Musikarbeiter unterwegs … in avantgardistische Gefilde
Seit 2014/15 gibt es Ventil Records. Ein Label, «focusing on advanced contemporary music». Label-Betreiberin Ursula Winterauer erklärt das näher. Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang
Im April 2013 war hier im Heft von Ash, My Love zu lesen. Einem Duo, bei dem Ursula Winterauer Bass spielt und singt, mit Einflüssen aus Delta-Blues und Ur-Rock-’n’-Roll. «Prinzipiell war ich musikalisch schon immer breit aufgestellt», sagt sie. Was so auch für ihren Ash-Partner Andreas Dauböck gilt und erklärt, warum der Fokus beider derzeit auf anderen kreativen Projekten liegt. Winterauer spielte unter anderem bei Wealth Bass. Einer Band, die «es so derzeit nicht mehr gibt». Die Labelsuche für Wealth spielte in die Gründung von Ventil Records hinein. Beschrieben wurden Wealth als «dem elektronischen Avantgarde-Kontext zugehörig, Krautrock, Entwicklung hin zu mehr Elektronik». Primer von Wealth erschien als sechstes Release von Ventil, 2019 hält das Label bei zwölf Veröffentlichungen. Für 2020 stehen vier bis fünf neue Projekte auf dem Plan – Ventil veröffentlicht Vinyl und vermarktet die verlegte Musik digital («um digital kommt man nicht herum») – und ein zweitägiges Ventil-Fünfjahresfest in der Fabrik in Aspern. Winterauer spricht, wenn sie vom Label redet, immer wieder von «wir», bezieht sich dabei etwa auf Mitgründer Peter Kutin, der als Klangkünstler und Komponist einiges via Ventil veröffentlicht hat. Neben soundästhetischen Qualitäten sucht Winterauer für Ventil vor allem aktive Künstler_innen, die ihre Vision mit Nachdruck betreiben, was die Kooperation Label und Musiker_in erst so richtig fruchtbar und inspirierend macht, «wenn man sich gegenseitig pusht». Mit Katharina Ernst und fauna manifestiert sich dazu ein so expliziter wie selbstverständlicher feministischer Anspruch, der dabei ganz originäre künstlerische Positionen einnimmt. Die Labelarbeit betreibt dabei hauptsächlich Ursula Winterauer. «Voll die schöne Arbeit, ich werde auch im eigenen Schaffen inspiriert, gewinne immer wieder Einblick in Zusammenhänge …»
Kapitalismus, deine Portokosten!
Von wegen eigenes Schaffen: Als Gischt arbeitet Ursula an einem Album – «verfremdeter Bass, Synth, Beats mit dem Computer, Drum-Machine, Stimme – keine Texte, als Sound, Atmosphäre, ich brauch’ noch Zeit.» Eine Journalistin verortete den Sound als «slow motion techno mit Ambient, eigentlich Industrial». In der glücklichen Lage, von Presse- und künstlerischer Arbeit in labelnahen Bereichen («Konzerte, Sounddesign, Film, Filmvertonungen …») materiell leben zu können, geht sich dabei das Arbeiten im Nischenbereich aus. Auch wenn dabei die Auflagen tendenziell kleiner werden, mit 100 gepressten Vinyl-Kopien und Tapes kann der heimische und internationale Zuspruch – Ventil wurde/wird im Magazin Wire und auf der Website Quietus wohlwollend reviewt, hierzulande nahmen/nehmen Ö1 und Falter wahr – befriedigt werden. Wobei Portokosten von fast 25 Euro um eine, weniger kostende, Platte nach Japan zu versenden, einen schon grübeln lassen, wie es ebenso ärgerlich ist, dass ein Vertriebsangebot aus den USA nicht wahrgenommen werden kann, weil sich das einfach nicht rechnet.
Rise like …
Andererseits geht es bedingt darum, möglichst viel zu verkaufen. Wirklich wichtig sind die künstlerischen Statements, die einzelnen Releases, wobei Releases mit starkem künstlerischen Anspruch verstärkt als Platten (also «das Objekt») gekauft werden, während bei Releases mit eher clubmusikalischem Ansatz digitale Umsätze verstärkt vorkommen. Dazu kommt die Befriedigung, an einem gemeinschaftlichen Projekt zu arbeiten und den Netzwerkgedanken zu pflegen. Eine willkommene Anerkennung erfuhr Ventil Records durch das Zuerkennen einer kleinen Shift-Förderung 2017/18. «Als ich mit der Information angerufen wurde, bin ich gerade in der Bim gefahren, beim Lifeball-Aufbau vorbei, und Conchita Wurst hat Rise like a phoenix gesungen.» Mit dem ausgeschütteten Geld konnte die Arbeit der Künstler_innen adäquat entlohnt werden, samt reellen Gagen bei mit dem Label assoziierten Veranstaltungen, und im Jahr 2018 die Wahrnehmung von Ventil Records an sich gesteigert werden. Ob der doch hohen Produktionskosten von Vinyl wäre eine vergleichbare Förderung über einen längeren Zeitraum als ein Jahr wünschenswert. Aber auch ohne eine solche sieht Ursula Winterauer, die sich im Gespräch als «große Freundin von Veränderung» definiert, Ventil Records als das langfristige Projekt einer tauglichen Plattform für spezielle Musik, das sie mit großer Freude betreibt.
ventil-records.com
ventil-records.bandcamp.com
Katharina Ernst: Extrametric,
Schrecken & Bernhard Bauch: Same, fauna: Infernum
Fr, 20. 12.
Ventil Records x Struma + Iodine
Grill X, ab 22 Uhr
Hypercycle vs Cyberheikel / Snake Boots / PLF
(Lukas König, Freya Edmondes, Peter Kutin) /
Group A / DJ Gischt & Inou Ki Endo