Herr Groll auf Reisen, 401. Folge
An einem strahlend schönen Herbsttag wollten Herr Groll und der Dozent dem Ersten Österreichischen Tischlermuseum in Pöchlarn einen Besuch abstatten. Da das Haus aber geschlossen hatte, unternahmen sie einen Spaziergang am Donauufer und dem Hafen. Herr Groll war gut gelaunt, kein Wunder, die Donau duftete verführerisch nach rumänischem Schiffsdiesel, der von einem uralten Motorgüterschiff mit dem Heimathafen Giurgiu aufstieg. Der Dozent lobte die Farben des Waldes am gegenüberliegenden Ufer. Nur ein riesiger grauer Silo unterbrach das Farbenspiel. Auf dem Gebäude wurde für «Garant Tiernahrung» geworben.
«Früher steckten unzählige Wachtürme das Römische Reich von Nordafrika bis Ägypten und von Aquilea bis Worms ab, heute prägen Raiffeisen-Lagerhäuser das Land. Raiffeisen ist somit der Nachfolger des Römischen Reichs», erklärte Groll.
«Davon, dass die Nibelungen auf ihrer Kriegsreise nach Ungarn bei Rüdiger von Pöchlarn einige Zeit Halt machten, lebt die Region seit tausend Jahren», meinte der Dozent.
«Ja, der Tourismus ist wie ein gigantischer geschichtlicher Eisblock. Im Tourismus wird Geschichte eingefroren. Ötzi war ein derartiger Glücksfall, ebenso wie die waffenklirrenden Reisenden vom Niederrhein», bekräftigte Herr Groll und wandte sich der agrarischen Gegenwart zu.
«In den Lagerhäusern kaufen die Bauern einen Zusatz-Futtermix, genannt ‹Starter›– er enthält auch Antibiotika! – für ihre Jungtiere. Seit vielen Jahren kämpfen Grüne, Umweltgruppen und Ärzte gegen die flächendeckende Gabe von Antibiotika, die nicht nur die Umwelt vergiften, sondern auch dazu führen, dass immer mehr Menschen tödliche Antibiotika-Resistenzen entwickeln. Neulich hat die Agrarlobby und die mit ihr verbündete Lobby der Tierärzte im EU-Parlament gegen das teilweise Verbot von Reserve-Antibiotika gestimmt, auch die Abgeordneten von ÖVP, NEOS und FPÖ sind den Vorgaben des Agrarkapitals gefolgt. Nunmehr liegt der Ball bei der EU-Kommission», führte der Dozent aus.
«Die sich immer wieder durch heldenhafte Kämpfe gegen die großen Konzerne auszeichnet», ergänzte Groll.
«Ihr Sarkasmus ist unangebracht», tadelte der Dozent. «Die Lage ist dramatisch. Reserve-Antibiotika werden von Humanärzten nur in äußersten Notfällen verabreicht, wenn normale Antibiotika nicht mehr helfen. In der Bekämpfung einer akuten Sepsis sind sie oft das letzte Mittel, und selbst da ist ein Erfolg nicht garantiert.»
«Solange die Agrarmonopole und die meisten Tierärzte daran verdienen, wird sich nichts ändern», meinte Herr Groll. «Kommen Sie, ich lade Sie auf ein Glas Zweigelt im Nibelungenhotel ein.»