«Vergleich mich mal mit einem Mann!»tun & lassen

Mieze Medusa (Foto: © Jana Madzigon)

Beim Schreiben und Performen wird Doris Mitterbacher ihrem Alias Mieze Medusa gerecht: Das Wort stets als politisch-feministischer Akt. Bevor sie sich auf den Weg zur Buchmesse in Leipzig gemacht hat, verriet sie dem Augustin, was Frauen so machen, während über sie geredet wird.

 

Ein Test, der als Witz gedacht ist, aber so treffsicher, dass ­Frederike, aka Fred, das Lachen im Hals stecken bleibt. ­Mieze Medusa hat in ihrem neuen ­Roman eine Passage dem berühmten Bechdel-Test gewidmet, der die Darstellung von ­Frauen im Film mit drei Fragen untersucht: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Unterhalten sich diese Frauen miteinander? Sprechen sie über etwas anders als über Männer? Und mit Fred beanstandet eine der Hauptfiguren ­ihres Romans, dass Frauen auffallend oft in Nebenrollen gedrängt werden.

Männer zu Randfiguren

Mieze Medusa, die im bürgerlichen Leben Doris Mitterbacher heißt und die wie Fred in Wien wohnt, sitzt im Cafe C.I. am ­Yppenplatz und muss im Gegensatz zu ihrer Prota­gonistin amüsiert lachen, als sie vom ­Bechdel-Test erzählt. Fantastisch, weil sehr lustig sei er. Sie schaue sich auch selbst gern Filme an, die bei ihm durchfallen. Wenn sich das Durchfallen aber häuft, ist das nicht okay, fügt die Autorin hinzu. «Also habe ich mir gedacht, ich probiere einmal einen Roman zu ­schreiben, der umgekehrt diesen Test nicht besteht», erklärt sie. So hat sie ihn nicht nur von Fred erwähnen lassen, sondern auch probiert, diesmal Männer zu Randfiguren ohne tragende Rolle zu machen. Ihr Buch heißt zwar Was über Frauen geredet wird, aber «eigentlich geht es darum, was Frauen machen, während über sie geredet wird», beschreibt sie, wie ihre verschiedenen Frauenfiguren selbstbestimmt ihren Weg finden wollen und dabei immer wieder einen aktiven Umgang mit der Erwartungshaltung finden müssen, mit der über sie geredet und bestimmt wird. «Schreib lieber Tagebuch oder gelegentlich ein Gedicht, anstatt ­Ansprüche ans eigene künstlerische Schaffen zu stellen!», könnte so eine erwartbare Handlungsaufforderung an Frauen heißen.
Einen Lebensentwurf mit Schreiben und Kunst im Mittelpunkt ­konnte sie sich ja auch selbst erst spät ­vorstellen, schildert Mieze ­Medusa, die an diesem Tag schon ­einen Schulworkshop gehalten hat, bevor sie sich auf den Weg zum Yppenplatz ­machte: «Ich habe erst am Ende des Studiums mit dem ­Schreiben und ­Performen ange­fangen, und der Grund dafür ist tatsächlich, weil ich es mich lange nicht getraut habe». Seit Jahren bietet sie immer wieder Schreibwerkstätten an, wo sie zu Spaß am geschriebenen und performten Wort ermutigt. Dass Mieze Medusa sich von herangetragenen Rollenzuschreibungen hat bremsen lassen, ist zweifellos vorbei. Schon vor über zwanzig Jahren hat sie mit einem eigenen Text bei ihrem ­ersten ­Poetry Slam mitgemacht – und so ­lange prägt sie jetzt auch schon die ­Poetry-Slam-Szene hierzulande mit, selbst mit merkbarem Spaß an der ­Sache. Mit Was über Frauen geredet wird hat sie letzten Herbst auch kurz nach ihrem dritten bereits ihren vierten Roman vorgelegt, was sie aber keineswegs als lineare Entwicklung zum Prosatext sehen will. Sie führt in diesem Buch und bei ihren anderen Projekten vor, wie bei ihr ein Genre in das andere fließt.

Mit Öffis zur Bühne

Wäre Mieze ­Medusa nicht dereinst nach dem Umzug in die Hauptstadt Wien beim Öffisfahren ohne Fahrschein erwischt worden und ­hätte ­keine Strafgebühr zahlen müssen, wer weiß, was gekommen wäre. «Ich war ganz neu in Wien, pleite und hatte das Geld nicht am Konto. Dann habe ich bei einem Slam mitgemacht und gewonnen», erzählt sie. Mit den gesammelten Spenden bezahlte sie die Strafe und dachte sich dann: Das hat Zukunft. Eine Anekdote mit Augenzwinkern: Das mit den Slams hätte wohl auch so seinen Lauf genommen. Mieze Medusa hat einen großen Hang zum Optimismus und zum Motto «Einfach tun!». Schon in Innsbruck, wo die in Oberösterreich Aufgewachsene Germanistik studierte, begann sie Texte zu schreiben und zu rappen, in Wien fand sie dann die Slam-Auftrittsmöglichkeit und Gleichgesinnte: «Es lag in der Luft, es war sehr viel Begeisterung da», ­erinnert sie sich an die Anfänge der Szene in Wien. Schnell war sie mittendrin. Aber auch gedruckte Texte ­schließen den Stil von Slam-Texten nicht aus, ist sie überzeugt: «Ich habe bei dem Roman noch mehr als früher probiert, die ­Trennlinie zwischen den Genres wegzubekommen. Mir ist es extrem wichtig, dass die Sprache auch in der ­Prosa zeitgenössisch ist und dass, was ich auf der Straße höre oder im Alltag verwende, nicht nur in der direkten Rede enthalten ist.»
Auch wenn der Roman wohl meist still gelesen wird, den Klang im Ohr hört man beim Lesen auch ohne Vortragen. Das liegt nicht zuletzt an Mieze ­Medusas ­Anliegen, Rap als Komponente drin zu ­haben. ­Neben zwei Hauptfiguren, der Wienerin Fred und der Innsbruckerin Laura, hat sie ­dafür als eine der weiteren Protagonistinnen eine Rapperin ins Spiel gebracht. «Die Figur wäre eigentlich kleiner gewesen in meinem Kopf. Aber das ist ausgeufert, weil es mir solche Freude gemacht hat, sie auszuformulieren. Als ich die Idee hatte, sie Milla YoloBitch (Akronym für «You only live once, bitch!», Anm. d. Red.) zu nennen, habe ich eine Stunde lang ­lachen müssen», schildert die Autorin. Und noch ein Grund sei dahintergesteckt, diese Figur einzubauen: «Ich will so zeigen, dass es ein viel zu wenig sichtbares Netzwerk von Frauen gibt, die enga­giert, cool und vernetzt Arbeit machen. Nämlich nicht nur Care-Arbeit, sondern kulturelle Arbeit», sagt sie und erinnert sich zurück an die frühe Phase ihrer ­eigenen Karriere als Rapperin, als sie bereits von Frauennetzwerken gebucht worden ist, bevor diese wussten, was sie kann: Nur weil diese Frauen sie supporten wollten. «In der Rap-Szene musst du dich ohnehin ­behaupten. Aber sie hat sich verändert: Sie ist jetzt nicht weniger Machismo-­geprägt, aber die ­Kategorien sind nicht mehr so streng», weswegen auch ihre ­Milla ­YoloBitch sich nicht um vermeintliche Regeln kümmert und sich in Frauennetzwerken ausprobiert. Mieze Medusa hat dem Buch auch einen «Bonus Track» angehängt, bei dem man nicht nur einen der Rap-Texte in voller Länge lesen kann – bei ihren Gigs kann man sie auch ­hören –, sondern bei dem sie auch nach der Reihe weibliche Role ­Models aufzählt: von Christine Lavant bis Esrap.

Platz und Wikipedia für alle

«Es ist kein Rennen», betont Medusa. Den Begriff Konkurrenz hat sie nicht sehr gerne. «Überall dort, wo viele Leute eine gewisse Kunstform betreiben, ist mehr Platz für alle», ist sie vielmehr überzeugt, wie wichtig es ist, in Interaktion zu treten und Wissen weiterzugeben, gerade unter Frauen. «Was die Ahninnen ahnten, ist für uns Vorsprung und der Rahmen»: Eine Rap-Passage aus dem Roman. «In meinem Alter kenne ich viele Autorinnen, die spannende Sachen machen und durchaus Preise ­gewinnen oder Stipendien bekommen, ­deren ­Bücher sichtbar auf Büchertischen liegen. Ich habe sicherlich mehr Spielraum, als die Generation meiner Mutter gehabt hat. Die ­Frage ist, ob meine Nichten mehr Spielraum ­haben als ich», sagt Mieze Medusa mit einem Gefühl, dass das Internet mit den verbreiteten Körperbildern und Rollenbildern «eine Entmutigungsmaschine für viele junge Frauen ist». Auch ­beobachte sie, wie Frauen, die im Internet die Meinung äußern, Kritik und nicht-genderneutrale Kommentare abbekommen. Allein schon, weil sie sichtbar sind.
Stichwort Wikipedia: Stehen bei den Einträgen wichtiger Persönlichkeiten nur tote Männer oder auch irgendwo Frauen? «Ich habe so eine Wikipedia-Szene im Buch. Ich glaube schon, dass es aktiv Leute gibt, die Artikel von Frauen überschreiben, sie kürzer machen oder löschen», nennt Mieze Medusa ein Beispiel, wo Frauen erst gar nicht sichtbar werden; und wenn sie es dann sind, ein anderes: Bei Politikerinnen würde man etwa sehen, wie harsch die Reaktion ist, wenn man laut spricht. Eine Belastung, die man aushalten muss? «Warum sollten Frauen resilienter sein?», fragt sich Mieze Medusa. «Es gibt in Österreich mehr Bürgermeister, die Franz heißen, als Bürgermeisterinnen», beginnt in ihrem Roman eine lange Aufzählung an Ungleichheiten, mit denen Frauen weiter zu kämpfen haben. Darunter einige, die Mieze Medusa besonders stören. «Dieses völlig starre Festhalten an einem alten Fami­lienbegriff» etwa statt einer verpflichtenden Väterkarenz. Oder wenn schreibende Frauen wie sie immer nur mit anderen Frauen verglichen werden. «Das passiert so automatisch. Dann denke ich mir: Vergleich mich doch mal mit einem Mann!»

«Das Lachen der Medusa»

Die österreichische Slam-Szene sei im Vergleich zum Nachbarland Deutschland sehr feministisch. «Wir haben viel feministische Arbeit gemacht, mehrmals österreichische Meisterinnen bei der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaft gehabt und sehr gute und sichtbare weibliche Poetinnen in Österreich, das ist schon super», so Mieze Medusa. Sie steht – neben Projekten mit unter anderem ihrem Partner, dem Autor Markus Köhle, oder dem Musiker Flip – ­immer schon gern mit Frauen auf der Bühne. Mit ­Yasmin Hafedh aka Yasmo bildet sie das Slam-Team MYLF: ein Kürzel für «Mothers You’d Like to Flow With». Gemeinsam bringen die beiden im Frühjahr ein Buch heraus, mit dem Titel «Die Krise schreibt man nicht mit langem I, auch wenn sie riesengroß ist», eine Sammlung von ihren Teamtexten, ein paar Solo-Slamtexten und Backstage-­Geplauder, um das Performance-Feeling und ihr Vergnügen daran zwischen die Buchdeckel zu bekommen. Daneben steht bei Mieze Medusa gerade die Leipziger Buchmesse im Vordergrund, bei der Öster­reich Gastland ist und aus deren ­Anlass sie im Februar das ­Literarische ­Colloquium Berlin für eine Residenz besucht hat, um ein Programm zu Spoken Word und Performance als ­Formen gegenwärtigen ­Erzählens zu erarbeiten. Ende April ist sie auf der Messe bei einem ­Länderbattle gegen Deutschland im österreichischen Slam-Team. Ein Indikator, dass Slam nach Jahren des Nischendaseins ein zentraler Teil des Literaturbetriebs ist.
Aber zurück nach Wien, auf den Yppen­platz. Hier sucht Mieze Medusa nicht nur gern das Cafe C.I. auf, weil sie hier in Otta­kring wohnt, das sie mag, weil es so divers ist und man «ungeschminkt im Trainingsanzug auf die Straße gehen kann». Sie hat zum Yppenplatz auch insofern eine Bezie­hung, als sie Mitbegründerin von Textstrom ist, dem dienstältesten (und mittlerweile einem von vielen) Wiener Poetry Slam, wo sie – wie außerdem öfters in der Alten Schmiede – Poet:innen vorstellt und vernetzt. Textstrom findet regelmäßig in der Brunnenpassage am Yppenplatz statt. «Ein Glücksfall, weil das so ein offenes Haus ist», sagt sie. Auch ihre Slam-­Bühne ist offen: «Wir ermutigen Leute, aufzutreten, und ­setzen ­dabei auch einen ­Fokus auf Mehrsprachigkeit. Den hat die Slam-­Szene ­nötig. Es ist ja offensichtlich gut, mehr als eine Sprache zu verwenden, ­gerade in ­einer Stadt wie Wien.» Sprache ist ohnehin «unfassbar relevant» für die Autorin: «Natürlich ist die Verwendung von Sprache etwas, das einen politischen Rahmen schafft.» So war es gewissermaßen auch ein sprachlicher Fehltritt in ­Tirol, der sie auf die Idee brachte, in ihrem ­neuen ­Roman den Plot in Wien mit Geschichten aus Innsbruck zu verzahnen. Denn als der dortige Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler eine Umweltaktivistin als «widerwärtiges Luder» ­bezeichnete, ­hatte das für Mieze Medusa auch damit zu tun, wie über Frauen geredet wird, «dass dieser jungen Frau eigentlich keine Redemacht und Teilhabe zugestanden wird». Und wer sich schon längst fragt, woher das Alias Mieze Medusa kommt: Eine Herleitung von Das Lachen der Medusa, dem feministischen Schlüsseltext von Hélène ­Cixous über Schreiben als politischen Akt. So ist es nicht ­verwunderlich, dass Mieze ­Medusa während des Gesprächs betont: «Ich kann mir gar nicht vorstellen, ­Texte zu schreiben, in denen nicht auch Aussagen über den politischen Zustand des ­Landes gemacht werden.»

 

«go go go!» Gleichberechtigung und Sisterhood

«Pass auf: Es wird so viel über uns ­getalkt / ich sag: Ich will! Doch die Welt sagt: Wart! / Bleib lieber klein, weil sonst der Platz nicht reicht / Bleib doch ­daheim, weil sonst der Schutz ausbleibt / Wir hab’n die Warnung ignoriert und wir sind losgesprintet / Das freie Feld liegt vor uns, und in der Ferne blinkt es / Hat wer gefragt, wo das Tutorial verlinkt ist? / Ist doch egal, Plug ’n’ Play, freier Fall und schon gelingt es.»
Wenn Milla YoloBitch ihre eingängigen Texte rappt, legt sie lieber den ­Finger in den Starkstrom, als gesellschaftliche Erwartungen an Frauen zu erfüllen. In Mieze Medusas viertem ­Roman Was über Frauen geredet wird ist die Musikerin eine zentrale Figur. Während sie sich bei Auftritten unbekümmert für Gleichberechtigung und Sisterhood stark macht, versuchen um sie herum auch weitere Protagonistinnen, ihre – sich kreuzenden – Wege zu finden. Da ist Fred in Wien, die Job-Hopping betreibt und über Patchwork-Familien nachdenkt. Und Laura in Innsbruck, die Comics zeichnet, statt Schi zu fahren, und noch nicht weiß, was ­daraus wird. ­Können sie alles sein, was sie möchten? «go go go!» So liest sich die Antwort der Autorin. Die Poetry-Slam-­Pionierin schreibt in äußerst amüsantem Ton über diese und noch mehr ­Frauen, die Lust aufs Leben haben – trotz Ängsten vor Alters­armut und anderen Hürden, die es für sie immer noch öfter als für Männer gibt. «8. März, Bitches!» heißt deshalb ein Kapitel. Als Draufgabe kann man ­Milla ­YoloBitchs Song auf Spotify hören.

Mieze Medusa: Was über Frauen geredet wird
Residenz 2022
256 Seiten, 25 Euro

 

 

Textstrom Poetry Slam
22. April, 27. Mai, 17. Juni, jeweils um 20 Uhr
Brunnenpassage
16., Brunnengasse 71
Anmeldung unter textstrom@gmail.com
www.textstrom.at
www.brunnenpassage.at

www.miezemedusa.com