«Sie wird eine Latifa»vorstadt

Lokalmatadorin

Latifa Nabizada ist jetzt «Nachbarin» in Wien. In Afghanistan flog sie Militärhubschrauber.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Sie leben in Wien, sprechen kaum ein Wort Deutsch, können weder lesen noch schreiben, besitzen kein eigenes Bankkonto, oft nicht einmal ein Handy, dürfen nicht arbeiten gehen. Und wenn sie nicht das tun, was ihre Männer von ihnen verlangen, werden sie verprügelt. Ihre Kinder auch.

Sterne über Kabul.

Latifa Nabizada kennt das Leid einiger afghanischer Landsfrauen aus erster Hand: «Ich habe mit vielen persönlich gesprochen. Die Frauen haben Vertrauen zu mir, auch deshalb, weil ich mich mit ihnen in ihrer Muttersprache Dari unterhalten kann.»
Sie ist eine von derzeit sieben «Nachbarinnen», die als speziell ausgebildete Sozialbetreuerinnen für den gleichnamigen privaten Hilfsverein in der Stadt unterwegs sind. Sie ermutigen andere Frauen, ihren eigenen Weg zu gehen. Ihr Credo: «Wir helfen ihnen dabei, sich von den Unterdrückungsmechanismen zu befreien und sich in der für sie ungewohnten Umgebung zu integrieren.»
Für die Frauen aus Afghanistan ist Latifa Nabizada eine persönliche Heldin, für uns eine charismatische Respektsperson. In ihrem früheren Leben flog sie Hubschrauber des afghanischen Militärs, als erste Frau in dem Land, in dem sie geboren und sozialisiert wurde.
Im Krieg gegen die Taliban blickte sie dem Tod mehr als nur einmal in die Augen: «Meine Aufgabe war es, verletzte und auch tote Soldat_innen aus den Kampfgebieten auszufliegen.» Doch sie blieb – anders als ihre um zehn Monate jüngere Schwester Lailuma – bis zu ihrem letzten Einsatz am Leben.
Die Erlebnisse einer jungen Frau und Pilotin hat sie in ihrem ersten Buch verarbeitet. Ihre Biografie trägt den Titel Greif nach den Sternen, Schwester! (bei Droemer & Knaur erschienen). Latifa Nabizada erzählt darin nicht nur von den erhebenden Gefühlen einer Pilotin, die einen Hubschrauber zum Fliegen bringt. Sie beschreibt auch den anfangs zermürbenden Kampf um Anerkennung in einer puren Männerdomäne, die permanente Benachteiligung als Frau, den verlustreichen Krieg in ihrer Heimat, ihr Mutfassen, ihre Ängste und auch ihre tiefe Trauer nach dem Abschuss des Helikopters ihrer Schwester.

Sterne über Wien.

Das Buch hat der 50-Jährigen vor fünf Jahren den Weg in ihr Wiener Asyl geebnet: «Es waren sehr gute Freund_innen, die mir geholfen haben.» Die ersten vier Jahre hat sie hier mit ihrer schulpflichtigen Tochter als Stipendiatin des Programms «Writers in Exile» verbracht. Seit Anfang des Jahres arbeitet Frau Nabizada für die «Nachbarinnen».
Dabei riskiert sie erneut Kopf und Kragen. Denn wenn ein Ehemann, der zum Beispiel aufgrund seines geringeren sozialen Status frustriert ist, erfährt, dass sie seiner Frau verbriefte Rechte näherbringt, kann es schnell ungemütlich werden. Latifa Nabizada weiß das, sie lächelt. Und es scheint so wie beim Fliegen zu sein: «Angst habe ich nicht, vorsichtig bin ich sehr wohl.»
Angst hat diese mutige Frau nur einmal in ihrem Leben verspürt: «Als ich mit meinem Hubschrauber vom Boden aus beschossen wurde.» Dabei wurde sie von Männern schon oft in ihrem Leben beleidigt und auch bedroht.
Zum ersten Mal spürte sie die männliche Gewalt als junge Frau während der militärischen Ausbildung. Später musste sie sich als Beamtin gegen mächtige Traditionalisten behaupten: «Ich hatte den Auftrag der Regierung in Kabul, mich für die Gleichberechtigung der Frauen stark zu machen.» Schmähungen und Drohungen erhielt sie auch nach dem Erscheinen ihres Buchs.
Würde sie gerne wieder mit einem Hubschrauber abheben? Was für eine Frage! Natürlich möchte sie wieder nach den Sternen greifen. Sie ist einmal in Stockerau mit einem kleinen Hubschrauber geflogen: «Das war ein Kinderspiel für mich.»
Latifa Nabizada ist Mitglied im Verein der österreichischen Pilotinnen. Doch um ihren alten Beruf wieder ausüben zu können, müsse sie die Sprache besser lernen, sagt sie. «An meinem Defizit ist niemand schuld außer ich selbst.»

Sterne über dem Praterstern.

Außerdem wartet noch Arbeit für sie auf dem Boden – als Mitarbeiterin der «Nachbarinnen», die ihr Büro nicht weit vom Praterstern bezogen haben: «Die afghanischen Frauen brauchen meine Hilfe.»
Und ein zweites Buch muss sie noch schreiben: «Über die Liebe», verrät sie. «In deutscher Sprache. Das ist für mich hart, aber ich muss mich dieser Aufgabe jetzt stellen.»
Ihren Traum vom Fliegen hat sie in direkter Linie weitergegeben – an ihre 14-jährige Tochter: «Malalai möchte Astronautin werden. Doch zuvor, hat sie mir anvertraut, muss sie noch als Pilotin fliegen. Sie wird eine Latifa.»

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