Selbstdarstellung mit HumorArtistin

Drei Teenagerinnen im Hijab werden mit dem R.E.M.-Klassiker «Losing My Religion», ein Song aus dem Jahr 1991, zum YouTube-Hit. «Sonne» ist der erste lange Spielfilm der vielbeachteten jungen Regisseurin Kurdwin Ayub. Im Interview spricht sie über Jugendkultur, Vergangenheit, Provokation und ihre Eltern als Laienschauspieler:innen.

INTERVIEW: JULIA PÜHRINGER
FOTO: JANA MADZIGON

Nach deinem preisgekrönten Dokumentarfilm ­«Paradies! Paradies!» sowie vielen ­Musikvideos und Kurzfilmen ist «Sonne» dein erster langer Spielfilm. Wie kam’s dazu?

Kurdwin Ayub: Vor Jahren hab ich ein Musikvideo von drei sunnitischen Frauen aus England gesehen – ein sunnitisch-muslimisches Lied für die gläubige Community. Ich wollte unbedingt eine Doku über sie machen, aber sie haben nicht geantwortet. ­Wahrscheinlich haben sie geahnt, dass ich nicht die super­gläubigste Person bin. So hab ich mir meine eigene Geschichte einfallen lassen.

Du hast die Idee wohl sehr geliebt, dass du so lange dran arbeiten konntest …
Ja! Wenn man das Buch jahrelang bearbeitet, fallen einem immer neue Szenen ein, in die man sich verliebt. Da ist ja nicht nur eine, da sind tausende Ideen drinnen, die sich verändern. Man hat immer diese Obsession, dass es perfekt werden muss.

Wie entscheidest du, wann du aufhören­ musst?
Es gab so einen Moment, da hat ­Ulrich Seidl (Anm. der Red.: der Produzent des Films) gesagt: Okay, jetzt ist es so weit, diese Version ist schlechter als die davor. Und ich so: Ah, wir gehen zurück. Man ist dann so tief drinnen, dass man nur noch versucht, Lösungen zu finden für das Feedback, das man von allen Seiten bekommt. Nicht jedes Feedback ist gut für einen. Bei einem früheren Stoff hab ich eher gedacht, alle haben recht. Aber irgendwann mochte ich dann das Resultat nicht mehr. Ich hab gefunden: Das bin gar nicht ich. Inzwischen vertraue ich mehr darauf, was ich will und was ich brauche.

Du arbeitest oft mit Leuten, die nicht Schauspieler:innen von Beruf sind. Ist das lustiger oder anstrengender?
Ich hab hauptsächlich Erfahrung mit Laiendarsteller:innen. Es gibt im Film nur ein paar ­professionelle Schauspieler:innen. Jeder Mensch ist ­anders. Als ich die drei Mädchen gefunden habe, waren sie erst 15 und das Buch war auch auf Fünfzehnjährige zugeschrieben, die sind mitgewachsen, und ich habe das Buch an sie angepasst. Es wäre sehr romantisch zu sagen, dass sie alles improvisiert haben, sie haben natürlich gespielt, haben Aufgaben bekommen.

War «Losing My Religion» von Anfang an als Song im Video geplant?
Nein, ich habe auf das Lied gewartet, bis wir näher am Dreh waren. Es sollte nicht altmodisch sein, ein modernes Lied durfte es auch nicht sein. Die ganze Jugendkultur war damals so auf 90ies-Trend und ich hab gedacht, wenn ich jetzt ein Teenager wäre, was für ein Lied würde ich nehmen, wenn ich mich verschleiern würde zum Spaß und ein provokantes Video drehe? «Losing My Religion» könnte doch lustig sein. Und ich glaube, lustig ist es auch.

Ein typischer Berlinale-Film ist es nicht angesichts dessen, dass es u. a. um junge Frauen und Kopftuch geht. Konnten die Leute damit umgehen?
Die meisten waren überrascht. Ich sehe das auch bei meinem jetzigen Projekt, damit wollen manche Leute nicht arbeiten, die Synopsis ist ihnen wohl nicht pc (Anm. der Red.: political correct) genug. Und sie wollen nicht schon wieder so ein Thema. Dabei mach ich es dann eh ganz anders.

Hast du ohnehin nicht mehr Quellen, um dich zu orientieren, als etwa ein alter Regisseur? Wenn du als junge Frau etwas über junge Frauen machst und auch mehr Ahnung von Social Media hast?
Das schon. Aber ich hab mich halt auch zehn Jahre mit meiner ganzen Kunst und Arbeit damit beschäftigt. Es gibt auch genug Leute in meinem Alter, die einen Film machen, als hätte ihn ein fünfzigjähriger Mann gemacht. Und ich kenne genug Filme von Frauen, die voll rassistisch geworden sind, obwohl sie sich damit auseinandergesetzt haben.

Wie jetzt in Sonne hast du auch in Paradies! Paradies! mit deinen Eltern als Laiendarsteller:innen gedreht. Ist das schräg? Oder leichter?
Ich habe, seit ich ein Kind war, die Kamera auf sie gehalten, deswegen ist es ein Teil von uns. Mein Vater ist ein geborener Selbstdarsteller, meine Mutter ist eine urtalentierte Schauspielerin, sie selbst hat eine ganz andere Persönlichkeit.

Musst du das anderen oft erklären?
Es gibt viele, die sagen: Oh Gott, dein Vater ist so cool, ich wünschte ich hätte so einen Vater wie ihn! Ich nehme es als Kompliment, weil sie so echt rüberkommen. Aber letztlich zeig ich ja den Teil, den ich will. Meine Vergangenheit hat viel zu tun mit finanzieller Unsicherheit und Flucht-Trauma. Meine Eltern ­waren da schon auch jahrelang sehr fertig. Das spürt man im Film, aber es hat nicht so eine tragende Rolle, weil ich das alles immer mit Humor kaschiere.

Würdest du deinen Film als experimentell beschreiben?
Ich hab versucht, nicht ganz dem klassischen Narrativ zu folgen oder klassisch mit Schauspieler:innen zu besetzen, da bin ich vielleicht experimenteller als andere. Aber das ist keine Absicht, es entsteht aus der Geschichte und den Personen. Und auch die Ästhetik kommt, wie ich’s gerade mag. Ich will nicht extra politisch-feministisch oder provokant oder experimentell sein, außer es ist wirklich die Aufgabe, wie beispielsweise beim neuen Hyäne-Fischer-Musikvideo. Da wollte ich erschüttern.

Hast du so etwas wie Vorbilder?
Ich weiß nicht, ob es meine Mutter-Komplexe sind, aber ich hab ­immer ­Frauen idealisiert. Ich habe kein berühm­tes Vorbild. Ich suche mir private Vorbil­der in der Nähe und schaue mir ­genau an, wie sie’s machen. Da bin ich obsessiv, aber ich versuche, es zu verheimlichen.

Wovon handelt dein nächstes Projekt?
Es geht um eine Kampfsportlerin aus Österreich, die ihre Karriere gerade beendet hat und Personal Trainerin für eine arabische Familie im Nahen Osten wird. Dort passieren dann mysteriöse Dinge. Es hat Horror-Elemente, wird aber eher so mein eigenes Genre.

Der Film: Sonne
Yesmin, Nati und Bella, drei Teenagerinnen aus Wien, blödeln mit ­ihren Handys herum und nehmen im Hijab ein Video zu dem Song «Losing My Religion» auf. Das Video landet im Netz, die drei werden auf Hochzeiten zum vielgebuchten Hit. Während Nati und Bella sich in zwei konservative Kurden verschauen, distanziert sich Yesmin, die einzige, die selbst Kurdin ist, schließlich von der Aktion. Alle haben Sehnsucht ­danach, sich neu zu erfinden und gemocht zu werden. Zwischen Handy-Chat und Elfen-Ohren, Glitzerkleidern und Schnaps im Kaffeehäferl: ­Wessen Meinung zählt? Und ist die von heute noch die von gestern und wird sie die von morgen sein? Mitreißende Coming-of-age-Geschichte, gedreht mit den fantastischen Laiendarstellerinnen Melina Benli, Law Wallner und Maya Wopienka in den Hauptrollen sowie Ayubs eigenen Eltern, Kinostart: 9. September.
Julia Pühringer

Die Regisseurin: Kurdwin Ayub
Zahlreiche Performancevideos, Kurzfilme und Musik­videos hat die Regisseurin, Drehbuchautorin und Künstlerin Kurdwin Ayub bereits gedreht. Die Welt junger Menschen zwischen Realität und Social ­Media ist wiederkehrendes Thema, auch die Beschäftigung mit Religion ist nicht neu. Im Video zum Song ­Alive (2021) der Wiener Pop-Musikerin Anthea etwa schmust diese mit einem als weiblich zu lesenden ­Jesus in einer Kirche.
Ein zeitgenössisch-feministischer Stil mit Humor, der Dokumentar-Ästhetik mit Kunstvideo, Handykamera- und Spielfilmstyle vermengt, ist charakteristisch für Ayubs Arbeiten, in denen sie oft auch Themen, die Migrant:innen und deren in Österreich aufgewachsene Kinder beschäftigen, behandelt. ­Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie 2016 mit der Doku­mentation Paradies! Paradies! bekannt: Für den Film begleitet die 1990 im Irak geborene und in Wien aufgewachsene Regisseurin, die ursprünglich Malerei studiert hat, ihren Vater ins irakische Kurdistan, wo er eine Wohnung kaufen will. Mit den Verwandten werden Musikvideos nachgespielt und die IS-Front ist nicht weit. Der Film erhielt mehrere internationale Preise. Kurdwin Ayubs erster Langspielfilm, Sonne, bekam bei der jüngsten Berlinale den Preis für den besten Erstlingsfilm. «Ein Film über Jugendliche zwischen Social Media und Selbstfindung, eine Geschichte von Rebellinnen», schreibt Ayub selbst dazu.
Ruth Weismann