Malerei aus SternenstaubArtistin

Surreale Bildwelten, abstrakte Fleischlichkeit, spielerische Alienszenen. Die Künstlerin Marianne Vlaschits erschafft eigenwillige Kosmen zwischen Science-Fiction und klassischer Malerei. Ihre aktuelle Ausstellung in Wien läuft unter «Retrospektive» – durchaus scherzhaft gemeint, Vlaschits ist erst 38 Jahre alt. Im Interview spricht sie über ihre Ästhetik, feministische Interessen und ihr Astronomie-Studium.

Interview: Magdalena Mayer
Fotos: Carolina Frank

Die Ausstellung im Bildraum Studio trägt den Titel «Phase Transitions». Was sind diese Phasenübergänge für dich?
Marianne Vlaschits: In der Thermophysik bezeichnet der Begriff verschiedene Aggregatzustände. Ich fand das passend, weil sich mein Stil oft ändert. Ich liebe es, Neues auszuprobieren und gehe sehr spielerisch an die Malerei heran. Bei einer Serie konzentriere ich mich eher auf bestimmte Farben, bei einer anderen geht es mehr um ein Narrativ, dann um eine neue Malereitechnik. Ab und zu entdecke ich Künstler_innen, die ich fantastisch finde, und versuche, Elemente von ihnen in mein Werk einzubauen. Ich bin überrascht, wie harmonisch die Serien jetzt nebeneinander aussehen und dass es doch eine gemeinsame Linie gibt.

Wo kann man deine Bilder kunstgeschichtlich verorten? Hast du ­Vorbilder in der Malerei oder eher anderswo?
Was ich wirklich mag, ist Science-Fiction-Ästhetik: Ich beziehe mich oft auf feministische Sci-Fi-Literatur aus den 1960ern bis -80ern. Das ist etwas nerdig, aber aus dieser Zeit gibt es gute Bücher, zum Beispiel von Joanna Russ oder Marge Piercy. In den letzten Jahren habe ich die surrealistischen Malerinnen für mich entdeckt, Leonora Carrington oder Kay Sage. Und auch spirituelle Malerinnen wie Agnes Pelton: Die finde ich formal super. Inhaltlich interessiere ich mich aber nicht für Esoterik und Spiritualität. Seit Herbst studiere ich Astronomie und hole mir meine Inspiration lieber aus der faktenbasierten Wissenschaft. Die neueren Bilder basieren auch auf alten as­tronomischen Illustrationen.

Warum hast du mit dem Astronomiestudium begonnen?
Das wollte ich, seit ich zwölf war, aber ich war nie gut in Mathematik. Jetzt, mit 38 Jahren, hatte ich die Erkenntnis, dass ich alles machen kann, was ich will. Ich habe seit 2014 intensiv populärwissenschaftliche Literatur zur Astronomie gelesen und mit der Zeit gemerkt, dass ich mehr wissen will. Im zweiten Lockdown hatte ich endlich genug Ruhe und habe den Mathe-Stoff der Volksschule zu lernen begonnen, bis zum vorigen Herbst war ich beim Maturastoff, jetzt bin ich im zweiten Studiensemester, und es ist sehr anspruchsvoll. Ich studiere nicht, um Astronomin zu werden, sondern aus Freude am Lernen. Ein tieferes Verständnis der Materie wird auch eine Bereicherung für meine Malerei sein.

Wie passt die Malerei mit der Astronomie zusammen?
Für mich macht diese Verknüpfung viel Sinn. Die Astronomie ist eine Wissenschaft, in der man die meisten Informationen aus Sternenlicht gewinnt, Licht ist also das Arbeitsmaterial. Beim Malen arbeite ich mit Farben, und die Farbpigmente bestehen, wie jegliche Materie um uns herum, aus Sternenstaub. Sie reflektieren das Licht der Sonne, auch ein Stern. Malerei und Astronomie benötigen beide körperliche und visuelle Elemente. Ich würde sagen, dass die zwei Felder einfach meine beiden Wesenshälften sind, und wenn eine fehlt, dann bin ich nicht ganz.

Du hast an der Akademie der bildenden Künste studiert, seitdem arbeitest du mit Malerei. Beschäftigst du dich mit aktuellen Diskursen, wie man das Traditionsmedium in der zeitgenössischen Kunst erneuert und erweitert?
Ich folge dem Diskurs zur Gegenwartsmalerei interessiert und schaue mir viel von dem an, was andere machen. Besonders in den USA gibt es gerade viel Malerei, die mich begeistert. In Wien bin ich Teil einer Malerinnengruppe, in der wir über Malerei reden. Aber es ist nicht so, dass ich bewusst etwas Neues erfinden will, das kommt eher automatisch. Das sind oft Dinge, die ich durch Zufall entdecke, indem ich etwas lese oder sehe und dann unbedingt künstlerisch damit arbeiten will. Ich beginne wie besessen dazu zu recherchieren, Skizzen zu machen, nachzudenken. Das Gefühl ist ähnlich wie Verliebtsein.

Dein Malstil ist bei den frühen Bildern in der Ausstellung sehr poppig, später dominieren organische, runde Formen und gedeckte, fleischige Farben. Wie würdest du deine stilistische Entwicklung beschreiben?
Während die neueren Bilder in Öl gemalt sind, waren die ältesten noch Acryl­bilder und Werke, die stark nach außen gehen, cartoonisch, witzig und wild. Meine Malerei hat sich dann immer mehr nach innen gewandt. Sie wird konzentrierter und ruhiger, feiner und detaillierter. Vielleicht kann man darin auch meinen Prozess des Erwachsenwerdens sehen. Ich interessiere mich jetzt auch mehr für Malerei an sich, für die Geschichte und Techniken, und weniger für Narrative, die von außen kommen.

Viele deiner Formen und Motive ­deuten Körper an. Früher hast du oft männliche Körper gemalt, davon bist du abgekommen und hast den Fokus auf das All gelegt. Willst du so auch ­Gegenbilder zu männlichen Weltraum-Eroberungsfantasien schaffen?
Früher ja, mittlerweile ist es mir zu dumm, was solche Männer – oder das Patriarchat im Allgemeinen – tun und denken. Und ich finde Männer als Thema in meiner Arbeit nicht mehr so interessant. Ich habe mich viel mit feministischen Diskursen auseinandergesetzt, heute stehen diese mehr im Hintergrund. Meine neueren Arbeiten sind ein Wandern nach innen, in den eigenen Körper und die eigene Psyche, und zur gleichen Zeit ein Wandern nach außen, eine Abkehr von der Erdoberfläche in den Weltraum.

Lässt du bei den Perspektiven und ­Motiven bewusst offen, ob man Körperinneres von undefinierbaren ­Wesen oder fremde Welten draußen im ­Kosmos betrachtet?
Dass meine Bilder nicht so eindeutig sind, ist mir wichtig, deshalb werden sie immer abstrakter. Ich finde die Bilder am besten, die etwas Rätselhaftes haben.

Könnten derart rätselhafte Bilder eine Projektionsfläche für Utopien sein?
Mir ist das Utopische in der Kunst sehr wichtig, weil ich ohne das verzweifeln würde. In unserer Welt, wie sie ist, gibt es viele Dinge, die falsch sind und die ich gerne ändern würde. Darum male ich gerne Bilder, in denen es diese Änderungen schon gegeben hat.

2020 erhielt Marianne Vlaschits mit ihrer Salzburger Galerie Sophia Vonier den Bildrecht SOLO Award bei der Kunstmesse viennacontemporary. Die Galerie ­bespielt nun das Bildraum Studio in der Brotfabrik.

Marianne Vlaschits: Phase Transitions 2018-2021
Bildraum Studio, Brotfabrik Wien
10., Absberggasse 27, Stiege 9
bis 7. April
www.bildrecht.at/bildraum
www.galerievonier.com

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