Spiel ohne Grenzenvorstadt

Auf den ersten Blick zu erkennen: das Schachmuseum (Foto: © Chris Haderer)

In Klagenfurt am Wörthersee gibt es seit einem Jahr das einzige Schachmuseum Österreichs. Mit mehr als 3.200 Exponaten ist es zugleich das größte in Europa.

Schachbretter sind für gewöhnlich quadratisch, haben 64 Felder, auf denen 16 weiße Figuren gegen ihre schwarzen Pendants antreten. Schaut man allerdings in die Ferne, dann entdeckt man vielfältige Variationen des klassischen Bretts – denen man oft nicht einmal ansieht, dass es sich um Schachspiele handelt. Manche sind rund, andere auf mehrere Ebenen verteilt, andere wiederum bedienen gleich vier Spieler:innen. Ein umfangreicher Querschnitt, wie das «Spiel der Könige» aussehen kann, ist im Mali Schachmuseum in Klagenfurt am Wörthersee bestaunbar – mit Schachsets aus sieben Kontinenten, die auf zehn Themenräume aufgeteilt sind. Zum Schachmuseum gehört das Frida Café, das nach der Tochter der Museumsbetreiberin benannt wurde. Dort kann man sich zum Schachspielen treffen – die Tische sind als Schachbretter ausgeführt – oder kleine Getränke und Mehlspeisen konsumieren. «Bei den Angeboten schauen wir auf Nachhaltigkeit», sagt Direktorin Melanie Auguszt. Plastikverpackungen gibt es keine; Getränke kommen in Gläsern auf den Tisch; das hausgemachte Tiramisu (laktosefrei) in wiederverwendbaren Rexgläsern.

Pop, Politik, Schach

In den Räumen des Museums, das sich auf 1.000 Quadratmetern in einer aufgelassenen und umgebauten Supermarkt-Filiale befindet, sind laut Angaben etwa 3.200 Schachspiele aus 130 Ländern versammelt. Die Exponate stammen aus Ungarn und wurden vom Schachsammler ­Zoltán Mali zur Verfügung gestellt. «Mein Großvater Mali Antal hat mir die ersten 20 Sets hinterlassen», wird Zoltán Mali auf der Museumshomepage zitiert. ­Melanie Auguszt lernte Zoltán Mali im Rahmen einer Spendenaktion kennen, bei der sie Spielzeuge für Kinder nach Ungarn brachte. Aus dem Kontakt entstand die Idee, ­Malis Exponate einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Das Schachmuseum in Klagenfurt ist nicht nur das einzige in Österreich, sondern auch «das größte Schachmuseum Europas», sagt Melanie Auguszt im Gespräch mit dem Augustin. «Unsere Ausstellung umfasst sowohl klassische als auch einzigartige Schachspiele, darunter Schachroboter, Schachtische, Schachuhren und Schachbücher. Die Schachsets bestehen aus verschiedenen Materialien wie Holz, Glas, Porzellan, Keramik, Gold und Metall», ergänzt sie. Das wertvollste Brett schlägt mit etwa 64.000 Euro zu Buche.
Mit der Sammlung will sie nicht nur Schachexpert:innen adressieren, sondern «die breite Öffentlichkeit. Unser Museum ist auch ein Ort für die Schachausbildung und dient als Zentrum für lokale Schachmannschaften und Schachspieler.» Politische Coleurs spielen im Museum keine Rolle: man findet Exponate aus der UdSSR genauso wie mit dem 3D-Drucker hergestellte Figurensets, die den ungarischen Demokratiefeind Viktor ­Orban zeigen – wobei alle 32 Figuren das Konterfei des Puszta-Diktators tragen. Insgesamt reicht die Bandbreite von europäischen, amerikanischen und asiatischen Varianten (wie beispielsweise ein Brett mit Figuren aus dem Kamasutra) bis hin zu Exponaten aus dem «Star Wars»-Universum, mit denen man gegen Darth Vader in die Schlacht ziehen kann. Auch das 3D-Schach, mit dem sich Captain Kirk und Mr. Spock während der 5-Jahresmission der Enterprise die Zeit vertrieben, ist vorhanden. Mit anderen Worten: es gibt sehr, sehr viel zu schauen im Museum.
«Unser großes Ziel ist es, Schachspielen wieder populär zu machen und jungen Menschen logisches Denken beizubringen», fasst Melanie Auguszt zusammen. Deshalb gibt es im Museum auch Schachkurse für Kinder, Senior:innen, Anfänger:innen und Fortgeschrittene – teilweise unter der Leitung des internationalen Schachmeisters Robert Kreisl.

Schau- und Schachspiel

Vor allem aber sind es die Geschichten, die während einer Führung durch das Museum erzählt werden und die den ausgestellten Objekten eine zusätzliche Tiefe verleihen. Wie beispielsweise jene über ­Marilyn ­Monroe, die neben ihrer Tätigkeit als Schauspielerin auch eine gute Schachspielerin gewesen sein soll: Empfing sie beispielsweise Herrenbesuch, dann durfte der Gentleman an einem kleinen Tischchen Platz nehmen, auf dem ein Schachbrett stand. Bemerkte er nicht, dass die Figuren auf seiner Seite des Bretts falsch aufgestellt waren, konnte der Herr nach einem Drink wieder aufstehen und unverrichteter Dinge heimwärts schlendern. Der Rest ist Geschichte: Norma Jean Baker, das archetypische Sexsymbol des 20. Jahrhunderts, starb am 4. August 1962 an einer Überdosis Barbiturate. Um ihren Tod ranken sich Verschwörungstheorien und in ihrer bis 1954 reichenden Biografie des Journalisten Ben Hecht ist zu lesen: «Ich gehöre zu jener Art Mädchen, die man tot in einem Schlafzimmer findet, mit einer leeren Schachtel Schlaftabletten in der Hand.» So war es dann auch – und die Erzählung ist ein Beispiel dafür, wie im Schachmuseum eine Brücke zwischen Pop- und Zeitgeschichte geschlagen wird.
Marilyn Monroe war allerdings nicht die einzige Schachspielerin aus dem Kino-Multiversum: Auch der Komiker ­Charlie Chaplin brachte viele Partien hinter sich und spielte gegen den Schauspieler Douglas Fairbanks und den amerikanischen Schachprofi Samuel ­Reshevsky. Im Museum ist auch ein Set zu sehen, das aus einem der frühen Filme von Chaplin stammt. An Bord der Titanic wurde bis zur schicksalhaften Begegnung mit dem Eisberg auch gerne Schach gespielt: Originalausgaben amerikanischer Zeitungen, die nach dem Untergang des Schiffs erschienen, thematisieren das.
Eine Museumswand ist einer besonderen Spielart des Schachs gewidmet, nämlich dem Fern- oder Briefschach, bei dem Partien über große Distanzen ausgetragen werden. Die einzelnen Züge der Spieler:innen werden dabei via Brief oder Postkarten übermittelt – was während der Weltkriege und später im Kalten Krieg zu langen Verzögerungen führte: Die Notationen ließen diverse Geheimdienste aufhorchen, weil sie mit Geheimcodes verwechselbar waren. Das Resultat: Manche Spielzüge kamen beim Gegenüber gar nicht an oder «oft erst nach dem Tod eines Spielpartners», erklärt Melanie Auguszt. Jede einzelne der vielen Postkarten und Briefe erzählt eine Geschichte. Letztlich sind es Schicksale, die die Liebe zum «Spiel der Könige» visualisieren.

Königin

Obwohl in der Schachwelt sehr viele Frauen vertreten sind – was nicht zuletzt in der Netflix-Miniserie Das Damengambit (2020) reflektiert wird – bedient sich das Spiel bis heute einer männlichen Terminologie: «Schachgroßmeister der Frauen» lautet beispielsweise der offizielle Titel, der erst im Jahr 1978 erstmals an eine Frau vergeben wurde, nämlich an die Georgierin Nona ­Gaprindaschwili. Bis dahin war Schach im kulturellen Bewusstsein mehr oder weniger mit ­Stefan Zweigs Schachnovelle oder Wolfgang ­Petersens Film Schwarz und weiß wie Tage und Nächte (1978) verknüpft. Böse Menschen könnten auch anmerken, dass der König im königlichen Spiel eigentlich die hilfloseste Figur auf dem Brett ist: Ohne den Schutz der Dame ist er hilflos. Fast wie im wirklichen Leben …

Mali Schachmuseum & Frida Café
Waidmannsdorfer Straße 162,
Klagenfurt am Wörthersee

Öffungszeiten: Di – So, 10 – 20 Uhr Uhr
Eintritt: 12 – 15 Euro, Kinder unter 12 Jahren frei

www.schachmuseum.at