Staatliche Kindesmisshandlungtun & lassen

Solidarität mit Heimleiterin Ute Bock!

Wenige Tage vor der Nationalratswahl führte die Polizei – im Rahmen der sogenannten Aktion „Operation Spring“ (Teil II) eine Razzia im Gesellenwohnheim Zohmanngasse der Gemeinde Wien durch. 21 „Schwarzafrikaner“ wurden bei dieser Aktion festgenommen. Ein Teil von den damals Verhafteten befand sich vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch in U – Haft. Warum die couragierte Heimleiterin Ute Bock – wir ernennen sie hiemit zum Hero der November-Ausgabe – auch die Solidarität der AUGUSTIN-LeserInnen braucht, erfahren Sie hier.Neun der Verhafteten waren und sind in „voller Erziehung“; das heißt, ihre Erziehungsberechtigte ist die Gemeinde Wien (als Trägerin der Jugendwohlfahrt). Etwas mehr als ein halbes Kilo Heroin und ca. eben soviel Kokain, ca. 250.000 Schilling Bargeld und 30 Handys (?!) wurden von mehr als 100 am Einsatz beteiligten Polizisten (laut Pressemeldungen) sichergestellt.

Daneben wurden: 60 Türen eingetreten, ein geschätzter Schaden von 300.000 Schilling am Eigentum der Gemeinde Wien verursacht , die Heimleiterin Ute Bock als „Negerhure“ beschimpft , nach „schwarzen Arschlechan“ gesucht (alle Angaben laut „Falter“), einem Hauswart die Türe eingetreten, die Waffe angehalten und mit Scheinwerfern ins Gesicht geleuchtet ,obwohl „er eh Strom in der Wohnung hatte“ (vgl. Thema ORF 2 am 5. und 6. Oktober 1999), sowie Minderjährige aus dem Kosovo im Rahmen der Aktion geweckt und von vermummten Männern, die sich ihnen gegenüber nicht zu erkennen gaben, durchsucht, also in der gleichen Weise traumatisiert, wie sie es im Kosovo vor ihrer Flucht erlebten.

Es geht also nicht nur um eine – gemessen an der der Wahl des Zeitpunkts und der Zielgruppe – dubiose Polizeiaktion, sondern es geht um staatlichen Vandalismus und staatliche Kindesmisshandlung. In einer ersten Reaktion der Verantwortlichen in der Gemeinde Wien wurde eine Disziplinarvoruntersuchung gegen die Heimleiterin des Gesellenwohnheims Zohmanngasse der Gemeinde Wien Frau Ute Bock eingeleitet.

So schaut’s aus, wenn die Polizei auf witzig macht

Der Skandal begann also wieder einmal, als ihn die Polizei beendete: „Es war sicherlich kein sanfter Sozialarbeiterbesuch“ so WEGA-Chef Werner Brinek im Radiointerview am 7. Oktober. So schaut`s nämlich aus, wenn die Polizei auf „witzig“ macht. Die von Polizeibeamten häufig geforderte Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sozialarbeit (und/oder Sozialpädagogik) ist dann kein Thema mehr, wenn die WEGA zum Einsatz schreitet… Hier darf staatliche Kindesmisshandlung geübt werden und in einem zynischen Statement gleich eine ganze Berufsgruppe heruntergemacht werden…

Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Ich wertschätze Polizeiarbeit, halte sie für nötig und auch Zusammenarbeit – bei strikter Aufgabentrennung – zwischen Sozialarbeit und Polizei für wichtig. Zusammenarbeit kann und darf jedoch keine Einbahnschiene sein…

Hat der allseits beliebte Innenminister Mag. Karl Schlögl eine Disziplinaruntersuchung für die – zumindest teilweise als Kinderschreck auftretenden – Beamten angeordnet oder sie zur Zusammenarbeit mit der Sozialarbeit (Sozialpädagogik) aufgerufen? Mit Nichten; er trat vor die Öffentlichkeit und feierte den Erfolg seiner Polizei gegen die Drogendealer.

Dass da die Sozialpädagogik (Heimleiterin) Schlüssel für Türen (zum Öffnen anstatt Eintreten) und Begleitung bei den nötigen Durchsuchungen bei den Jugendlichen angeboten hatte, war da allen Beteiligten in Polizei, Verwaltung und Politik sichtlich sehr egal…

Wenn andere das Handtuch warfen, sprang Frau Bock ein

Die Disziplinarvoruntersuchung fasste statt der Polizei (oder statt der säumigen Politik) die Heimleiterin des Gesellenwohnheims Zohmanngasse der Gemeinde Wien, Frau Ute Bock, aus. Frau Bock ist in der „Heimszene“ seit mehr als 20 Jahren als „oft bis zur Selbstaufopferung“ engagiert bekannt und genießt eine hohe Anerkennung bei den „schwierigsten“ Jugendlichen. Oft war sie und „ihre“ Zohmanngasse die letzte Station, wenn andere „Profis“ schon längst das Handtuch geworfen hatten. Und Frau Bock nahm auch nie die Berufsethik auf die leichte Schulter: Sie fragte nie – wie im Wiener und Österreichischen Jugendwohlfahrtsgesetz auch so vorgesehen – nach Rasse, Religion, Staatsbürgerschaft oder Hautfarbe wenn es um Hilfsbedürftigkeit oder erkannte Notlagen ging. So waren Fachleute, BeamtInnen und auch PolitikerInnen heil froh, dass es die Frau Bock gab bis – ja bis sie ins politische Fettnäpfchen trat und dann auch noch darauf bestand dort zu verweilen. Dass sie vielleicht auch zuviel vom Richtigen tat und sich dann auch junge Erwachsene in ihre „niederschwellige“ Einrichtung einschmuggeln konnten, ist ebenso eine andere Geschichte, wie das zweifellos – seit mehreren Jahren – vorhandene Problem illegaler Drogen in fast allen Heimen der Jugendwohlfahrt in Oesterreich…

Doch einige haben dieses neue Klima in Wien und Österreich nicht hingenommen: Sie wollten nicht dulden, dass eine „ihrer Besten“ auf dem Altar von politischen Versäumnissen und bekannten sozialen Versorgungslücken geopfert wird und haben zur Solidarität aufgerufen: Der Berufsverband der SozialarbeiterInnen rief auf seiner Internetseite (http://www.sozialarbeit.at/bock.htm) die Aktion „Solidarität mit Frau Bock“ ins Leben. Solidarität haben angekündigt und/oder geübt:

Die Kinderstimme (Univ. Prof. Dr. Ernst Berger, Univ. Prof Dr. Max H. Friedrich), die Personalvertretung der SozialarbeiterInnen, SozialpädagogInnen (Soz.Päd. Harald Dultinger), der WBDS Wiener Berufsverb. Dipl. SozialarbeiterInnen (DSA Erich DiCenta), der BGA Berufsgruppenausschuss der SozialarbeiterInnen der Mag 11 (DAS Andreas Schadauer) in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten GdG, mehrere BerufsschullehrerInnen, SOS Mitmensch (Max Koch), ÖVDF der Österreichischer Verein für Drogenfachleute, die Wiener Grünen (GR Susanne Jerusalem), das Wiener Liberale Forum (GR Mag. Alexandra Bolena, GR Marco Smoliner), die Rechtsanwaltskanzlei Gabriel Lansky u. a. Sie forderten:

  • Kein Disziplinarverfahren für Frau Bock
  • Würdigung der Leistungen von Frau Bock für die Stadt Wien
  • Abbau der Lücken im sozialen Netz für obdachlose, unbegleitete Minderjährige und obdachlose, junge Erwachsene mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft

Wie es scheint, dürfte den Forderungen zumindest zum Teil Erfolg beschieden sein:

Die Abteilungsleiterin der Magistratsabteilung 11 Mag. Renate Balic Benzing hat die Einstellung des Disziplinarvorverfahrens empfohlen. Frau Vizebürgermeisterin Grete Laska hat in einem Interview mit der Zeitschrift Standard bestätigt, dass es kein Disziplinarverfahren geben werde.

Frau Bock sollen – mit ihrem Einverständnis – ein pädagogischer Leiter und weitere SozialpädagogInnen zur Seite gestellt werden.

SOS Mitmensch plant eine Ehrung von Frau Bock am Tag der Menschenrechte.

Vom Abbau der Lücken im sozialen Netz für obdachlose, unbegleitete Minderjährige und obdachlose, junge Erwachsene mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft sind wir jedoch noch meilenweit entfernt.

In der Polizei dürfte es keinerlei Ansätze geben, ihr Vorgehen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. In Wien sind nach den Nationalratswahlen an allen Ecken und Enden die Vorwehen eines unappetitlichen, ausländerfeindlichen Kommunalwahlkampfs bereits jetzt zu spüren…


Georg Dimitz, Jahrgang 1953, ist seit 1974 Sozialarbeiter am Wiener Amt für Jugend und Familie, Personalvertreter, Gründungsmitglied des Wiener Integrationshauses und Vorstandsmitglied des Oesterreichischen Berufsverbandes Diplomierter SozialarbeiterInnen.

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