Park oder Parken?vorstadt

Streit am Naschmarkt. Ein riesiger Parkplatz soll einem Park weichen, denn Mariahilf will grüner, ruhiger, kühler und fahrradfreundlicher werden. Aber bitte nicht auf dem Rücken von Geringverdiener_innen! Eine Geschichte über einen Widerspruch, der keiner sein muss.

Text: Hannes Greß
Fotos: Jana Madzigon

Michi Reichelt hat sich gerade einmal vorgestellt und kommt auch schon zum Punkt. Der Naschmarktparkplatz ist ihm ein Dorn im Auge. Der Grünen-Politiker, stellvertretender Bezirksvorsteher von Mariahilf, steht am Ausgang der U4 Kettenbrückengasse und blickt auf den 10.000 Quadratmeter großen Naschmarktparkplatz, eine «Asphaltwüste», wie Reichelt sie nennt. Geht es nach ihm und den Grünen Mariahilf, soll aus der Wüste eine Oase werden, mit Bäumen, Sitzgelegenheiten, offenem Wasser und einem Radspielplatz.
Den grauen Naschmarktparkplatz zum grünen Naschmarktpark zu machen war eines der Leuchtturmprojekte der Mariahilfer Grünen im Bezirkswahlkampf. Eines jener Projekte, wie sie den Sommer über in vielen anderen Bezirken auftauchten, in Form von Gürtelpools, Pop-up-Radwegen, verkehrsberuhigten Zonen, Grünoasen. Eines jener Projekte, die bei der Opposition und in Teilen der SPÖ gar nicht gut ankamen. Und eines jener Projekte, die laut Luise Bacher, Sprecherin der Aktionsgruppe «System Change, not Climate Change!», nicht ausreichen, um das Problem wirklich an der Wurzel zu packen.

Sorgenkind Verkehr.

Das Verkehrsthema ist in Wien seit langem eines, das polarisiert, vor allem in Wahlkampfzeiten. Ein Forscher_innenteam der ETH Zürich (crowtherlab.com) strich unlängst heraus: Wien wird sich bis 2050 um bis zu 7,6 Grad aufheizen, sollten wir so weiterleben und -fahren wie bisher. Und in Sachen Klima- und Umweltschutz ist der Verkehrssektor Österreichs großes Sorgenkind, hier sind die jährlichen CO2-Emissionen – trotz Klimazielen – zum fünften Mal in Folge gestiegen, wie der VCÖ (Verkehrsclub Österreich) feststellt. Doch klar ist auch: Rund 263.000 Menschen kommen täglich aus dem Umland nach Wien zur Arbeit. Von der Lebensqualität, die durch grüne «Leuchtturmprojekte» innerhalb des Gürtels geschaffen werden, profitieren sie kaum. Wo aber liegt die Grenze zwischen grüner Klientelpolitik, Umweltschutz und den Anliegen der Pendler_innen, zwischen vermeintlichem «Bobo-Aktionismus», einer lebenswerten Stadt für alle und sozial gerechter Umweltpolitik? Genauer gefragt: Wer profitiert, wenn aus dem Naschmarktparkplatz ein Naschmarktpark wird – und wer nicht?

Wertvolle Quadratmeter.

Darauf angesprochen will Christian Gratzer, Sprecher der Mobilitätsorganisation VCÖ, eine viel grundsätzlichere Frage stellen: «Warum ist es überhaupt legitim, ein Auto im öffentlichen Raum abzustellen? Wenn Sie einen Tisch und zwei Sesseln hinstellen und sich hinsetzen, bekommen Sie eine Strafe.» Auf den Naschmarktparkplatz könne man laut Gratzer neben einem Tisch und zwei Sesseln noch eine ganze Menge anderer Dinge hinstellen, statt hunderten Autos. Bei den 10.000 Quadratmetern an der Wienzeile handle es sich einerseits um eine «extrem wertvolle Fläche», andererseits um eine, «die sich im Sommer unglaublich aufheizt».
Extrem wertvoll ist die Fläche auch für Heinrich. Seit achtzehn Jahren kommt er, der hier nur seinen Vornamen nennen möchte, samstags als Händler zum Naschmarktflohmarkt. Und seit achtzehn Jahren werde seine Situation prekärer, erzählt er. Höhere Gebühren, strengere Auflagen, aufgrund der Coronapandemie wurde die Schließzeit auf Betreiben des Marktamtes von 17 auf 13 Uhr vorverlegt. Als er hört, dass aus dem Parkplatz mutmaßlich eine Grünoase werden soll, ist er wenig begeistert. «Sämtliche Aktionen der Grünen der vergangenen Jahre hatten zur Folge, dass der Flohmarkt immer mehr beschränkt wurde.» Sitzgelegenheiten und schattige Plätzchen hin oder her, «ich denke mir, dass es einfach eine Aktion ist, den Flohmarkt langsam aber sicher abzuschaffen». Für Heinrich ist der Flohmarkt am Naschmarkt seit jeher «eine wunderbare Institution, wo Recycling – auch im grünen Gedanken – passiert, aber dass man da dagegenarbeitet, finde ich gar nicht grün».
Kiloweise CO2. Von Abschaffen, beteuert Reichelt, könne keine Rede sein. Vielleicht wird man die Standplatzierungen anders aufteilen müssen, aber insgesamt könne auch der Flohmarkt von einer grünen Aufwertung profitieren. Reichelt schwebt «das Beste aus allen Welten» vor: ein Radspielplatz, ein Park und genügend Raum für die Flohmarktstandler_innen. Zwei Prozent der Flächen in Mariahilf sind Grünflächen, nur in der Josefstadt ist der Anteil noch geringer. «In so einem Bezirk kannst du nur Platz schaffen, indem du in den Straßenraum eingreifst», meint Reichelt. Gegen einen Park hätten wohl die wenigsten Mariahilfer_innen etwas einzuwenden. Wohl aber die Autofahrer_innen, die den Parkplatz nutzen – und die kommen meist nicht aus dem 6. Bezirk.
Parken als Argument gegen den Park, das will Gratzer so nicht gelten lassen. Für den VCÖ-Sprecher ist klar, «dass die Wohnqualität der Menschen Vorrang haben muss vor dem Bedürfnis, mit dem Auto nach Wien reinzufahren». In einer Stadt wie Wien, international um die Dichte des öffentlichen Verkehrssystems beneidet, «gibt es kaum einen Bereich, der so gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist wie jener innerhalb des Gürtels», bekräftigt Gratzer. Und Reichelt betont, dass Autos auch nicht zwangsweise an der Oberfläche stehen müssten. Ein Teil davon könne in Tiefgaragen untergebracht werden, ein anderer Teil könne weiterhin am Naschmarkt parken und ein dritter Teil werde langfristig wegfallen, weil die Zahl der PKWs in Wien ohnehin seit Jahren sinkt – und weiter sinken müsse.
Der Straßenverkehr verursacht rund ein Drittel der österreichischen CO2-Emissionen – gemäß den Klimaschutzzielen sollen diese bis 2030 um ein Drittel sinken, bis 2050 Netto Null erreichen. Aktuell ist der gegenteilige Trend zu beobachten, seit 1990 haben sich die Emissionen in dem Sektor nahezu verdoppelt. Der Einsatz von Elektromotoren oder Brennstoffzellen kann hierzu zwar einen Beitrag leisten, aber langfristig muss das Verkehrsaufkommen insgesamt sinken, um die nationalen Klimaziele zu erreichen, wie der Sachstandsbericht Mobilität des Umweltbundesamtes herausstreicht. Zum Vergleich: Pro Kopf gerechnet verursacht laut einer Berechnung des VCÖ eine Fahrt mit einem Diesel-PKW rund 15-mal mehr Emissionen, als wenn dieselbe Strecke mit einer Bahn der ÖBB zurückgelegt wird. Von den insgesamt 3,8 Kilogramm CO2-Emissionen im Bereich Verkehr, die in Wien pro Kopf und Tag anfallen, gehen 3,4 Kilogramm auf das Konto des Individualverkehrs.

Privileg der Gutverdiener_innen.

Mit weniger Parkplätzen könnte auch Renate Wagner gut leben. Die 78-Jährige arbeitet seit dreißig Jahren am Naschmarktflohmarkt. Die meisten ihrer Kund_innen seien Tourist_innen – «und die kommen alle mit den Öffis», meint Wagner. Ein paar Parkplätze sollten schon bleiben, aber ein paar weniger wären verkraftbar. Das Grünen-Projekt beäugt sie zwar etwas skeptisch, «aber wer weiß, vielleicht würde das den Flohmarkt etwas aufwerten, wenn der Parkplatz ein bisschen kleiner und dafür grüner ist», mutmaßt Wagner.
Reichelt glaubt, die Umwandlung vom Parkplatz in einen Park bedeute für den Flohmarkt sogar eine Aufwertung. Dass hier «direkt neben einer U-Bahn-Station» 10.000 Quadratmeter Fläche als Parkplätze herhalten müssen, ist für ihn «ein Wahnsinn». Um zu verhindern, dass Leute mit dem eigenen Auto bis in die Innenstadt fahren, müsse man sich auch über Parkpreise unterhalten. «Kurzparken», betont Reichelt, «ist in Wien viel zu billig». Dem pflichtet auch Gratzer bei. Den vielzitierten Einwand, dass eine Anhebung der Parkgebühren auf Kosten der Geringverdiener_innen ginge, hält er für einen Mythos. «Umgekehrt!», der Besitz eines PKWs sei ein Privileg der Besserverdienenden, also jener, die eher in grünen, verkehrsberuhigten Gegenden der Stadt wohnen, vom Lärm und Abgasen der Verkehrskolonnen wenig mitbekommen. Das führe zu der «absurden Situation, dass viele Menschen, die beispielsweise entlang des Gürtels, der Westeinfahrt oder der Triester Straße wohnen, zwar selbst kein Auto besitzen, aber große Mengen an Autoabgasen einatmen müssen.»
Das belegen auch Zahlen der Statistik Austria. Demnach besitzen im oberen Viertel der Einkommenspyramide lediglich neun Prozent keinen PKW, im unteren Einkommensquartil ist es knapp die Hälfe, die ohne Auto auskommt. Gleichzeitig fühlen sich Geringverdiener_innen ungleich mehr von Autolärm und Geruchsentwicklung gestört als Besserverdienende.
Gratzer wehrt sich gegen die These, wonach eine Politik, die den öffentlichen Raum auf Kosten des Autoverkehrs aufwerten will, ein reines «Bobo-Thema» sei, bloß eine Angelegenheit für gutverdienende Radfahrer_innen der inneren Bezirke. Er verweist auf die unlängst veröffentlichte Greenpeace-Studie Klimaungerechtigkeit in Österreich, nach der die reichsten zehn Prozent der Einkommen doppelt so viele Emissionen verursachen wie die oder der Durchschnittsverdiener_in. Besonders drastisch ist die «Klimaungerechtigkeit in Österreich» dem Bericht zu Folge im Verkehrssektor.

Umverteilung als Umweltpolitik.

Wenn es Reiche sind, deren umweltschädliches Verhalten besonders groß ist – reichen dann moralische Appelle, doch zukünftig bitte etwas mehr auf die (ärmeren) Mitmenschen zu achten? Statt dem SUV lieber mal die Bahn zu nehmen? Ein paar Euro mehr fürs Parken zu zahlen? Oder ist es nicht vielmehr umgekehrt: dass soziale Gerechtigkeit der eigentliche grüne Hebel der Wahl sein sollte? Anders gefragt: Wäre eine konsequente Umverteilungspolitik die effektivere Umweltpolitik?
«Die Grünen geben sich Mühe», kommentiert «System Change, not Climate Change!»-Sprecherin Luise Bacher mit einem Schmunzeln, «aber da geht sehr viel mehr.» Wolle man «wirklich progressiv» an das Thema Umweltschutz rangehen, brauche es deutlich mehr als teurere Parktickets, Pop-up-Radwege oder hie und da einen Park. Umweltpolitik will Bacher vor allem als Frage der Umweltgerechtigkeit behandelt wissen: Wem steht mit welchem (Un-)Recht welche Menge an Ressourcen zur Verfügung? Konsequente Umweltpolitik heißt für Bacher vor allem, die Systemfrage zu stellen. Denn unendliches wirtschaftliches Wachstum sei auf einem endlichen Planeten schlichtweg ausgeschlossen.
Im Kleinen werden all diese großen Fragen und Konflikte auf den 10.000 Quadratmetern Naschmarktparkplatz verhandelt. Wollen die Bewohner_innen des an Grünflächen besonders armen 6. Bezirks wirklich 10.000 Quadratmeter Fläche für Autofahrer_innen reservieren? Kann eine Stadt wie Wien es sich aus ökologischer Sicht leisten, solche Hitzeinseln mitten in der Stadt zu erhalten? Und welche Einkommensschichten profitieren von einem Park(platz) am Naschmarkt?
Sollte sich Reichelts Projekt in den nächsten Jahren verwirklichen lassen, profitieren zuvorderst die Mariahilfer_innen und das Klima im Bezirk. Langfristig können durch eine Verkehrspolitik, die den Individualverkehr in den Innenbezirken unattraktiver gestaltet, auch die Randbezirke profitieren, da der Druck wächst, den öffentlichen Verkehr in diesen Bezirken noch stärker auszubauen. So würden auch jene einkommensschwächeren Gruppen profitieren, die mangels Alternativen täglich mit dem teuren Auto statt mit den kostengünstigeren Öffis in die Innenstadt pendeln. Kürzer treten müssten jene einkommensstarken Gruppen, die es bisher für nötig gehalten hatten, mit dem eigenen PKW bis in die Innenstadt zu fahren, und ihn abends im verkehrsberuhigten, grünen Grätzel wieder abzustellen.
Ob das reicht? Ist das die «Wurzel», die Bacher bearbeitet wissen will? Nein, aber es ist im Rahmen der Bezirkspolitik ein Schritt in die richtige Richtung. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die Systemfrage wird sich nicht allein auf einem Parkplatz klären lassen. 

 

 

Wie der Schabernack den Naschmarkt rettete

Mitte der 1970er-Jahre wird im Wiener Rathaus ein kruder Plan in Sachen Stadterneuerung geschmiedet: eine Autobahn ins Zentrum. Dass es schließlich doch nicht so weit gekommen ist, verdankt sich einer skurrilen Begegnung zweier Schabernacks am Naschmarkt. Wenn Sie jetzt nur noch Autobahnraststätte verstehen, versuchen wir hier etwas Licht in diese Infrastruktursache zu bringen.
1972 wurde der Großgrünmarkt vom Naschmarktgelände nach Inzersdorf, wo er sich heute noch befindet, umgesiedelt. Zwei Jahre später rückte die Abrissbirne an, um die letzten verbliebenen Hütten vom Großmarkt wegzufegen. Die freigewordene Fläche sollte provisorisch als Parkplatz dienen (dieser besteht noch immer, siehe Hauptartikel). Nur provisorisch, weil nach dem Masterplan der Wiener SPÖ später die Westautobahn entlang des Wienflusses bis zum Karlsplatz führen sollte. Dieses Asphaltband hätte der Genussmeile Naschmarkt natürlich den Garaus gemacht, wäre nicht der Geologie- und Philosophiestudent, Musiker und Autor Alf Krauliz wieder einmal, wir befinden uns jetzt im Jahr 1975, über den Naschmarkt spaziert.
Krauliz stieß dabei auf den Obststand Schabernack und fragte nach, «wieso dieser Name?», er habe nämlich einen Song mit diesem Titel geschrieben. «Der Händler», erzählt Alf Krauliz dem AUGUSTIN, «hat dann halbert zum Heulen angefangen, weil ‹wir wern in sechs Wochen ogrissn, es kummt a Autobahn eini, wir wern daun weg miassn›». Der Künstler hatte somit zwei Fliegen mit einer Klatsche erwischt: Zum einen wurde ihm der Stoff für ein Musical, für das er bereits von den Wiener Festwochen einen Auftrag erhalten hatte, geliefert, zum anderen fühlte sich der Künstler zur Gründung einer Bürger_inneninitiative berufen. Seinen Worten nach eine der ersten in Wien, und mit durchschlagendem Erfolg. Krauliz «verbrüderte» sich mit Dietmar Steiner (1951–2020), dem Architekten und späteren Direktor des Architekturzentrums Wien. Sie verfassten ein Manifest und lancierten eine Unterschriftenaktion gegen die Schleifung des Naschmarktes. «Mit 10.000 Unterschriften bin ich ins Rathaus gegangen und habe sie dem Poldi Gratz, dem damaligen Bürgermeister, auf den Tisch gelegt.» Eine nachhaltige Performance des Bandleaders vom «Misthaufen» (so hieß die Truppe rund um Alf Krauliz), denn Hans Mayr, zu dieser Zeit Stadtrat für Finanzen und Wirtschaft, «verkündete im August 1975 das vorläufige Aus für den Bau der Schnellstraße und sicherte den Verbleib des Naschmarktes für die nächsten zehn Jahre zu», wie Beppo Beyerl in Der Naschmarkt. Wege durch Wiens kulinarische Herz (edition moKKa, 2009) schreibt.
Nicht nur die Unterschriftenaktion, auch das nach dem Song benannte Musical Schabernack, laut Alf Krauliz ein «Kampfstück gegen den Abbruch des Naschmarktes», fand so großen Anklang, dass im Jahr darauf eine Fortsetzung folgte. Und am letzten Aufführungstag von Schabernack II, dem 27. Juni 1976, nutzte Willi Resetarits die Gunst der Stunde: Nach einem Auftritt mit seinen Schmetterlingen manövrierte er sich und sein Publikum in die Arena, um gemeinsam mit den Besucher_innen von Schabernack II nichts weniger zu tun, als das Gelände zu besetzen. Der Rest ist große Wiener Kulturgeschichte, aber auch der Song Der Schabernack, von dem alles seinen Ausgang genommen hat, sollte in Österreich noch weltberühmt werden. (reisch)