Muttis kleiner SexuellerArtistin

"Alle unsere Vorbilder haben Teller gewaschen": Branko Andric, Urbanist

In Wien ist er eher als Zeichner bekannt, in Novi Sad als unangepasster Literat und als grau gewordenes Faktotum des dortigen experimentierfreudigen PunkRockJazz-Schmelztiegels. Vielleicht wird ihn Europa bald als Filmstar kennen. Als einen, der einen obdachlosen „Gastarbeiter“ in Wien spielt und in vielen Aspekten auch sich selbst.Wenn man Sie zu mir sagt, glaube ich immer, ein anderer ist gemeint, eine neben mir stehende Person. Ich selber fühle mich da nie angesprochen. Aber niemand steht neben mir.“ So beginnt das Gespräch mit Branko Andric. „In Wien wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben gefragt: Bist du Serbe oder Kroate? Über solche Sachen habe ich nie nachgedacht. Der Krieg hat uns dann gespalten, aber ich nehme eine Tendenz der Normalisierung wahr. Ich versuche, mich wie ein Europäer zu fühlen. Leider habe ich kein Geld, in Europa zu leben. Nämlich überall in Europa.“ So endet das Gespräch.

Dazwischen ein Mäandrieren, unchronologisch, durch das Bohème- und Künstlerleben, das seit mehr als 30 Jahren zwei Fixpunkte kennt, zufällig am selben Strom: Wien und Novi Sad.

„Ich habe in Jugoslawien studiert“, erzählt der heute 62-Jährige. „Als Absolvent einer Uni konnte ich auf unterakademischem Niveau nicht arbeiten, das war jugoslawisches Gesetz. Einem diplomierten Politologen durfte das Arbeitsamt nicht eine mindere Arbeit vermitteln. Ich war aber damals schon als Dichter bekannt, ein Politologenjob hat mich nicht so sehr interessiert. 1968 hatte ich zu schreiben begonnen, habe mehrere Preise gewonnen. Es waren noch gute Jahre für Literaten.“

Ein im Eigenverlag veröffentlichtes Buch hieß „“Ich bin Muttis kleiner Sexueller““. Branko Andric ging vorher zum Staatsanwalt und fragte, ob der Inhalt gegen jugoslawische Gesetze verstoße. Zensur gibt es bei uns nicht vor der Veröffentlichung, sondern nachher, antwortete er. Es passierte nichts, obwohl es damals ganz unüblich war, etwas im Eigenverlag herauszubringen, und obwohl sich die Repräsentanten der Anständigkeit fürchterlich aufregten. „Aber der Inhalt war ganz harmlos“, erklärt Andric. „Es geht in einem Gedicht darum, dass die Mutter mir im Bett das Frühstück reicht. Natürlich gibt es Zweideutigkeiten im Text, aber harmlos im Vergleich zu dem, was heute jeden Tag im Fernsehen läuft. Heute ist auch ein ödipale Beziehung mit der Mutter kein Tabu mehr.“

Fast zehn Bücher hat Andric bis heute veröffentlicht, die meisten in serbischer Sprache. Für die „Wiener Kunsthefte“ verfasst er regelmäßig Gedichte in „Tschuschendeutsch“, die grammatikalischen Delikte versteht er als Teil seiner Kunst.

Branko Andric erlebte die 68er-Revolte in Belgrad mit. Belgrad war pariserischer oder berlinerischer als Wien in diesen Wochen. Aber das war auch keine Kunst, denn die Bewegung schien um Österreich einen Bogen zu machen. Andric erinnert sich im Augustin-Gespräch an eine große Demo vor einem US-Kulturzentrum in Belgrad, gegen den Krieg in Vietnam. Die Polizei hatte die allabendlichen Demos zuvor immer toleriert. Gegen diese große Demo wurden aber erstmals Wasserwerfer eingesetzt. „Ich hatte die Dinger nie zuvor gesehen. Ich habe mich vollkommen verloren gefühlt, unter diesen Wasserwerfern und im Schlagstockgewitter. Weil damals schon evident war, dass auch der jugoslawische Sozialismus verbürokratisierte, haben sich die Demos der 68er-Bewegung bald auch gegen die ,rote Bourgeoisie‘ gewandt“, erzählt Andric. Die langsam erstarrenden Verhältnisse in Titos Republik sollten später den Entschluss, in die Welt hinaus zu gehen, erleichtern. Jugoslawien war nicht mehr die gelebte Utopie.

Die Dörfler sind die Fremden, auch wenn sie dieselbe Sprache sprechen

„Ich bin immer gerne ins Ausland gefahren, der jugoslawische Reisepass war damals noch ein überall beliebter Pass, was die Befriedigung unserer Reiselust erleichterte.

Seit Sommer 1972 bin ich in Wien, weil auch meine Freundin aus Novi Sad hier lebte. Vorher habe ich an der Stanfort University in den USA gearbeitet, in der Küche. Der Küchenjob ist mir auch in Wien geblieben, allerdings nur ein paar Monate lang. Ich war Geschirrwäscher, wie so viele Schriftsteller und Musiker vor mir. Schaljapin, Jack London, alle unsere Vorbilder haben Teller gewaschen. Später habe ich auch die Nachteile dieses Jobs kennen gelernt“, sagt Branko Andric.

Andric blieb in Wien kleben, obwohl er sich eigentlich geschworen hatte, diese Stadt zu meiden: „In Wien war ich erstmals 1971, fünf Tage lang. Ich weiß noch, was ich mir damals vornahm: Hier werde ich nie leben. In einer Stadt, in der die Straßenbahn voller Menschen ist, und keiner redet ein Wort, kannst du nicht leben, dachte ich mir. Das ist eine tote Stadt, unvorstellbar. Und jetzt bin ich mehr als 30 Jahre in diesem Friedhof. Und rede ebenfalls nichts in der Straßenbahn.“

Mit unserer Vermutung, Branko Andric habe mit Wien eben einen Ort zur Lebensstadt gewählt, der zwar „im Westen“ liegt, aber durch die massive Präsenz seiner Landsleute genügend balkanisch ist, liegen wir ziemlich falsch. Wien ist genügend urban, darauf kommt es ihm an: „Für mich spielt der Umstand, dass Wien eine sehr balkanische Stadt ist, an der an jeder Ecke serbisch und kroatisch geredet wird, eine geringe Rolle. Denn die meisten Migranten aus Ex-Jugoslawien kommen vom Dorf oder von der Kleinstadt, ich aber bin leibhaftiger Städter. Die Masse der balkanischen Minderheit in Wien vertritt also nicht unbedingt mein Milieu. Ich besuche Vernissagen und Rockkonzerte, dort treffe ich Städter und keine Dörfler. Mit ,Landsleuten‘, die bis Freitag mittags in Wien arbeiten, dann nach Bosnien fahren, um vor ihrem Häuschen einen neuen Zaun zu machen und samstags in Serbien schnell irgendwas zu betonieren, bevor sie zurück nach Wien fahren, kann ich nichts anfangen. Ich baue kein Haus in Jugoslawien, ich will dort unten niemandem beweisen, dass ich in Wien genügend verdiene.“

In Wien komplettierte Branko Andric sein multiartistisches Spektrum. Der Rockmusiker und Dichter fing zu zeichnen an. 1975 gewann er einen Zeichenwettbewerb. Preis: 20.000 Schilling, damals eine ungeheure Summe. Seit 1974 ist er als freischaffender Künstler registriert.

Die Arena war fast so enttäuschend wie die Wiener Straßenbahn: „Als ich die Arena in Wien kennen lernte, assoziierte ich zunächst Andy Warhols Factory mit diesem ehemaligen Wiener Schlachthof – obwohl ich nie in New York war. Ich dachte mir, die Arena sei ein guter Ort, um Kunst zu produzieren. Aber zu wenige Leute hatten Interesse an so etwas. Es ist eine Location für Konzerte und nicht eine Warholsche Werkstatt geworden. Ich bin trotzdem lange in der Arena geblieben, als Mitarbeiter für alles.“

Realer Underground, fiktive „Gruft“

Seit 1980 hat Branko Andric in Novi Sad seine eigene Band: „Imperium of Jazz“. Sie spielte ein paar Mal auch in der Arena. Meistens tritt sie aber auf, wenn Branko wieder einmal zu Besuch in Novi Sad ist. Es ist eine Art unorthodoxer, experimenteller Rock, ein eigenartiger Punk; die Gruppe bestand ursprünglich hauptsächlich aus Jazzern, derzeit dominieren aber Mitglieder der aufgelösten Novi Sader Punkband „Pekingente“.

„Wir spielen ununterbrochen dreieinhalb Stunden in einem Wahnsinnstempo, zwei Schlagzeuge, ein Computer, zwei Gitarren und ein Cello donnern von der Bühne herab. Es ist Underground, aber bekannt zwischen Novi Sad und Belgrad. Auch weil das Fernsehen unsere Konzerte überträgt. Das wäre beim ORF unvorstellbar. Unser Manager sagt, in Novi Sad gibt es im Moment sicher 100 Bands. So eine Dichte kann ich mir für Wien schwer vorstellen. Novi Sad wird etwa so groß wie Graz sein. Rockmusik und Punk ist eine beliebte Kultur in Novi Sad, es gibt viele Clubs, in denen regelmäßig gespielt wird. Viele spielen englische Texte. Selbst während der Bombardierung durch die NATO war die Rockmusik lebendig“, schwärmt der in die Jahre gekommene Punker.

Mit dem genialen jugoslawischen Regisseur Zelimir Zilnik schrieb Andric das Drehbuch zu dessen Film „So wurde der Stahl gehärtet“ (1989), der ein Welterfolg wurde. In einem der weiteren Filmprojekte Zilniks wird Branko Andric die Hauptrolle spielen: „Ich werde mich selber darstellen, mein Leben, aber nicht eins zu eins. Ich gebe einen bosnischen Gastarbeiter in Wien ab. Vieles in der Handlung, die zum Großteil in Wien spielt, hat Berührungspunkte zu meinem Leben.“ Allerdings ist der Film-Branko ein Obdachloser, laut Drehbuch kreuzt er die Wege des „Stimmgewitter Augustin“ und übernachtet in der „Gruft“. Jeder Arbeitslose in Wien sei ein Aristokrat im Vergleich zu einem Gastarbeiter ohne die richtigen Papiere, meint Branko Andric: So ein Mensch sei vogelfrei.

Er selbst war nie obdachlos, hat aber eine Zeit lang in einem Abstellraum gewohnt. Heute ist Branko Andric österreichischer Staatsbürger und lebt in einer Gemeindewohnung. Die Tochter arbeitet bei der Caritas in einem MigrantInnen-Projekt, der Sohn studiert in Wien. Werden die Secondas (wie anderswo die Menschen der „zweiten Generation“ genannt werden) dafür sorgen, dass das Schweigen in den vollen Straßenbahnen gebrochen wird?

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