«Tränen gehören dazu»vorstadt

Lokalmatadorin

Christina Peters fühlt als Ärztin im «Sankt Anna» seit 38 Jahren mit krebskranken Kindern mit. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Wenn ein Kind, das dem Tod schon sehr nah war, dank einer Transplantation weiterleben kann. Wenn dieses Kind am Ende eines gemeinsamen Kampfes aus dem St. Anna Kinderspital entlassen werden kann. Dann ist das schön. Wunderschön ist es, wenngleich selten, wenn ihre Patient_innen später wieder zu ihr kommen, als Eltern von gesunden Kindern. Erzählt die Fachärztin Christina Peters, die seit dem Jahr 1980 im «Sankt Anna» arbeitet, davon 33 Jahre lang als Leiterin der Station 1A.

Montagabend, auf ihrer Station kehrt jetzt langsam Ruhe ein. Hier wird noch ein Protokoll vom Tag geschrieben, dort eine bevorstehende Transplantation im Detail besprochen. Einige Kinder schlafen bereits.

Zeit zum Reden.

Christina Peters kennt natürlich auch die andere Seite des Lebens: «Wenn wir erkennen müssen, dass es Zeit ist, um gemeinsam Abschied zu nehmen.» Wenn die Transplantation von gespendeten Blutstammzellen oder Knochenmark einem Kind nicht mehr helfen kann. Wenn die Energien im arg beanspruchten kleinen Körper endgültig zur Neige gehen. Wenn die rasche Ausbreitung der zerstörerischen Krebszellen nicht mehr gestoppt werden kann.

Dann bleiben Emotionen nicht aus. «Tränen gehören dazu», erklärt die erfahrene Onkologin mit ruhiger Stimme in ihrem Büro. Tränen sind Teil der täglichen Arbeit: «Für uns ist es wichtig, dass wir uns auf jedes einzelne Kind einlassen. Nur so können wir echtes Vertrauen aufbauen.» Die Konsequenzen dieser bedingungslosen Kommunikation kennt sie aus eigener Erfahrung: «Wer sich einlässt, verliert einen Schutzschirm.»

Meist sind es dann noch ein paar Tage bis zum Tod. Eltern und Geschwister werden eingeladen, um beim emotionalen Loslösungsprozess im Spital dabei zu sein. Christina Peters bittet die Angehörigen, ihrem Kind folgende Botschaften mit auf den Weg zu geben: «Du darfst gehen.» – «Dein Leben war schön.» – «Niemand ist schuld.» – «Wir werden dich nicht vergessen.»

Der letzte Satz ist besonders wichtig, weiß die Medizinerin, und zwar für Menschen aller Glaubensbekenntnisse. «Kein Kind möchte, dass seine Familie mit Hass, Wut und Aggression weiterleben muss.» Was von den meisten Kindern gut angenommen wird: «Wenn man schöne Geschichten erzählt. Eine ruhige, vertraute Stimme ist beim Abschiednehmen ebenso wichtig wie die Körperwärme.»

Wenn es gewünscht wird, steht das Team der Ärzt_innen, Pfleger_innen und Therapeut_innen zur Seite. Es gibt aber auch Familien, die am Ende lieber unter sich bleiben möchten. «Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Das Ziel ist in jedem Fall auch, dass die Familie den Abschiedsprozess als wichtige Erinnerung behalten kann.»

Und was hat das Behandeln von Krebs, die tägliche Konfrontation mit aggressiven lebensbedrohlichen Krankheiten aus ihr gemacht? Die Medizinerin hatte 38 Jahre lang Zeit, um Antworten auf diese Frage zu finden. Sie erinnert sich noch genau: «Am Anfang bin ich mehr als nur ein Mal heulend aus dem Spital gelaufen.»

Dann erzählt die Spezialistin: «Ich musste lernen, dass es mein Mann und meine Kinder nicht verdient haben, dass ich mit all meinen Sorgen zu ihnen nach Hause komme.» Diese schwierige Gratwanderung zwischen Empathie und Burn-out habe sie im Medizinstudium nicht gelernt. Gelingen kann sie, weiß sie heute, nur in einem gut eingespielten Team. «Es haben sich bei uns im Spital im Laufe der Jahre zahlreiche Freundschaften ergeben.»

Heute ist auch die Überlebenschance der Kinder deutlich höher. Und sie wird dank internationaler Studien, an denen Christina Peters und das «Sankt Anna» federführend mitwirken, noch weiter steigen.

Nach wie vor viel Energie kostet sie das Wechselbad der Gefühle: «Wenn du zu einem Kind sagen kannst, super, du hast es geschafft. Und dann gehst du ins nächste Zimmer und musst dort genau das Gegenteil verkünden. Dabei ist immer abzuwägen, wie viel du preisgeben kannst, ohne zu lügen. Denn anlügen darf man die Kinder nicht. Die wissen genau, wie’s um sie steht, wenn du bei der Tür reinkommst.»

Schwierig, nervenzerrend sei auch die Zeit des Hoffens und Bangens. Die entscheidende Frage lautet: Wird das neue Immunsystem seine Funktion erfüllen können? Die Onkologin spricht von einem Wettlauf gegen die Zeit und den Krebs: «Wir versuchen schneller zu sein als die Komplikationen. Was aber nicht immer gelingt.»

Keine Angst vor dem Tod.

Womit wir auf der Habenseite angelangt sind: «Ich habe heute keine Angst vor dem Tod. Sterben ist nicht das Schlimmste im Leben. Ungebügelte Wäsche zu Hause oder ein Kratzer im Lack des Autos können mich nicht aufregen. Irgendwann habe ich beschlossen, dass ich mich schon ärgern darf. Kränken können und dürfen mich hingegen nur Menschen, die ich liebe.»

Und dann gibt es noch etwas, was die Ärztin Christina Peters sichtlich freut: dass nur sehr, sehr wenige Familien in Unfrieden von ihrer Station weggehen. Aus ihrer Sicht ist es eher so: «Öfters kommen Angehörige, die soeben ein Kind verloren haben, und teilen ihre Trauer mit uns. Das ist ein Geschenk für das gesamte Team.»


Mehr über das St. Anna Kinderspital unter: www.kinderkrebsforschung.at

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