Unterstützung und Strategien gegen Terror in der Schule
Mobbing ist an österreichischen Schulen weit verbreitet. Viele Schüler_innen werden von anderen immer wieder beschimpft, geschlagen oder auf subtilere Art und Weise fertiggemacht. Lisa* war eine von ihnen. Georg Schinko hat mit ihr über ihre Erfahrungen gesprochen – und was sie gebraucht hätte, um sich selbst zu helfen.
Foto: Gina Müller
«Ich wurde fast in meiner gesamten Schullaufbahn gemobbt», beginnt die heute 25-jährige Frau ihre Erzählung. In der Volksschule in einem kleinen Dorf geht es von verbalem Aufziehen und Beschimpfungen bis hin zu Gewalt. Man macht sich über ihren Namen lustig und stößt sie am Schulweg auf den Boden. Sie steht die Volksschulzeit durch und wechselt an die Hauptschule: «Dort hatte ich eine neue Chance, weil mich niemand kannte.» Sie erfährt einen Schulalltag ohne die tägliche Angst davor, niedergemacht zu werden. Die kommt wieder durch den Wechsel an eine Fachschule in der Landeshauptstadt – auch wenn sich hier das Mobbing deutlich subtiler abspielt. Lisa merkt bald: «Ah ja, jetzt geht es wieder in dieselbe Richtung wie in der Volksschule.» Sie wird von anderen aufgezogen und ausgegrenzt. Bald wird sie immer öfter krank – und erhält von ihren Mitschüler_innen keine Mitschriften oder Informationen über das in der Zwischenzeit Gelernte, da sie angeblich die ganze Zeit die Schule schwänzen würde. Sie bekommt Panikattacken und nimmt die Schule nur mehr als Raum der Angst wahr. Dennoch bleibt sie bis zum Abschluss der Matura an der Schule: «Die Schule zu wechseln wäre ein Zeichen des Aufgebens gewesen, das hätte für mich nicht gepasst.»
Mobbing ist ein Gruppenproblem
Lisa ist bei weitem nicht die Einzige, die in der Schule immer wieder derartige Erfahrungen machte – und ihre Geschichte ist nicht nur Vergangenheit, sondern auch Gegenwart an österreichischen Schulen. Das zeigen etwa die Antworten von Schüler_innen in einer Befragung der Kinder- und Jugendlichenberatung «147 Rat auf Draht» im Sommer 2015: Von «Ich hab immer das Gefühl, sie wollen mich sowieso nicht in ihrer Klasse haben» bis zu «Ich bin mit Steinen beworfen worden, man hat mich wochenlang in der großen Pause durch den Schulhof gejagt» reichen die Erfahrungen aus verschiedenen Bundesländern, Altersstufen und Schultypen. Elke Prochazka, Psychologin und Mitarbeiterin von Rat auf Draht, erzählt von ihren Erfahrungen in österreichischen Schulen: «Was mich immer noch zutiefst schockiert, ist, dass Schüler_innen in allen Schulen gesagt haben, dass Mobbing total normal für sie und auch für die Lehrer ist. Dabei ist Mobbing in vielen Fällen eine Straftat, aber es wird nicht so wahrgenommen und passiert tagtäglich.» Eine ländervergleichende Studie der OECD gibt an, dass über 20 Prozent der Buben zwischen 11 und 15 Jahren in österreichischen Schulen im Jahr 2009 in den letzten Monaten Mobbing erfahren hatten – eine Steigerung im Vergleich zu den Jahren davor.
Warum aber wurde Lisa, warum werden viele andere gemobbt? Vordergründig lässt sich Mobbing oft an individuellen Eigenschaften der Handelnden festmachen. Lisa beschreibt sich während ihrer Volksschulzeit als sensibel und zurückgezogen, sie wird von anderen in der Schule als «voll dick» beschimpft. Elke Prochazka sieht grundlegende gesellschaftliche Mechanismen am Werk: «Jeder von uns sucht seinen Platz, und manche finden ihre Rolle nicht leicht. Durch das Fertigmachen von jemand anderem steigere ich dann meinen eigenen Selbstwert.» Dass man Opfer von Mobbing wird, hätte laut ihr aber nur wenig mit Dingen wie vermeintlichem Übergewicht zu tun: «Es gibt nicht typische Mobber und typische Gemobbte. Es ist immer wieder der Fall, dass jemand in der Schulklasse gemobbt wird und in einem Verein am Nachmittag derjenige ist, der mobbt.» Vermeintliches Übergewicht, auffälliges Gewand oder bestimmte ethnische Zugehörigkeiten werden als leicht verfügbare Beschimpfungen verwendet, als Ursachen für Mobbing reichen sie nicht aus. Und: Mobbing ist immer auch ein Beziehungs- oder Gruppenproblem, dass erst durch die (Nicht-)Beteiligung anderer so stark wirkt – durch jene, die mitmachen, mitlachen, wegschauen oder eben verteidigen.
«Jetzt tu nicht so!» – Hilferufe hören können
Schon in der Volksschule sucht Lisa nach Hilfe – und bekommt keine. Ihre Eltern sind «mit sich selbst beschäftigt», die Direktorin der Schule nimmt ihre Situation nicht ernst. «Sie hat nur gesehen, dass ich schnell beleidigt bin und weine.» Es fallen Sätze wie «Jetzt tu nicht so» oder die Bezeichnung als «Sensibelchen». Zum Schulschluss gibt es ein Fest mit dem ganzen Dorf, jede_r Schüler_in muss einen bestimmten Satz auf der Bühne vorspielen. Lisas Satz? «Die Lisa, die halt schnell weint» – geschrieben von ihrer Direktorin. Sie zieht sich immer mehr zurück. «Ich habe immer mehr gedacht, weil die Lehrerin das auch gesagt hat, dass ich keinen Grund habe, traurig zu sein.» Elke Prochazka kennt dieses Problem nur zu gut. Für die Jugendlichen, die sich an Rat auf Draht wenden, sei es besonders hilfreich, dass ihnen erst einmal geglaubt werde, dass sie unter der Situation wirklich und mit Recht leiden würden. Die Berater_innen von Rat auf Draht wissen um die Mechanismen solcher Situationen und versuchen, Kinder und Jugendliche in ihrem Umgang damit zu stärken. Dennoch sind ihrem Einfluss Grenzen gesetzt, wenn Lehrer_innen oder Direktor_innen in den Schulen nicht zur Lösung der Situation beitragen – wie in Lisas Fall. Lisa versucht, als Klassenclown ihren Platz zu finden – und hat in der neuen Schule Erfolg damit: «In der Hauptschule habe ich mir das Clowndasein total angeeignet. Das hat gezogen, in der Hauptschule hatte ich eine angenehmere Zeit.» Doch als sie erneut die Schule wechselt, hat sie auch damit keinen Erfolg mehr.
Mobbingfreie Zonen schaffen
Was kann getan werden, um Geschichten wie jene von Lisa an österreichischen Schulen nur mehr Vergangenheit sein zu lassen? Für Elke Prochazka liegt der Schlüssel auf der Ebene der Schulen: «Es muss in der Schule festgehalten werden, dass Mobbing nicht akzeptiert wird oder dass gewaltfreie Kommunikation vorherrscht. Es macht ein anderes Gefühl, wenn ich in der Schule bin und weiß, da wird Mobbing nicht als ok empfunden, als ich gehe in eine Schule, in der ich tagtäglich erlebe, dass jeder zuschaut.» Schon seit einigen Jahren gibt es an österreichischen Schulen verschiedene Initiativen und Programme, um dies zu schaffen. Doch auch wenn manche Schulen hier sehr aktiv sind und tolle Arbeit leisten, ist es «erschreckend, wie wenig in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern getan wird». Es fehle an Wissen über den Umgang mit Mobbing – und vielleicht auch an Personal. Lisa weiß jedenfalls, was notgetan hätte – und fordert Sozialarbeiter_innen an den Schulen, die nicht nur für ein paar Stunden in der Woche vor Ort sind. Sie selbst scheiterte beim Suchen nach Hilfe nicht nur am Unverständnis ihrer Lehrerinnen, sondern auch an den organisatorischen Hürden: «Wenn es Vertrauenspersonen gab, hatten die Sprechzeiten während des Unterrichts, wenn man dort hingeht, fällt es gleich auf. Das müsste viel niedrigschwelliger sein.» Sie will selbst ihren Teil zur Lösung derartiger Situationen beitragen – und studiert Soziale Arbeit: «Ich habe durch diese Erfahrung viel gelernt, und vielleicht würde ich sonst nicht das machen, was ich jetzt mache.»
* Name von der Redaktion geändert
Rat auf Draht
Rat auf Draht ist seit 1987 eine Beratung für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen. Unter der Nummer 147 (kostenlos) sowie online (www.rataufdraht.at/online-beratung) und im Chat (www.rataufdraht.at/chat-beratung) stehen geschulte Berater_innen rund um die Uhr österreichweit zur Verfügung, um ihnen zu helfen.
Georg Schinko studierte Wirtschaftssoziologie und Geschichte. Er lebt und arbeitet als freier Journalist in Wien.