Mathematische GedankenDichter Innenteil

Gottfrieds Tagebuch

16. 11.

Meine Vorgesetzte und Vermieterin First Lady zeigt sich verschärft besorgt ob der beinahe schon gähnenden Leere ihres Futtertresors.

Illustration: Carla Müller

Entschlossenen Schrittes verlässt sie ihre Eigentumswohnschachtel, betreibt ausgiebige Dehnübungen, um anschließend mit anklagender Miene vor ihren Futterschüsseln Platz zu nehmen. Mit dem Trockenfutter scheint sie einverstanden zu sein, aber nach einem strengen Blick auf den Vorrat an feuchter Nahrung beschließt sie, sich einer vorwurfsvollen Miene zu befleißigen und schlussendlich mich zu einem ausführlichen Rundgang durch die Katzenfutterabteilung des nächstgelegenen Nahversorgers meines Vertrauens zu animieren. Also hülle ich mich in mittelfeinen Zwirn, überprüfe die Geldreserven und eile von dannen, um zu tun, wie mir von der ersten Katze des Hauses geheißen. In den heiligen Hallen der Nahversorgung angelangt, eile ich umgehend in die Futterabteilung und ordere 3 Leberkäsesemmeln. Aber da war doch noch etwas? Ach ja, die Katze! Kleiner Scherz am Rande, ihr Futter ist immer Nummer eins auf der Einkaufsliste, die sich wiederum in meinem Kopf herumtreibt. Bisher konnte ich sie jedoch stets rechtzeitig vorfinden. Jetzt hurtigen Hufes heim und First Lady entsprechend ihres Ranges verköstigen!

17. 11.

In meiner Nähe befindet sich ein großer, relativ neu angelegter Park. Die Bäume noch klein, aber viel Raum zum Lustwandeln, Flanieren, oder einfach nur Spazierengehen. Je nach Lust und Laune falle ich in diesen Park bewaffnet mit Buch, Zeitung, oder einfach nur als ich selbst ein. Heute bin ich ausschließlich mit mir alleine unterwegs, ohne analoge oder digitale Hilfsmittel. Bevor jetzt meine jüngere Fangemeinde ohnmächtig darniedersinkt, muss ich erklären, dass es durchaus möglich und nicht lebensgefährlich ist, sich gelegentlich ohne Smartphone aus dem Haus zu wagen. Obwohl ich schon sagen muss, dass Menschen sehr irritiert reagieren, wenn ich in einem Nebensatz erwähne, dass ich digital unbewaffnet sei. Viele scheinen ihrer analogen Intelligenz leider immer weniger zu vertrauen, was ich sehr schade finde. Aber egal, heute bin ich inkognito auf Beobachtungstour und verhalte mich aufgrund dessen völlig unauffällig. Nicht ganz einfach bei 190 cm und 105 kg im Schatten. In der Sonne übrigens auch. Mein wachsames Auge fällt auf 3 junge Männer, die sich jeder am Steuer eines Windelferraris befinden. Es gab keine Verletzten, da so ein Auge ja nicht viel wiegt. Aber ich schweife wie üblich ab. Denn jetzt kommt eine natürlich völlig subjektive Erfahrung meinerseits, die mir schon öfter auffiel. Die 3 jungen Herren kommunizierten völlig analog miteinander, ohne technische Hilfsmittel. Die beiden jungen Mütter, die heute ebenfalls mein Blickfeld kreuzten, wischten auf ihrem Smartphone herum. Wie gesagt, völlig subjektive Sichtweise und nicht repräsentativ, aber trotzdem traurig. Ein wenig mehr Entschleunigung wäre schön … Musiktipp zu diesem Thema: John Mayall & The Bluesbreakers: Mists of Time

20. 11.

Manchmal zweifle ich dezent so vor mich hin. Aber nicht einfach nur so, sondern auf höchstem, oder tiefstem Niveau, je nach Sichtweise. Ich schlendere also nichts Böses ahnend die Mahü stadteinwärts und werde vor einem Schaufenster von dem dort aufgeklebten Werbehinweis beinahe erschlagen. «SALE-Window» (!!!) Jo bist du deppat, damit war natürlich zu rechnen! Ein Verkaufsfenster, ich bin eindruckt! Ich habe nichts gegen englische Botschaften im Allgemeinen, aber mir will scheinen, dass wir schön langsam unsere Sprache verlieren. Es wird gedenglischt, bis die Ohren glühen. Wolfgang J. Reus meinte: «Sprache kann durchaus endgeil und vollfett sein, man muss sie nur in ihrem entsprechenden Biotop sprechen.»

Immer noch 20. 11.

Jetzt haben wir also JETZT. Was für eine Offenbarung! Lange habe ich nach einer möglichen Auflösung dieses Rätsels gesucht, aber einziges Ergebnis, die ehemalige Liste Pilz will sich also in Zukunft nicht mehr um selbige, sondern nur mehr um das Jetzt kümmern. Auch ein Geschäftsmodell …

22. 11.

Hilfe, ich mache mir mathematische Gedanken! Das passiert zwar nicht regelmäßig, aber doch oft genug, um sich angemessen über die jeweiligen Problemstellungen zu ängstigen. Heute ist es so, dass ich einen quadratischen Pizzakarton betrachte, in dem eine runde Pizza liegt, die wiederum in dreieckige Stücke geschnitten wurde. Und es ist nicht einmal meine.

28. 11.

Ich weiß leider nicht mehr, wann es passierte, weil ich mir nur folgenden Satz aufschrieb: «Erleichterung, Gott aus Klinik entlassen!» Das sorgt selbstredend für entsprechende Verwirrung. Wie ist Gott versichert? Ist er eventuell Selbstzahler? War er im Spital «Göttlicher Heiland»? Ein wenig Recherche bringt die Lösung. Karel Gott war erkrankt. Warum schreibe ich mir so was überhaupt auf?! Ich werde ein ernstes Wörtchen mit mir reden müssen!