Leben zwischen WeltenArtistin

Propaganda, Überwachung, Kommunikation, Vernetzung, Identität – die jungen Künstlerinnen Ting-Jung Chen und Hui Ye gehen diese Themen von unterschiedlichen Seiten an und haben dafür den Preis der Kunsthalle Wien 2018 gewonnen. Ruth Weismann (Text) und Michail Wolkow (Foto) haben die beiden zum Gespräch getroffen.

Geräusche, Geflüster, Gesäusel. Dann der liebliche Gesang einer weiblichen Stimme. Lockend und hübsch. Irritation ergibt sich innerhalb der Poesie, auch durch das Objekt, aus dem all das schallt: eine halbkreisförmig gebogene Wand aus Metall, mit geometrisch angeordneten, trichterförmigen Lautsprechern, die auch an Megafone erinnern. Wuchtig und fragil zugleich. You Are the Only One I Care About (whisper) heißt das Kunstwerk der aus Taiwan gebürtige Ting-Jung Chen, die gemeinsam mit Hui Ye, die aus China stammt, Werke in der Ausstellung Keep me close to you zeigt – beide haben den Preis der Kunsthalle Wien 2018 erhalten. Schon im Titel der Soundinstallation spielt Chen auf die gefährliche Mischung aus Fürsorge und Erdrückung (etwa durch ein autoritäres System) an. «Ich arbeite gerne mit historischem Kontext. Diese neue Arbeit knüpft an die Soundwände an, die zwischen sozialistischen und kapitalistischen Ländern in Asien stehen», erklärt Chen. Diese Soundwände dienten der Propaganda, um die jeweilige andere Seite psychologisch zu beeinflussen. «Es waren weibliche Stimmen und weibliche Moderatorinnen, die da zu hören waren und von chinesischer Seite via Taiwan etwa riefen: ‹Komm zurück zur Mutterseite! Diese Projektion von Weiblichkeit darin ist sehr interessant», erklärt Chen.

Auf der taiwanesischen Insel Kinmen etwa steht eine solche Soundwand aus massivem Beton, die aber schon in den 1970ern stillgelegt wurde. 2018 haben Künstler_innen diese Stätte für das Projekt Sonic Territories wiederbelebt, das sich ebenfalls mit Propaganda beschäftigt.

Überwachung und Entgrenzung.

Propaganda ist nicht etwas, das nur in nicht-demokratisch geführten Staaten eingesetzt wurde und wird. Gerade jetzt ist sie, auf subtilere Weise, ein Mittel von Regierungen, um die Macht mehr und mehr auf ihre Seite zu ziehen – von Fake News über Internet-Zensur bis zur Überwachung der digitalen Kommunikation durch Geheimdienste (Stichwort: Edward Snowden). Mit einer eigenen «Firewall» ist China eines jener Länder, dass die Online-Welt stark zu zensieren und überwachen versucht. «In vielen meiner Arbeiten interessiert mich, wie die Menschen innerhalb eines politischen Kontexts drauf sind und leben. Das interessiert mich mehr, als meine eigene politische Position zu zeigen», sagt Hui Ye. Sie bespielt die andere Seite der Ausstellungshalle, ein Teil ist mittels Vorhängen verdunkelt, damit man ihr Video Quick Code ­Service gut sieht. In diesem Dokumentarfilm der mit realen Elementen und gestellten Szenen spielt, geht es um Hui Yes Online-Identität innerhalb der chinesischen Smartphone-App WeChat. Diese ist quasi das WhatsApp Chinas, kann aber noch viel mehr, und wird flächendeckend genutzt: chatten, telefonieren, Dateien versenden, bezahlen, mit Waren handeln, Infos bekommen … Ein ganzes Leben in einer App, das dadurch auch für Überwachung offensteht. Für ihren Film hat Ye, die seit 15 Jahren in Österreich lebt, Freund_innen in China gebeten, ihren QR-Code (Annm.: Ein schwarzes Pixel-Quadrat, das man mit dem Handy scannt, um etwa Infos angezeigt zu bekommen), der ihrem WeChat Profil zugeordnet ist, fremden Personen zu geben, um mit ihr in Wien in Kontakt zu treten. Ein Leben in vier Welten: China und Österreich, offline und online. Als physische Manifestation ihres WeChat-Ichs hat sie den QR-Code (der in China zur Bezahlung auf Straßenmärkten eine große Rolle spielt) als Skulptur gebaut, die nun in der Kunsthalle von der Decke hängt.

Die unterschiedliche, aber prägnante Herangehensweise beider Künstler_innen zu den komplexen Verhältnissen zeitgenössischer Kommunikation und Überwachung hat die Jury des Kunsthallen-Preises überzeugt. Was beide noch verbindet, ist das ständige Konfrontiertsein mit der Frage nach der eigenen Identität als Migrantinnen, die seit vielen Jahren in Österreich leben.

Identitäten.

«Die Frage der Identität ist für meine künstlerische Arbeit wichtig. Wie es ist, als Ausländerin in Österreich zu leben und nicht wirklich zu einer Community zu gehören», sagt Chen. «Das ist eine Gemeinsamkeit, weil wir da einen ähnlichen Zustand haben», bestätigt Ye. «Immer pendeln zwischen komplett anderen Kulturen, und sich gleichzeitig nirgends zugehörig fühlen», beschreibt sie diesen Zustand. Dabei geht es durchaus auch um Zuschreibungen von außen, etwa in dem Video The full colour makeup session. Hui hat Ausschnitte aus Schmink-Tutorials von YouTube genommen, in denen Frauen erklären, wie ein bestimmter «Asia-Beauty-Style» geschminkt wird. Die Künstlerin filmt sich selbst bei Folgen und Nachmachen der Schminktipps, verwendet aber gelbe Farbe. Sie seziert damit also Zuschreibungen von «exotischer» Schönheit und eignet sich das rassistische Narrativs von der «gelben Haut» und der «gelben Gefahr» an – Selbstermächtigung, in dem sie das wird, was sie angeblich sein soll.

Auch Ting-Jung Chen verarbeitet Aspekte von Identität, Heimat und Exotismus öfters in ihren Werken. Tigers Gather ist die Dokumentation einer länger andauernden Performance im öffentlichen Raum: Mit einem (in Taiwan früher üblichen) Fahhradkiosk fährt die Künstler_in durch Österreich und bietet Soundcollagen aus taiwaneischen Klängen und Geräuschen zum Kauf an. Dabei entwickeln sich Gespräche mit Kund_innen und Neugierigen über die Klänge und Erinnerungen der eigenen Heimat. Diese Doku sowie Hui Yes Videos kann man übrigens auf den Homepages der Künslter_innen ansehen (www. yehui.org und www.info-tingjungchen.com).

Was die Ausstellung in der Kunsthalle betrifft, so sind die Themen zwar mit der Herkunft der Künstlerinnen verknüpft, aber auch ohne diesen verständlich. Denn dass die digitale Welt eine reale ist, in der Identitäten vielfältig werden und die Möglichkeit grenzüberschreitender Echtzeitkommunikation intensiviert wird, aber gleichzeitig auch die Macht über unsere Daten, die sich in großen Internet-Konzernen bündelt, bedrohlich wird, gilt weltweit. Genauso wie die Möglichkeit der umfassenden Überwachung, und die Frage nach der lokal-globalen Prägung von Communities durch Kommunikationstechnologien.

Ting-Jung Chen & Hui Ye: Keep me close to you

Bis 27. Jänner 2019

Kunsthalle Wien am Karlsplatz

www.kunsthallewien.at