument drücken, während dem Schreiben werden die Finger zu Braille-Griffeln auf virtuellem Papier. Denis jedenfalls hat seine ­Hände schon in Position gebracht – im Metaverse der sichtbaren Gebärden ist es an der Zeit, ein weiteres Kapitel aufzuschlagen.

metalab: www.metalab.at
Mach’s auf!: www.machs-auf.at
Define: www.defineblind.at
Oliver Suchanek: www.oliversuchanek.com
Oskar, die mobile Braille-Tastatur: www.oskars.org