Substitution und Schwangerschafttun & lassen

Achtzig bis neunzig substanzabhängige Frauen entbinden jedes Jahr in Wien. Auch Clara* hat sich den Kinderwunsch erfüllt und erzählt von den Gefahren und Freuden, trotz Drogensubstitution ein Baby zu bekommen.

Text: Franziska Mayer
Illustration: Asuka Grün

Der Treffpunkt ist ein schickes Szenelokal auf der Mariahilfer Straße. Unser Tisch ist in der ersten Reihe, gleich neben den weit geöffneten Schiebetüren, durch die die spätsommerliche Hitze ins Lokal strömt. Wir haben uns an einem Sonntag für den späten Nachmittag verabredet. Weit im Voraus, so dass die Kinderbetreuung gesichert ist. Pünktlich betritt Clara das Lokal. Sie hat eine weite Stoffhose und ein Tanktop an, ihr Gesicht ist von der Hitze gerötet. Wir bestellen Caffè Latte und Fruchtsaft. Wir kommen schnell ins Gespräch.
Lange erzählt sie mir über Bekannte, die sie auf Therapie kennengelernt hat. Wer hat es geschafft, wer hatte einen Rückfall – einer ist tot. Damit muss man rechnen in der Drogenszene, Leute sterben manchmal ganz plötzlich. Doch völlig unerwartet ist es eigentlich nie. Auf Therapie wird allen eingeschärft, dass sie ein gefährliches Leben führen. Hochrisiko. Da kann so etwas passieren und ist trotzdem bedrückend.

Spät erkannt.

Die schlimmsten Fälle landen bei der Suchthilfe Wien. «Die Patient_innen, die hier betreut werden, sind jene, bei denen die Suchterkrankung einen so schweren Verlauf nimmt, das eine Vielzahl anderer Probleme damit einhergehen – jene, die einen intensiven Betreuungsbedarf haben. Soziale, berufliche, finanzielle, somatische und psychische Begleiterscheinungen sind hier möglich», sagt dazu der ärztliche Leiter der Suchthilfe Wien, Hans Haltmayer. Dorthin kommen Patient_innen, die keinen Wohnplatz, keine Krankenversicherung und kein soziales Auffangnetz haben. Auch manchen Schwangeren ergeht es so. «Manche Frauen bemerken ihre Schwangerschaft erst nach sechs Monaten, weil sie aufgrund ihrer psychiatrischen Erkrankungen so wenig Selbstwahrnehmung haben, dass ihnen das gar nicht auffällt», erklärt Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und Suchttherapie an der Medizinischen Universität Wien. «Wenn sie aktiv im konsumierenden Milieu sind, haben sie auch häufig keine Menstruation – gerade dann ist eine passende sozialarbeiterische Versorgung extrem wichtig.» Und Hans Haltmayer ergänzt: «80 Prozent der Schwangerschaften von suchtkranken Patientinnen sind ungeplant.»

Vollkrise.

Bei Clara war das anders. Sie merkte schon von Beginn der Schwangerschaft an, dass da etwas sein könnte. Sie hatte die klassischen Symptome, Unwohlsein und eine ausbleibende Periode. Der zweite Test bei der Frauen­ärztin fiel positiv aus, da war sie etwa in der sechsten Woche. Ungeplant war das allerdings keineswegs, Clara hatte schon seit mehreren Jahren einen Kinderwunsch. Clara und ihr Freund Luki* waren damals gerade von einer Therapie­station geflogen. Ein paar Nächte mussten sie sogar auf der Straße schlafen, bevor Claras Mutter Erbarmen hatte und ihr doch den Schlüssel zu der Wohnung gab, in der Clara jetzt noch immer lebt.
Einfach war die damalige Zeit nicht. «Vollkrise», nennt es Clara. «Wir waren gerade voll drauf und dachten nicht, dass es so früh klappt.» Trotzdem überlegten die beiden keine Sekunde, ob sie dieses Kind bekommen wollten oder nicht. Hat man keine Bedenken, wie es dem Kind ergehen wird, ob es gesund ist, wie es durch den Entzug kommt, wie das Umfeld darauf reagiert? Die hatten Clara und Luki sehr wohl, aber die Freude über das Baby war größer.
«Opiate schädigen ja den Fötus nicht, sie haben in der richtigen Dosierung keine toxische Wirkung. Abbauprodukte des Alkohols hingegen schon.» Deshalb soll, so Hans Haltmayer, «die Substitution im Rahmen einer Schwangerschaft möglichst stabil weitergeführt werden.» Das als Substitution (Drogenersatztherapie) zugeführte Opiat ist im Grunde eine Substanz, die auch körpereigen hergestellt werde. Substanzabhängigen und substituierten Patientinnen wird davon abgeraten, während der Schwangerschaft einen Voll- oder Teilentzug zu machen. «Ein Entzug ist das Schlechteste, was man während der Schwangerschaft machen kann», ist Max Wudy vom Referat für Substitutionsangelegenheiten der österreichischen Ärztekammer überzeugt.
Für Clara war es jetzt das Wichtigste, ihren Beikonsum in den Griff zu bekommen. Mit Hilfe einer spezialisierten Ärztin feilte sie so lange an ihrer Substitution, bis sie nichts mehr nebenbei konsumierte. Auch ein Therapieplatz musste her. Clara dazu: «Jeden Tag bin ich bei der Anlaufstelle des Therapiezentrums auf der Matte gestanden und hab’ um einen Platz gebettelt.» Im vierten Monat klappte es endlich mit einem Therapieplatz für die werdende Familie. So waren sie gut versorgt und konnten sich auf die bevorstehende Geburt vorbereiten.

Gut aufgehoben.

Auf der Therapiestation fühlte sich Clara gut aufgehoben. Hier waren Betreuer_innen, denen sie vertraute, und sie konnte sich in einen genau strukturierten Tagesplan einfügen.
Clara ist eine resolute Frau. Sie steht hinter dem, was sie sagt. Mit ihrer dunklen Stimme und ihrem selbstsicheren Auftreten kann sie ganz schön abweisend wirken. Von der Geburt ihres Sohnes plaudert sie aber aus dem Nähkästchen. Pünktlich zum Geburtstermin ging es los. Wegen eines Infekts musste ein Notkaiserschnitt gemacht werden. «Das war nicht schön. Du hast zwar keine Schmerzen, aber du spürst, wie sie dir die Bauchdecke öffnen und sich auf dich drauflehnen.» Dem neugeborenen Jonas* ging es verhältnismäßig gut, er hatte sich bei dem Infekt angesteckt und musste kurze Zeit künstlich beatmet werden. Als Clara ihn zum ersten Mal in den Armen halten durfte, war die Gefahr schon gebannt. Nur durch den Entzug musste er noch durch. Die Symptome, zu denen es dabei kommt, sind schrilles Schreien, Zittern und Schwitzen. «Eine medizinische Herausforderung ist es in der Regel aber nicht», so Max Wudy, «und der Prozess kann zum Beispiel durch Stillen verkürzt werden.»
Jonas hielt sich tapfer und hatte den Entzug in vier Wochen hinter sich gebracht. Noch heute wird er in der Entwicklungsambulanz regelmäßig untersucht – mit guten Erfolgen.

Mutter trotz allem.

Das große Familienglück blieb dennoch aus. Eineinhalb Jahre blieben die drei auf stationärer Therapie. Mit allem, was dazugehört, Putzdiensten in der Früh und abends Gruppentherapiesitzungen. Doch ein Monat nach der Entlassung wurde Luki rückfällig. Mittlerweile ist er wieder stationär in Therapie, und Clara und Jonas sind auf sich alleine gestellt. Clara beteuert, selbst außer einem einzigen Mal beim Ausgang aus der stationären Therapie keinen Rückfall mehr gehabt zu haben. Das alles habe sie auch Jonas zu verdanken. «Ich weiß nicht, wo ich ohne ihn wäre. Wenn es ihn nicht gäbe, hätte ich mir sicher schwerer getan.»
Ein Drittel der betroffenen Mütter könne ihre Kinder gut und erfolgreich selbst betreuen, sagt Hans Haltmayer. Die restlichen zwei Drittel würden es entweder nur zeitweise oder gar nicht schaffen. Eine Frage der Unterstützung: «Mit der richtigen Betreuung steht auch einer geplanten Schwangerschaft nichts im Wege.»
Clara ist auf einem guten Weg. Arbeiten will sie auch bald wieder gehen, am liebsten im sozialpädagogischen Bereich, Aber dafür nimmt sie sich noch Zeit, bis Jonas sich im Kindergarten eingewöhnt hat. Gabriele Fischer von der Medizinischen Universität Wien ist davon überzeugt, dass Frauen mit substanzabhängigen Störungen Mütter werden können – gute oder eben nicht so gute, wie der Rest der Bevölkerung auch. 

*Namen geändert