«Man muss eben alles selbst machen»Artistin

Eva Geber über die Anarchistin Louise Michel (1830–1905)

Eva Geber hat Louise Michel einen Roman gewidmet. Über die Ikone der Pariser Kommune, die Kindheit in einem erzkonservativen Elternhaus und die Kraft der Literatur hat sich Cornelia Stahl mit der Autorin unterhalten.Der Typus der kämpfenden Frau, so lautet ein Buchtitel von Ihnen. Gab es in Ihrer Familie Frauen, die diesen Typus verkörperten?

Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich habe eine erzkonservative Familie gehabt. Meine Eltern waren sehr alt.

Das Erzkonservative, wie hat sich das geäußert?

Meine Eltern waren Monarchist_innen, meine Mutter eine Pragmatikerin, eine starke Frau, aber sehr konservativ. Sie hat eine Firma geführt. Wofür ich ihr danke, ist, dass sie mich geliebt hat. Ich war das zweite Kind, das gewünschte Mädchen! Politisch gesehen war sie mir vollkommen fremd. Ich war ein Kriegskind. Meine Mutter hatte keine Angst, das war im Bomben-Wien dieser Zeit ganz toll. Meinen Vater habe ich erst nach dem Krieg kennengelernt. Er war Monarchist bis zum Lebensende. Meine Mutter hatte nicht viel Zeit, hat uns Kindern alle Freiheiten gelassen, sie delegierte an sehr gute Kindermädchen. Ab einem Alter von fünf oder sechs Jahren haben wir uns um alles selbst gekümmert – das bin ich gewöhnt bis heute. Man muss eben alles selbst machen. Das fällt mir dann wieder im Zusammenhang mit Louise Michel ein.

Ihr neuer Roman ist nicht als Sachbuch, sondern biographisch angelegt. Warum war es Ihnen wichtig, Louise Michel eine Stimme zu geben?

Louise Michel war eine sehr starke Frau, hatte auch viel Verrücktheit in sich, und Todesverachtung. Ich wollte nicht über sie schreiben, sie nicht bewerten. Sie wollte sich niemals einlassen auf irgendeine Gnade. Ihre Haltung im Kriegsverbrecherprozess war: Ja, das habe ich gemacht, und das finde ich richtig. Und ich möchte wie die anderen zum Tod Verurteilten auch eine Kugel Blei haben. 1886, nach der Rückkehr aus der Deportation, begann sie, ihre Memoiren zu schreiben, den dritten Teil erst kurz vor ihrem Lebensende. Ich habe mir vorgestellt, wie sie jetzt dasitzt, 1904, und ihr Leben in einem Monolog rekapituliert.

Inwieweit sind die Ideen der Pariser Kommune gegenwärtig noch aktuell?

Wir haben massenhaft Grund, uns zu empören! 2015, als sehr viele Flüchtlinge kamen, hatten wir eine intakte Zivilgesellschaft. Aber jetzt gibt es nur noch wenige Aktionen des Engagements. In der Pariser Kommune war es einfacher. Es gab es eine Zivilgesellschaft, die aus dem Proletariat kam. Jetzt fehlt das Bewusstsein dafür.

Wen möchten Sie mit Ihren Texten erreichen?

Es geht mir darum, dass wir Frauen unsere Geschichte kennen. Ich arbeite über Frauen, die in Österreich meist unbekannt sind. Louise Michel kennt man hier unter den Feministinnen und unter den Linken, aber ansonsten zu wenig. Ich bin nach Frankreich gegangen, um kämpferische französische Frauen hier bekannt zu machen. Natürlich will ich mit Louise Michel etwas bewirken: Die einen, die das Buch fressen vor Glück, denen zeige ich, wie sie´s gemacht hat. Beeindruckt hat mich ihr unvoreingenommener Zugang auf die Indigenen auf Neukaledonien. Sie freundet sich mit ihnen an. Und ich finde, das brauchen wir jetzt, in einer Zeit mit diesen wahnsinnigen Rassismen.

Hat Kunst überhaupt das Potenzial, Gesellschaft zu verändern?

Ich würde Nein sagen, aber genauer fragen, welche Kunst. Die von Picasso oder die von Riefenstahl?

Ich dachte in erster Linie an Literatur und an Ihre Perspektive als Literatin.

Also, da muss man vorsichtig sein bei der Kunst, auch bei der Literatur. Anregen kann es nur die, die offen sind. Kunst kann Bilder bringen, die bestärken. Ich denke an Guernica von Picasso. Nicht kunstaffine Leute haben damit gar nichts anfangen können. Das Symbol der Friedenstaube ist vielleicht einfacher zu verstehen. Man kann es auf Demonstrationen vor sich hertragen und viele Menschen ansprechen. Sobald es angriffiger wird, fühlen sich die meisten nicht angesprochen. Während wir dagegen sagen, das ist wahnsinnig rotzfrech! Das zeigt´s! Wenn ich mich an die Debatte um den Heldenplatz von Thomas Bernhard erinnere, denke ich, das hat nur die Menschen bestärkt, die auch diese Ansichten vertraten. Andere haben gefunden, das ist eine Frechheit. Kunst kann verstärken, ermutigen, und uns erfreuen – natürlich! Und bei der Literatur ist es auch so.