Nicht mal eine Autostunde von der österreichischen Grenze entfernt verbirgt sich in der westslowakischen Gemeinde ein Häuschen, das die Herzen von Astronomiefreaks höher schlagen lässt
TEXT & FOTO: ANTON TANTNER
Schon vor coronabedingten Schließungen litt die in der Region Zahorie gelegene 1500-Seelen-Gemeinde Sobotište nicht an Overtourism, geriet nicht in Gefahr, von Reisebussen voller Ausflügler_innen überrollt zu werden. Gemäß dem Reiseportal dobrodruh.sk handelt es sich um ein «verschlafenes Dorf, das in einem Tal abseits der Hauptstraßen vergessen wurde», voll magischer Nostalgie, geprägt durch eine Mischung von Bauten aus der Zeit der ersten tschechoslowakischen Republik, der Epoche des Aufbaus eines kommunistischen Morgens und schließlich der kapitalistischen Gegenwart chinesischer Produktion.
Dabei, manche Spezialreiseführer verzeichnen durchaus ältere Sehenswürdigkeiten: 1547 etwa konnten sich die aus Mähren vertriebenen Habaner_innen, eine von Jakob Hutter inspirierte täuferische Religionsgemeinschaft, die Gemeinbesitz praktizierte, wie in etlichen anderen Orten des damaligen Oberungarns auch hier ansiedeln und ihre architektonischen Spuren hinterlassen, einen Glockenturm sowie als Überrest des einstigen Habanerhofs eine Mühle, die zur Zeit renoviert wird. Im einstigen Kastell wiederum erinnert ein kleines Museum daran, dass in Sobotište 1845 die erste Kreditgenossenschaft auf europäischem Festland geschaffen wurde, nur wenige Monate, nachdem in England eine solche Einrichtung gegründet worden war.
Pflanzstätte künftiger Kosmonaut_innen.
Doch es gibt auch ein spezielles, noch dazu recht verstecktes Highlight, ob dessen sich ein Besuch lohnt: Im weitläufigen Hinterhof der ortsansässigen Schule verbirgt sich nämlich eine Ministernwarte, deren Präsenz an diesem Ort nun doch überrascht: ein kleines Häuschen, mit eigener Hausnummer – 727 – und mit der für Observatorien typischen Kuppel.
Eine Gedenktafel links vom Eingang erinnert an den Gründer dieses astronomischen Kleinods, Grundschuldirektor Ladislav Košinár (1929–2016). Auf sein Betreiben wurde die Sternwarte 1972 errichtet, etliche Freiwillige halfen dabei, und bis heute wird diese kleine Schwester des Large Binocular Telescope zu Arizona (dem derzeit größten optischen Teleskop) durch ein ehrenamtliches Kollektiv betreut, geleitet vom Gymnasiallehrer Svetozár Štefeček.
Und wenn schon nicht die Tourist_innenmassen durch das Dorf strömen, so sind es zumindest Schulklassen, die nach Sobotište reisen, um in die Astronomie eingeführt zu werden. Bei dem alljährlich (dieses Jahr verschobenen) stattfindenden Tag (und Nacht!) der Astronomie kann einschlägigen Vorträgen gelauscht werden, das in der Kuppel befindliche Newton-300/1200-Spiegelteleskop auf Dobsonmontierung (früher wurde ein Cassegrain-Teleskop 150/2250 verwendet) ermöglicht es im Anschluss daran, Planeten sowie Kometen aus der Nähe zu betrachten. Das Observatorium zählt somit zur Kategorie der Schulsternwarten, die sonst oft ins Schulgebäude – wie zum Beispiel im Fall des Grazer Kepler Gymnasiums oder des Linzer Petrinums – integriert sind; derlei Schulsternwarten wurden nicht zuletzt in der DDR etliche gebaut, wo Gisela May 1957 mit Ihrer Uraufführung des von Hanns Eisler vertonten Sputnik-Lieds – «zwei stramme Sowjetsterne umkreisen uns im Raum / Der erste fünfzig Kilo, der zweite zehnmal mehr, / die fliegen wie im Spiel so im Weltenraum umher» – tausende Menschen begeisterte und zwei Jahre später Astronomie zum verpflichtenden Schulfach wurde. Nicht weniger als 150 solcher Observatorien gab es beim Ende der DDR, ausgestattet zumeist mit von Zeiss angefertigten Teleskopen; künftige Kosmonaut_innen sollten möglichst früh für die Eroberung des Alls begeistert werden.
Sobotište kreist um die Sonne.
Eine solche späte Eroberung gelang dem kleinen slowakischen Dorf schließlich im Jahr 2001: Seither ist Sobotište auch in den Weiten des Weltalls fern der Erde anzutreffen, denn zum 750-Jahrjubiläum der erstmaligen Nennung der Gemeinde in einer Urkunde des ungarischen Königs Béla IV. als «terra Zobodicha» bekam diese ein besonderes Geschenk: Ein zwei Jahre zuvor entdeckter Miniplanet (genauer: ein Asteroid, Nummer 26401, Durchmesser 2,4 Kilometer) wurde mit ihrem Namen bedacht. Anzutreffen ist der Asteroid Sobotište 172 Millionen Kilometer entfernt von der Erde, um seine zwischen Mars und Jupiter gelegene Umlaufbahn um die Sonne zu absolvieren, benötigt der Himmelskörper mehr als drei Jahre. Entdeckt wurde Sobotište allerdings nicht in Sobotište selbst, sondern im unweit von Prag gelegenen Ondřejov, wo sich das größte Teleskop Tschechiens befindet – mit einem Durchmesser von zwei Metern doch um ein Erhebliches größer als das in Sobotište verwendete. Das Verdienst der Entdeckung dieses Asteroiden gebührt dem in Ondřejov tätigen slowakischen Astronom Peter Kušnirák, der seit 1999 mehr als 200 solcher Gebilde ausfindig machen konnte.
Ein paar Jahre nach dieser geradezu kosmischen Ehrung wurde übrigens auch dem Sternwartengründer eine solche zuteil: Anlässlich der Feier seines 80. Geburtstags im Jahr 2009 wurde Ladislav Košinár damit überrascht, dass fortan der Asteroid Nummer 16869 (Durchmesser 3,1 Kilometer, entdeckt im Jahr 1998) unter dem Namen Kosinar (die Benamsung der Asteroidenwelt kennt nur den ASCII-Zeichensatz) seine Runden durchs All zieht.
Zu den spektakulärsten Ereignissen in Sobotište zählten in den letzten Jahren die Beobachtungen der Mondfinsternisse von 2018 und 2019; jüngst verzückte Komet Neowise die Sternenfreaks und für den 14. August stehen die Perseiden am Programm; sonst ist die Sternwarte nach vorheriger Terminvereinbarung per E-Mail oder Telefon zugänglich, zumeist freitags oder Samstagsabend, wobei aber auch andere Wochentage möglich sind.
Vergrößerung geplant.
Und Österreich? Wem die in Wien befindlichen Sternwarten zu groß sind und wer ohnehin den Lichtern der Großstadt fliehen möchte, kann ins niederösterreichische Michelbach ausweichen. Dort empfängt die 2000 eröffnete Volkssternwarte des Vereins Antares Sternschauer_innen, wenn auch die architektonische Anlage nicht so charmant ist wie die in Sobotište; auch die etlichen anderen von Astronomiefreaks und Vereinen betriebenen Observatorien können da nicht mithalten, allenfalls die 1989 in Klosterneuburg eröffnete Purgathofer-Sternwarte, doch die spielt ob der Größe ihres Teleskops (1 Meter Durchmesser, das zweitgrößte in Österreich nach dem des Figl-Observatoriums am Schöpfl) ohnehin nicht wirklich in der Liga der Ministernwarten.
Wer nun aber die hvezdáreň – so die slowakische Bezeichnung für Sternwarte – ob ihrer Kleinheit ins Herz geschlossen hat, sollte sich mit einem Besuch beeilen: Für die nächsten Jahre ist laut Svetozár Štefeček eine Vergrößerung geplant, es bleibt zu hoffen, dass auch dann der Charme des Liliput-Observatoriums erhalten bleibt.
www.hvezdaren-sobotiste.sk
Verzeichnis österreichischer Sternwarten:
www.austriaca.at/sternwarten