«Nach und nach trudeln auf Facebook Nachrichten von den ehemaligen Nachbar*innen ein. Jene, die bei jeder Beschämung, bei jeder Demütigung vorne mit dabei waren. Hey Dani, wie cool was du machst/treff ma uns mal/kann ich ein Buch haben … Bestes: Schade, dass du weggezogen bist. Wisst’s was: …». Der Tweed von Frau Sonnenschein aka Daniela Brodesser endet mit einer eindeutigen internationalen Geste. In ihrem Mitte März erschienenen Buch Armut schreibt sie: «Heute stelle ich mir oft die Frage, wie wohl alles verlaufen wäre, wenn ich von Anfang an offensiv mit unserer Armut umgegangen wäre. Ohne Angst vor Beschämung. Wahrscheinlich hätte ich uns einige Jahre an Isolation erspart.»
Wer in Österreich über Armutserfahrungen spricht, kommt an Daniela Brodesser nicht vorbei. So wie der Augustin es seit den 1990ern geschafft hat, Armut zu politisieren, hat Brodesser es in den letzten Jahren geschafft, die Verantwortung für die Armut zu entindividualisieren. «Je mehr Menschen sich vernetzen, desto mehr Bewusstsein entsteht darüber, dass Armut ein strukturelles Problem ist. Und desto weniger funktioniert Beschämung. Genau da müssen wir hin: uns nicht mehr beschämen zu lassen.» In ihrem Band schreibt sie die Armutsgeschichte ihrer Familie in eine Analyse von Armut ein. Eindrücklich erzählt sie davon, wie überraschend die Armut kommen kann und wie unbeweglich sie macht – im konkreten und im übertragenen Sinn. Wie viel Anstrengung es brauchte, um nach Jahren wieder ein paar wackelige Schritte hinaus machen zu können; vom «leichten, leisen Aufatmen», als wieder genug Geld da war, um «Fixkosten, Lebensmittel und mal 7 Euro hier oder 5 Euro dort» bezahlen zu können. Von Teilhabe, Ausgrenzung und den gesellschaftlich weit verbreiteten Wissenslücken darüber, was Armut eigentlich ist. Genau die kann man beim Lesen von Brodessers Buch ein für alle Mal schließen.
Daniela Brodesser: Armut
Kremayr & Scheriau 2023
101 Seiten, 20 Euro
Buchpräsentation:
27. März, 19 Uhr
Hauptbücherei, 7., Urban-Loritz-Platz