Kunstschule Wien und die Privatuni Webster – ein Dilemma
Die Geschichte der Kunstschule Wien ist eine Geschichte des Kampfes gegen Bildungsprivilegien. In der Politik herrscht die Meinung vor, dieses Anliegen könne nun abgehakt werden. Die wiedergegründete Kunstschule Wien wird deshalb von den potenziellen öffentlichen Subventionsgebern vernachlässigt. Die Webster University, eine Wirtschaftsmanagerakademie US-amerikanischer Herkunft, bot sich als Retterin an. Von Robert Sommer (Text) und Mehmet Emir (Fotos)-Ein Sesseldesigner kann seine Liebe zum Animationsfilm entdecken, die Malerin ihre (soziologische) Zuneigung zu den grantelnden Alten im Gemeindebau. Kunststudierende wie der junge Wiener Kenan Ramazanoğlu rechnen es der Kunstschule Wien hoch an, dass sie über die Methoden der Vernetzung und der fächerübergreifenden Ausbildung die Beteiligten zu nicht schubladisierbaren Vielfach-Kreativen machen kann. Was nicht schubladisierbar ist, ist indes schlecht zu verwerten, trägt – wie die Kunst überhaupt – wenig zum geheiligten Wirtschaftswachstum bei. Paradox: Ausgerechnet eine Privatuni, die künftige Manager_innen ausbildet und die Religion des Wachstums lehrt, sichert die Existenz dieser Kunstschule ab, indem sie die Direktorin und die Lehrenden vor ehrenamtlichem Einsatz bewahrt.
Die Künstlerinnen Gerlinde Thuma und Eliane Huber-Irikawa schafften, was viele nicht für möglich hielten: den Relaunch der traditionsreichen Kunstschule Wien, die vor mehr als sechs Jahrzehnten von einer großteils in Vergessenheit geratenen Revolutionärin als eine Art antielitäre Gegenakademie gegründet worden war. Vor zwei Jahren wurde die Kunstschule von einer rotgrünen Rathausführung geschlossen, die den Wert einer niederschwelligen Alternative zu den Auslese-Akademien nicht erkannte, die 80 bis 90 Prozent der Studienanwärter_innen als vermeintlich für Kunstschaffen Ungeeignete nach Hause schicken. Ramazanoğlu kann seine eigene Erfahrung dazu einbringen: «Ich habe mich in der Angewandten für das Fach Modedesign beworben, zusammen mit rund 400 anderen. 25 von ihnen sind aufgenommen worden» Das Unerträglichste war für ihn nicht die Abfuhr, die die Bewerber_innen ohnehin alle erwarten, sondern die Kommentarlosigkeit, mit der einem die Mappe mit dem Herzeigbaren zurückgeworfen wird. «Du kriegst absolut kein Feedback, weißt nicht, was du falsch gemacht hast.»
Angenommen, Gerda Matejka-Felden, die «rote» Gründerin der Kunstschule, angeekelt vom damaligen De-facto-Ausschluss der Frauen und der Kinder der Arbeiter_innenklasse aus der universitären Ausbildung, beobachtet von ihrem Himmel der Gerechten aus, wie ihre Erbinnen mit ihrer außerordentlichen Hinterlassenschaft verfuhren. Würden sie ihre Beobachtungen zufriedenstellen? Zum Teil ja. Dass das Herzstück der Kunstschule Wien in den Ottakringer Sandleitenhof übersiedelte, diesem Präzedenzfall der glücklichen Liaison von moderner Architektur und angewandter Klassenpolitik, würde der Professorin taugen.
Der gute und der reiche Partner
Diese neue Verortung, verbunden mit einer neu gewonnen Partnerschaft, mit dem Grätzlarbeits- und Kunstvermittlungsprojekt «SOHO in Ottakring», befördert die künstlerisch relevanten Begegnungen der Studierenden mit ihrer Nachbarschaft. Kunstschule-Direktorin Gerlinde Thuma nennt ein Thema aus der Bezirksgeschichte, bei dem sich die Kommunikation zwischen ihren Student_innen und Sandleitner Zeitzeug_innen aufdränge: Erzählungen über die kampflose Befreiung Sandleitens und die listige Entwaffnung der Nazi-Truppen. Gegenüber der vornehmen Zentrumslage der Akademie am Schillerpark haftet dem peripheren Standort Sandleitenhof, dessen Plätze und Straßen nach Revolutionären der Arbeiter_innenbewegung benannt sind, eine symbolische Bedeutung an.
Die jedoch relativiert wird durch eine weitere Partnerschaft, deren Zuneigung zu den Ideen des Roten Wien begrenzt ist, die aber für den Wiederaufbau der Kunstschule Wien von ausschlaggebender Bedeutung war. Ohne die Gelder der US-amerikanischen Webster University, die ihren Sitz in St. Louis, Missouri, hat und als Webster Vienna Private University seit 1981 über eine Dependance in Österreich verfügt, könnte die Kunstschule Wien keine paar Wochen überleben. Gerlinde Thuma und Eliane Huber-Irikawa, die beiden Protagonist_innen der Kunstschule, betonen im Augustin-Gespräch die symbiotischen gegenseitigen Vorteile dieser Partnerschaft; einen guten Teil ihres Einkommens beziehen sie von Webster. Wir scheuen uns, sie mit der Frage in Verlegenheit zu bringen, ob eine Privat-uni, die zudem Verträge mit der US-Army hat, der ideale Partner sei.
Zu den Hervorbringseln dieser Zusammenarbeit zählen die künstlerischen Sommercamps in Wien, in denen es – obligatorisch in englischer Sprache – zu eigenartigen Begegnungen zweier Welten kommt: Kunstschulstudentin A, die nicht weiß, wie sie die Studiengebühr von etwa 1000 Euro für das letzte Studienjahr finanzieren soll, trifft auf Studiosus B aus dem US-Staat Missouri, der für seine «Master of Business»-Ausbildung bis zu 45.000 Euro jährlich hinblättert. Kenan Ramazanoğlus Studiengebühr fürs Jahr beträgt nur zwei Prozent davon – aber die muss er durch Nebenjobs verdienen. Derzeit sittet er Babys. Dennoch kommt bei ihm keine «klassenkämpferische» Distanz zu den reichen Studies vom anderen Ufer des Teichs auf; im Gegenteil, er genoss das Zusammensein während des sechswöchigen Sommer-Campus. Und er war verblüfft, unter den Amerikaner_innen auf künstlerisch ganz ähnlich tickende Menschen zu stoßen.
Die künftige Elite Osteuropas
Die «Zeit» hat den Webster-Juppie-Typus und dessen Besonderheiten im Wiener Webster-Ableger, wo die künftige politische und wirtschaftliche Elite Osteuropas versammelt ist, wenig empathisch gezeichnet: «Eine Universität erkennt man in Wien auch daran, dass vor dem Eingang zu der Alma Mater Hunderte bunte Fahrräder angekettet sind. Vor dem Campus der Webster University Vienna, einer der größten Privatuniversitäten des Landes, hängt hingegen kein einziges Fahrrad an einem Stahlschloss. Hier parken schicke Schlitten. Ihre Fahrer scheint es wenig zu kümmern, dass sie all die Karossen mit klingendem Namen, Porsche Cayenne, Aston Martin oder BMW X5, mitten in einer Halteverbotszone abgestellt haben. Die Kennzeichen der Fahrzeuge laden zu einer Reise durch Osteuropa und den Nahen Osten ein: Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Saudi-Arabien. (…) Diese Menschen kommen hierher, um eine internationale Ausbildung zu erhalten, die in ihren Ländern hoch im Kurs steht.»
Muss man die Krot schlucken?
Und hoch im Kurs stehen, wie in allen Schlachtfeldern des Neoliberalismus, nicht die Humanwissenschaften, nicht die Geisteswissenschaften, nicht die Künste. Solche «unnützen Orchideenfächer» hat es bei Webster am Anfang noch gegeben, doch heute wird nur noch gelehrt, was der großen Wirtschaft nützt; die entsprechenden Fächer heißen auf gut Neoliberaldeutsch International Relations, International Business, Media Communications, Business Administration, Finance und Marketing. Unsereins scheut sich, Bildungseinrichtungen, die derartig eindimensional sind, Universitäten zu nennen.
Kritische Ausbildende und Auszubildende in der Kunstschule Wien, zweifellos eine Minderheit, wissen, dass sie mit Partner Webster «die Krot schlucken» und dass das Sommercamp der Künste nicht die Ausweisung des Kunst-Faches aus dem Webster-Regelstudium kompensiert. Sie wissen freilich auch, dass der eigentliche Kunstschule-Skandal die fehlende Einsicht der öffentlichen Hand ist, dass die Kunstschule als demokratische und soziale Alternative zur akademischen Schiene der Kunstausbildung ihre Berechtigung hat und so zu subventionieren wäre, dass sowohl die fragwürdige Partnerschaft mit Webster als auch die von den Absolvent_innen geforderten Studiengebühren aufgegeben werden könnten.
Im November beginnt das dritte (von sechs) Semester der Kunstschule Wien neu. Mit den Nachrückenden werden es wohl bald wieder 200 Studierende sein. Wo sie alle unterrichtet werden, weiß niemand. Das seit 2002 leerstehende Elektropathologische Museum im Sandleitenhof wäre ideal für den Kunstschulbetrieb.
Kenan Ramazanoğlu zum Kollateralnutzen dieser «Uni»: «Der Matteottiplatz, einer der schönsten Plätze Wiens, würde vom Tode auferstehen». Freilich könnte der Platz dann auch für Webster interessant werden. Davor bewahre uns das schlechte sozialdemokratische Gesamtgewissen Ottakrings.