Turrini: «Fühle mich beschenkt»Artistin

Premiere «Sauschlachten» 11% K.Theater Augustin

Ein gefundenes Fressen waren Turrinis Stücke für die «Kronen Zeitung», die ihn als subventionierten Österreichbeschimpfer denunzierte. Das war vor 40 Jahren; wer meint, die Gesellschaft sei offener geworden und ein Stück wie «Sauschlachten» bringe inzwischen auch ein Gabalier- und Musikantenstadlpublikum in ein geistiges Schunkeln, sollte nach den Terminen fragen, an denen das 11% K.Theater des Augustin das Stück aufführt.Autor Peter Turrini (71), der bei der Premiere im Kulturzentrum 7stern dabei war, bedankte sich für die Leidenschaft, die die Bühne füllte, und betonte, er fühle sich – 43 Jahre nach der Fertigstellung seines Stücks – von Augustinverkäufer_innen beschenkt, die «Sauschlachten» begriffen hätten. Im Folgenden fünf Meinungen zur Premiere (24. Jänner 2015), zu Papier gebracht von Augustin-Autor_innen.

Die Wärme aus dem Inneren des Grunzens

Mitte der Siebzigerjahre erkannte Peter Turrini, dass sein Verhältnis zum Theater gestört war. Die Theaterbühne sei längst kein Ort der Vermittlung mehr, sagte er damals, sondern «nur noch eine zur Subventionstradition erstarrte Leichenhalle». Seltsamerweise schloss diese Theaterskepsis auch seine den Theaterbetrieb revolutionierenden Stücke aus der ersten Hälfte der 70er, «Rozznjogd» und «Sauschlachten», mit ein. Konsequenterweise wandte er sich dem Fernsehen zu, schrieb mit Wilhelm Pevny die Drehbücher zur TV-Serie «Die Alpensaga». Zwar zog er sich damit die nachhaltige Feindseligkeit des Österreichischen Bauernbundes zu, aber sein Bekanntheitsgrad und seine Reputation als Radikalster in der Heimat-Bashing-Schriftstellerszene explodierten.

In dem Maß, in dem die Hochkultur Turrini als Dramatiker ignorierte (im Burgtheater brachte Peymann noch sechs Turrini-Stücke zur Aufführung, Bachler immerhin noch eines, Hartmann null), fand er auch das Theater wieder nützlich als Irritationsfabrik. Spätestens nach der Aufführung von «Sauschlachten» durch die Theatergruppe des Augustin ist auch klar, dass das 1972 uraufgeführte Stück frisch und gültig geblieben ist; denn es geht um die skandalöse Wahrheit, dass in Österreichs superkatholischen Dörfern im Prinzip alle als Geschöpfe Gottes durchgehen – mit Ausnahme der Dorftrottel; in Turrinis Drama werden sie geschlachtet, auf einer anderen Ebene der Faktizität kamen sie nach Wien, wo sie am schönen Spiegelgrund von einem bis vor kurzem angesehenen sozialistischen Arzt ermordet wurden.

Es ist nicht die feine anarchistische Art, jemanden aus dem Ensemble hervorzuheben, aber es drängt mich, Michael Schütte in der Rolle des sprechverweigernden Außenseiters und Rudi Lehner, der in seinem breiten vorstädtischen Wienerisch den bäuerlichsten, bauernbündlerischsten aller vorstellbaren Vierkanthoftyrannen spielt, der noch dazu deutschvölkelt, lobend zu erwähnen; das Ensemble und die Regisseurin Karolina Hartel lassen eine Großfamilie zu jener Eishölle werden, die Turrini benötigte, um zu verdeutlichen, dass die einzige Wärme in ihr vom nur noch grunzenden Außenseiter ausgeht.

Robert Sommer

Standing Ovations für die Utopie der Inklusion

Eine großartige Auftaktveranstaltung zum «20 Jahre Augustin»-Jubiläumsjahr: 11% K.Theater thematisiert mit Peter Turrinis «Schauschlachten» Normierungzwänge der Gesellschaft. Der Inhalt ist so aktuell wie zur Premierenzeit 1972. Das Andere – symbolisiert als Volte – darf nicht sein! Dagegen schreibt und arbeitet das Medien- und Sozialprojekt des Augustin seit 20 Jahren. Der Sehnsucht nach der Utopie der Inklusion, Teilhabe, des Sein-Dürfens ist im tosenden Applaus akustisch Ausdruck verliehen, und ich bin nicht allein damit – wir sind viele mit dieser Sehnsucht, und wir werden mehr.

Danke für 20 Jahre hinschauen, aufzeigen, Alternativen anbieten.

Evi Rohrmoser

Über die Unzumutbarkeit der Hilflosen

Das Stück, die Umstände: Familie, Lehrer, Pfarrer, Arzt und Notar sind sich einig – der behinderte Sohn muss geschlachtet werden. Unzumutbar, der Hilflose, für seine Umwelt. Peter Turrini schrieb das Stück im (imaginierten?) Tauwetter der 1968er-Revolte, er war damals hart an der Realität: Schwangerschaftsabbruch – ein Verbrechen; vor Brodas Strafrechtsreform: eine Nacht auf hartem Lager am Jahrestag der Tat für den Verurteilten; Ehefrauen brauchten vor der Familienrechtsreform das schriftliche Einverständnis des Mannes, wenn sie arbeiten wollten.

Heute? Würde der gequälte Sohn in Turrinis Parabel gegen einen Protagonisten wie etwa einen Asylsuchenden aus Tschetschenien getauscht, dann werden Familie, Lehrer, Pfarrer und Notar zu desorientierenden Wegwerfzeitungen, hetzenden, gewählten Mandataren, zu Internierungslagern wie die Saualm oder zu Landeshauptmännern, die nach der Integrationspolizei oder dem Integrationsknast rufen, um rechte Stimmen zu lukrieren.

Das Ensemble des 11% K.Theaters spielte exzellent einen «alten» Turrini – das Stück ist heute erschreckend aktuell. Verwerfungen zeigen sich lediglich in anderen Erscheinungsformen. Jedoch mag das Publikum auch erfreut denken und/oder erhoffen: Heute gibt es mehr Widerstand.

Und: Es wäre nicht das Projekt Augustin, käme bei der Stückauswahl zum Auftakt der Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich 20 Jahre Augustin nicht eine Arbeit wie Turrinis «Sauschlachten» in den Fokus.

Stückauswahl, Turrinis Text, Regie und Spiel der Gruppe 11% K.Theater: Chapeau! Bitte mehr!

Clemens Staudinger

Der Pförtner schnuppert Theaterluft

Der Geruch vom Schweinsbraten, welcher am Ende des Stückes aufgetischt wurde, hängt mir noch immer in der Nase. Bin ich an diesem Abend irgendwie konditioniert worden? Werde ich bei künftigen Wirtshausbesuchen, wenn an den Nebentisch ein Schweinsbraten serviert wird, aufspringen und ins nächstbeste Theater eilen? Mir bedeuten die Bretter wahrlich nicht die Welt, doch die Premiere von «Sauschlachten» konnte mich etwas mit der darstellenden Kunst versöhnen.

Ich wäre dem Stück inhaltlich gerne konzentrierter gefolgt, aber die Ablenkung vom noch ewig nach Vorstellungsbeginn in den Saal strömenden Publikum warf mich quasi aus der Bahn. Anders ausgedrückt die Funktion des Pförtners ist mit jener des «Theaterkritikers» für mich nicht kompatibel.

Die Bestuhlung reichte gerade für die Hälfte des Publikums. Peter Turrini hatte natürlich einen Sitzplatz reserviert bekommen. Von diesem erhob er sich nach der Vorstellung, um empathische Worte ans Ensemble zu richten. Nebenbei merkte er an, dass er dieses Stück als 24-Jähriger geschrieben hätte – als unausgereifter Dramatiker, unterstelle ich ihm jetzt, denn was mir als Türpförtner möglich war aufzuschnappen, konnte meiner Distanziertheit dem Theater gegenüber keinen Schaden zufügen.

Doch bei aller Befangenheit als Augustin-Mitarbeiter muss ich eine besondere Qualität des 11%-K.Theater-Ensembles hervorstreichen: Jede und jeder Einzelne ist nicht in die Rolle hineingeschlüpft, sondern hat sie mit dem persönlichen Habitus in Einklang gebracht. Diese Art, zu spielen, können vermutlich nur Underdogs. – Wahrscheinlich gehe ich deswegen auch lieber ins Wirtshaus als ins Theater.

Reinhold Schachner

Genau der richtige Ton

Eigentlich verstehe ich die Kunstform Theater nicht – auf einer Bühne stehen und gespreizt reden. Übers Leben, wie es ist, sein könnte oder eben überhaupt nicht sein kann, erzählt mir das Kino plastischer und weitaus eindringlicher oder auch die Literatur, wo ich den Film im Kopf ablaufen lasse. Dann noch eher Oper. Den Einwand, es sei unnatürlich, dass etwa einer eine Viertelstunde lang singt, dass er stirbt, lass ich nicht gelten, im richtigen Leben, dauert Sterben meistens noch viel länger. In Peter Turrinis «Sauschlachten» stirbt am Ende auch einer, relativ schnell durch die geübte Schlachterhand seines Vaters. Der soziale Tod hat ihn, Volte, den geistig behinderten Bauernsohn, schon lange vorher ereilt. Zunächst wird ihm im Dorf, dann in der Familie das Menschsein abgesprochen. Turrinis Stück zeichnet diesen Prozess nach und bedient sich dabei der Elemente des Volksstücks wie Dialekt, typische Charaktere (Bauer, Bäuerin, Knecht, Magd usw.) und derbe Witze. Die Frauen und Männer des 11% K.Theaters sprechen in unterschiedlichen Dialekten und Akzenten, Holpern und Hängen inklusive. Kommt mir nicht mit Timbre und Modulation! Vergesst Method Acting! Sich im sprachlichen oder körperlichen Ausdruck verbiegen wollen und können sie nicht, weder in Richtung hochgezüchteter Dramenkunst noch in Richtung Volkstümlichkeit, und gerade deshalb treffen sie genau den richtigen Ton – und zeigen mir, warum Theater doch etwas zu sagen hat.

Jenny Legenstein

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