Roman
Beatrix Kramlovsky hat viel zu erzählen zwischen ihrem ersten Satz aus dem Prolog, «Die Zeit ist stumm. Sie hängt über den Lagern, über den Männern als zähe Lautlosigkeit», und ihrem letzten aus dem Epilog, «Sie war sein Land». Sie, das ist Fanny, die, zusammen mit beider Sohn Max, in Wien auf ihren Mann Karl wartet. Karl ist in Sibirien mit fünf anderen österreichischen Soldaten im Ersten Weltkrieg in russische Gefangenschaft geraten. Zuerst im zaristischen, dann im sowjetischen Russland. Mit Zeichnen vertreibt er sich die Zeit, mit Malen für andere und Schnitzen von Holzfiguren hält er sich und seine Freunde über Wasser. Auf dem ersehnten Heimweg kommen sie in andere Lager, finden Unterschlupf bei den Mennoniten, wo einer von ihnen bleiben (und heiraten) wird, ein anderer stirbt unterwegs. Das restliche Quartett schlägt sich mehr oder weniger erfolglos durch. Mehr als fünf Jahre dauert die beschwerliche Rückkehr und damit die Abwesenheit von daheim. Wie alles ausgeht, skizziert Kramlovsky in wenigen Worten. Mehr benötigt ihre Geschichte nicht, auf Kitsch verzichtet die Autorin gänzlich. Stattdessen erzeugt sie in schöner, so knapper wie poetischer Sprache ein plastisches Bild einer weit hinter uns liegenden Zeit. Ihre wenigen Haupt- und vielen Nebenfiguren stattet sie mit Glaubwürdigkeit aus, schildert eindrucksvoll ihre Schwächen, ihre Stärken, ihre Zweifel, ihren Hunger – und ihre Menschlichkeit in bitteren Zeiten.
Beatrix Kramlovsky: Fanny oder Das weiße Land
hanserblau / Hanser Verlag 2020
304 Seiten, 23,90 Euro