Rosablick: Musik!Artistin

Musikarbeiter unterwegs … Musik, bewegte Bilder und mehr

«Mut zum Wunsch» heißt das neue Album von Wende Punkt. Zwölf ­Lieder aus der Feder von Wendi Gessner. Pop? Chanson? Dringend hörenswert jedenfalls. Von Rainer Krispel (Text) und ­Mario Lang (Foto).Wien zwischen einem Winter, der nicht ganz aufhört, und einem Frühling, der nicht ganz anfängt. Die Musik hat immer Hochsaison. Wahrnehmungs-Schwergewichte wie Der Nino aus Wien («Wach»), Molden/Resetarits/Soyka/Wirth («Yeah») und 5/8erl in Ehr´n («Der Duft der Männer») haben neue Alben, Bilderbuch und Voodoo Jürgens scheinen (nicht mehr ganz) omnipräsent, eine Vielzahl toller Musik – wie jene von Wende Punkt – sucht sich ihre Nischen. Einer der unnötigsten Musikpreise weltweit, der Amadeus, wird sich demnächst «ereignen» und ein Zerrbild der hiesigen Musikszene vermitteln – die braucht ihn nicht. Mensch wird sich ­dennoch mit dem einen oder anderen Preisträger freuen, Preisträgerinnen werden sich in überschaubaren Grenzen halten. Besser: Demnächst (9. Mai) spielt ein Wahlwiener mit seiner Band Fehlfarben im 21er Haus ein seit 1980 (!) gültiges Album, «Monarchie & Alltag». «Das sind Geschichten, in Büchern gelesen, Geschichten aus dem täglichen Sterben …»

 

Wollen Sollen

Für das Foto treffen wir uns mit Wendi Gessner in einem Studio im 4. Bezirk. Wende-Punkt-Gitarrist Nikolaj Effendi arbeitet dort an einem Album, bei den Gesangsaufnahmen leiht ihm Wendi ein zusätzliches Paar Ohren. 2013 haben Wende Punkt ein erstes Album veröffentlicht, «Halt!». Vom damaligen Line-up ist nur mehr die Sängerin übrig, deren kreatives, sorgfältig gepflegtes und gehegtes Baby die Band ist. Die 1985 in Graz geborene Künstlerin verwendet dabei seit etwa 2010 Wende Punkt als Namen für ihre künstlerische Arbeit, die sich nicht auf Musik alleine beschränkt. Schauspiel und Graphik sind weitere Standbeine, auch bezüglich des materiellen Überlebens nicht unwesentlich. Ein ehemaliger Mitmusiker schlug Wendi Punkt als Name vor, das war ihr so aber dann doch zu nahe. Wobei sie sich in ihren Liedern ohnehin ganz schön weit aufmacht.

Ein Eindruck, den die klar verständlich gesungene Hoch/Schriftsprache – «meine Eltern und mein Umfeld haben so mit mir geredet» – noch verstärkt. «Und ich steh da mit dem lachenden weinenden Auge/frag mich, welches sieht klarer?» («Lachendes weinendes Auge»).

Mut zur Musik

Die Band-Besetzung des aktuellen Albums hat sich mehr oder minder zufällig ergeben. Eine geplante Tournee als Band Nikolaj Effendis, bei der Wendi als Instrumentalistin («das nahm seinen Anfang mit einem uralten Akkordeon vom Schrottplatz und Klavierunterricht in der Kindheit») beteiligt war, war im Vorfeld geplagt von Musikerausfällen. Bassist Marjan Metschina kannte einen Schlagzeuger, Patrick Huter, der als Substitut einsprang. Genau diese Besetzung «hat dann geclickt, so gut hat es sich selten angefühlt». Nach der Tour mailte Wendi die Beteiligten an, ob sie mit ihr das neue Album umsetzen wollen. Sie wollten. «Das Entwickeln der Lieder war ein Durchtanzen durch die Lieder, gefühlterweise, auch die Aufnahmen, das war ganz was Leichtfüßiges.» Den Wunsch nach solchen Abläufen können sicher viele Musiker_innen nachvollziehen, die so entstandene dynamische künstlerische Ebene half «Mut zum Wunsch» konkret auf den Weg zu bringen. «Beim Theater und bei der Graphik läuft’s gut, da kriegt man auch was dafür. Bei der Musik habe ich immer das Gefühl, man muss dankbar sein, dass man spielen darf, und ja nicht so frech sein, auch noch etwas dafür haben zu wollen.» In den zwölf Liedern, von Opener «Höhenangst» bis zum abschließenden «Rosablick» stecken gut eineinhalb Jahre Arbeit, ein umfassendes visuelles Konzept wird sich im Lauf des Jahres in zwölf Videos manifestieren. Die nicht zum Banalitätenstadl neigenden Lieder – ­Gessner nennt Lyrik/Musik von Eugen Roth, Hildegard Knef, Funny von Dannen oder Element Of Crime als Einflüsse – erörtern das vielbeschworene Politische und Private in einer ganz eigenen Form, die Leichtes und Schweres («es wär schön, wenn du bleibst/es ist gut, dass du gehst/kanns sein, dass du vor Logik die Welt nicht verstehst?») oft in ein Lied packt, auf eine Art, wie das länger nicht zu hören war. Hörbar, dass diese Lieder vom Text ausgehen. Gessners erste Lieder entstanden beim Vertonen fremder Gedichte, dem Wunsch nachgehend, diesen eine zusätzliche Form zu geben. Mit ihren eigenen Songs gewinnt sie «großen» Emotionen und Themen («Angstwut», «Schubladen») mit bewundernswerter Offenheit und ungekünstelter sprachlicher Klarheit neue Perspektiven ab. Fällt das Zuhören (Mitsingen, Mitfühlen) dabei weitgehend leicht, vergessen Wende Punkt und Wendi Gessner nicht darauf, die eigenen Komfortzonen und jene der Zuhörer_innen auch zu verlassen. «Und was sagen wir unseren Kindern, wenn sie uns fragen: Wieso habt ihr nichts gemacht? Wart ihr wirklich zu beschäftigt, diesen Mist zu hinterfragen? Ihr wart Trottel, das muss ich Euch schon sagen» («Was»).

 

Wende Punkt: ­­«Mut zum Wunsch» (Dramatic Pause)

Live: 28. April, Haus der Musik

www.wendepunkt.at