«Nur manchmal öffnet sich ein Spalt»vorstadt

20 Jahre Augustin – Jahrgang 2013: «Rummel Hummel» in der ehemaligen Lusterfabrik zu Hernals

Bald werden die Loftwohnungen in der ehemaligen Lusterfabrik in Hernals bezogen sein. Dort, wo im Jahr 2013 für ein halbes Jahr ein künstlerisch experimenteller Jahrmarkt stattgefunden hat. Christian Bunke (Text und Fotos) hat sich am Beispiel Lusterfabrik das Thema «Zwischennutzung in Wien» näher angesehen.Wenn man auf der Hernalser Hauptstraße beim Bahndamm der Vorortelinie rechts in die Dittersdorfgasse hineingeht, steht man plötzlich einem Tiger gegenüber. Nein, kein echter. Dafür aber in Überlebensgröße, angemalt an die Fassade der Hausnummer 8. Der Tiger ist ein Überbleibsel des «Rummel Hummel», ein Kunstprojekt, das hier von April bis Oktober 2013 beheimatet war. Jetzt ist das Haus eingerüstet, ein riesiges Transparent preist in Bälde hier zu erwerbende Lofts an.

In den Monaten seiner Existenz war das Rummel Hummel ein Ort spontaner Kreativität. Jede_r konnte vorbeikommen und sich austoben. Eingefädelt wurde das ganze von Andreas Gebhard, dem Geschäftsführer einer Immobilienfirma. «Die Liegenschaft stand sechs Monate leer, da wir erst 2014 mit dem Umbau begonnen haben. Wir wollten für diese Zeit eine sinnvolle Nutzung haben, damit es nicht einfach brachliegt. Ich habe kritische Leute gesucht und gefunden, die etwas damit anfangen konnten.»

Wer soll in die Lofts einziehen, wenn alles fertig ist? «Unsere Zielgruppe sind Selbstständige aus den Feldern Werbung, Film, kreative Berufe», so Gebhard. «Oder junge Anwält_innen, die nach einem Ort für ihre erste Kanzlei suchen.» Da hatte das Rummel Hummel also einen gewissen Werbeeffekt? «Absolut. Das Haus ist eine alte Fabrik. Da wollte ich über Kunsthandwerk und Kunst den Bogen zu der Zielgruppe spannen, die ich später in dem Haus haben möchte.»

Damit sind wir schon mitten im Thema Zwischennutzung. Es handelt sich hierbei um die zeitweise Bespielung leerstehender Gebäude, bis diese einer neuen Nutzung zugeführt werden. Idealerweise zahlen die Zwischennutzer_innen höchstens die Betriebskosten des Gebäudes. Kulturschaffende finden so einen Ort, um sich auszuleben, Eigentümer_innen bleiben zumindest zeitweise nicht auf den Kosten sitzen.

So die Theorie. In der Praxis ist das Thema Zwischennutzung längst zu einem Dauerbrenner stadtentwicklungspolitischer Debatten geworden. 2010 beschloss die damals frisch gewählte rot-grüne Stadtregierung die Einrichtung einer «Leerstandagentur». Dann tat sich erst mal nichts. Ende Juli 2015 wurde schließlich eine Ausschreibung für eine «Serviceeinrichtung ‹Kreative Räume›» gestartet.

Die Stadt Wien sucht nach «Unternehmen, Vereinen, Konsortien oder Einzelpersonen, die mit der Kultur-, Kreativ- und Immobilienbranche vernetzt sind […]», und: «Die Agentur wird ihren Fokus auf Kreativwirtschaft, Start-ups sowie Kunst und Kultur legen und in enger Abstimmung mit der Stadt agieren.» Im Jänner 2016 soll die Agentur mit ihrer Arbeit beginnen.

Skepsis ist angebracht

Mit einer, milde gesagt, gewissen Skepsis beobachten Theresa Schütz und Willi Hejda von der IG-Kultur die obige Definition der Stadt Wien. In der IG-Kultur sind 120 Einrichtungen der freien und autonomen Kulturszene organisiert. Unter den bekannteren Mitgliedsgruppen sind das «WUK» oder auch das «Amerlinghaus».

Anfang Oktober konnte man die beiden öfter im ehemaligen Finanzgebäude in der Nähe des Bahnhofs Wien-Mitte antreffen. Dort fand, vom zweiten bis zum zehnten Oktober, das «Urbanize-Festival» der Zeitschrift «dérive» statt. Auch das war in gleich zweifacher Hinsicht eine Zwischennutzung. Denn das Festival teilte sich das im Besitz der Bundesimmobiliengesellschaft stehende Haus mit Asylsuchenden, für die hier eine Notunterkunft eingerichtet wurde. Später soll hier einmal die Universität für Angewandte Kunst einziehen.

«Das Problem der Kommunikation mit der Stadt Wien ist, dass man als Kultureinrichtung auf der einen Seite vor einer verschlossenen Tür steht. Nur manchmal öffnet sich ein Spalt und man kann etwas erkennen. Auf der anderen Seite will das Rathaus alles so weit wie möglich kontrollieren», so Schütz. In den Ausschreibungsprozess wurde die IG-Kultur nicht einbezogen. «Wir befürchten, dass durch die neue Serviceeinrichtung ein Image verwaltet werden soll, bei dem gleichzeitig Künstler_innen in einen Zustand dauerhafter Prekarisierung gehalten werden», ergänzt Hejda. «Dauerhaft existierende Einrichtungen wie das Amerlinghaus, die für alle möglichen Gruppen zeitweise Räume zur Verfügung stellen, müssen um jeden Cent von der Stadt kämpfen.»

Ist Zwischennutzung also schlecht? «Das nicht», sagt Theresa Schütz. «Für manche Künstler_innen sind das gute Möglichkeiten, unbürokratisch zeitlich begrenzte Projekte durchzuführen. Es fehlt aber an dauerhaften selbstverwalteten und nichtkommerziellen Strukturen. Daran hat die Stadt kein Interesse. Ihr geht es darum, über die ‹Kreativindustrie› einen Nutzwert für Investor_innen zu schaffen. Die Interessen der Nutzer_innen werden kaum berücksichtigt.»

Ist in Wien von Zwischennutzung die Rede, dann fallen in der Tat oft wirtschaftliche Argumente. So schreibt etwa ImPlan-Tat, ein Netzwerk für Zwischennutzungen, von «Win-Win-Situationen»: «Leerstehende Gebäude und nicht genutzte Grundstücke verursachen für den Eigentümer laufende Kosten […]. Eine Form nicht-monetärer Förderung von Zwischennutzungen ist die Überlassung von Räumen oder Flächen zu günstigen Konditionen. Flächen können innovativ genutzt und dadurch instand gehalten und vor Vandalismus geschützt werden, ein Werterhalt bis zur Wertsteigerung der Fläche kann so erreicht werden.»

Festival nützt der Aufwertung

Eine Person, die sich seit Jahren im Spannungsfeld zwischen derlei Wirtschaftsinteressen und kultureller Zwischennutzung bewegt, ist Ula Schneider, Mitorganisatorin des «Soho in Ottakring» Festivals, welches alle zwei Jahre stattfindet. Zwischennutzung ist wesentlicher Bestandteil des Veranstaltungskonzeptes. Ziel ist es, Fragen nach Teilhabe und Mitsprache im öffentlichen Raum zu stellen. Von 1999 bis 2012 wurden leerstehende Gebäude rund um den Brunnenmarkt genutzt. Aus dem Stegreif kann sie ein halbes Dutzend Gebäude aufzählen, die früher von «Soho», heute von neuen Lokalen und Geschäften genutzt werden. Darunter das ehemalige Marktamt, in dem jetzt das Outlet einer stadtbekannten Brauerei residiert.

«Manche Eigentümer_innen haben unser Festival als einen willkommenen Anlass zur Aufwertung benutzt», so Ula Schneider. «In einem Fall waren wir für zwei Wochen in den Räumen eines großen ehemaligen Textilgeschäftes. Der neue Eigentümer hat es zwei Wochen später abreißen und ein neues Haus errichten lassen. Er hat auch unsere Eröffnungsveranstaltung besucht, da ging es sicher auch darum, einen positiven Imagewandel zu erzielen.»

Jetzt gibt es am Brunnenmarkt keinen Leerstand mehr zu bespielen. Der Platz ist längst zu einem kulturellen Hotspot geworden. «Soho in Ottakring» ist derweil weitergezogen. Die Initiative ist nun Sandleitenhof in der Liebknechtgasse. «Auch in diesem Gemeindebau gibt es Leerstand. Zum Beispiel ein Kino. Ab Mitte Oktober machen wir dort eine Ausstellung zu «Migration der Esskultur».

Von der geplanten «Serviceeinrichtung ‹Kreative Räume›» wünscht sie sich eine Vermittlungsfunktion: «Sie sollte Aufklärungsarbeit unter Eigentümer_innen betreiben. Da fehlt es oft an Vertrauen und Kenntnissen. Zum Beispiel sollte Klarheit darüber herrschen, dass eine Zwischennutzung für die Nutzer_innen nichts kosten darf. Oft werden immense Mieten verlangt.»

Die rechtliche Grundlage für Zwischennutzungen sind übrigens sogenannte «Prekariumsverträge», übersetzt: Bittleihe. Die Definition dafür findet sich im §974 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Demnach kann «der Verleiher […] die entlehnte Sache nach Willkühr [sic] zurückfordern».

Willkür und Bittstellerrolle werden all jenen bekannt vorkommen, die sich in unsicheren und befristeten Jobs oder Wohnsituationen wiederfinden. In beiden Fällen darf man höchstens um eine Verlängerung betteln und ist der Willkür von Vorgesetzten und Eigentümer_innen ausgeliefert. Von der Stadt Wien als Bittsteller_innen behandelt fühlten sich auch jene Kulturinitiativen, die am 3. Oktober ihren Protest unter dem Motto «Eine andere Kulturpolitik ist nötig» auf die Straße trugen. Unter anderem forderten sie mehr Platz für nichtkommerzielle Projekte sowie bessere Finanzierung. So etwas lässt sich nicht erbitten. Dafür kann man nur kämpfen.