Im Porträt: Karl Iro Goldblat
Glücklich verheiratet. Als junger Mann wollte der Künstler Karl Iro Goldblat sich ausgerechnet durch Otto Muehl von seiner Homosexualität heilen lassen. Heute lebt er, geheilt von allen Heilungsversuchen, mit seinem Mann zusammen. Über seine Autobiografie hat Ariane Ehlmaier-Heilingsetzer mit ihm gesprochen. Foto: Michael Bigus
«Da Iro Koarl», wie er im lautmalerischen Wienerisch von seinen Freunden genannt wurde, der war eigentlich schon in ganz jungen Jahren in der Wiener Szene unterwegs, war allseits beliebt und galt als künstlerisch vielseitig begabt. Der mittlerweile 71-Jährige war ein Schulfreund meines Onkels Johannes, mit dem er 1963 in einer Skiffle-Band mit selbstgebastelten Instrumenten jammte, später dann auf den wilden Partys von dessen älteren Brüdern in unserem Grinzinger Elternhaus Zaungast, um dann Anfang der 1970er-Jahre im berüchtigten Szenelokal Vanilla wieder auf meinen Vater, der ein Mitbegründer dieses angesagten Clubs war, zu treffen und enge Freundschaft zu schließen. Inzwischen hatte er sich als Gitarrist bei diversen damals bekannteren Bands wie The Clan mit Ludwig Hirsch und Plastic Drug erprobt, an der «Angewandten» bei Oswald Oberhuber Grafik und Malerei studiert und war nun auf der Suche nach neuen, radikaleren Wegen. Der Wiener Aktionismus der 68er, an dem Otto Muehl mitgewirkt hatte, konnte ihn da am meisten faszinieren. Waren die Aktionisten doch angetreten, genau das konservative Österreich zu provozieren, aus dem auch seine eigene Familie stammte.
Vom Cottage in die Kommune.
Sein relativ alter Vater, Volkmar Iro, zählte auch zu diesem konservativen politischen Lager, war in den 1930er-Jahren als Anhänger des Dollfuß-Regimes bei der Vaterländischen Front und nach 1945 bei der ÖVP. Er soll von beiden Kriegen schwer traumatisiert gewesen sein und verstarb viel zu früh, als Karl erst 13 Jahre alt war. Die Mutter arbeitete als erfolgreiche Kostümbildnerin und hatte wenig Zeit. Seinerzeit hatte sie Filmgrößen wie Paula Wessely eingekleidet, dann tauchte sie im Zweiten Weltkrieg in einem Versteck unter, während der Großteil ihrer jüdischen Familie im Holocaust umkam. In den 1950er-Jahren knüpfte sie wieder an die frühere Karriere an und stattete etwa die berühmten Sissi-Filme mit Romy Schneider aus.
Der junge Karl wirkte ein wenig verloren in dem einerseits durch diese Traumatisierungen depressiven, andererseits fleißig am Wiederaufbau mitwirkenden bürgerlichen Elternhaus, inmitten des noblen Wiener Cottageviertels. Er war ständig auf der Suche nach einer Ersatzfamilie, einem Ersatzvater und Geborgenheit. Gleichzeitig war er ein von seiner psychischen Instabilität Getriebener, der vor allem mit seiner eigenen Homosexualität haderte, die damals trotz gewisser Akzeptanz in Künstlerkreisen – im Vanilla etwa war es eigentlich in, schwul zu sein – von ihm als großes Handicap empfunden wurde. War doch die gesellschaftliche Diskriminierung andernorts ständig spürbar und Homosexualität gerade erst 1971 legalisiert worden. Nach eingehender Lektüre von Sigmund Freud deutete Karl seine sexuelle Orientierung als Entwicklungsstörung, wollte diese ändern und heterosexuell werden. Er suchte nach einem Analytiker und traf auf Otto Muehl.
Anpassungsversuche eines Chamäleons.
enau an dieser Wende in seinem Leben beginnt die Autobiografie Als ich von Otto Muehl geheilt werden wollte. Nach einem letzten schönen Sommer des Jahres 1972 in einem alten Waldviertler Bauernhaus mit seinen sich vor allem aus dem Vanilla rekrutierenden Freunden, einem Sommer, in dem ich als Kind auch mit dabei war, verabschiedete sich der Iro Karl mehr oder weniger für immer, so empfanden wir es damals, und zog in die radikale Muehl-Kommune. Ausgerechnet vom machistischen, homophoben, in linken Kreisen als reaktionär geltenden Otto Muehl erwartete er sich seine «Heilung». Die Freunde waren skeptisch.
Ob das gut gehen konnte? Nun, freilich nicht. Trotz aller am Friedrichshof probierten Therapien, trotz dem täglichen Zwang zur angeblich freien heterosexuellen Aktivität und trotz gegenteiliger öffentlicher Bekenntnisse: Der Iro Karl blieb schwul. Aber er blieb auch, möglicherweise sogar zu seiner eigenen Verblüffung, über 18 Jahre der Muehl-Kommune treu, bis zu ihrem bitteren Ende. Er führt das in unserem Gespräch auf eine Art gruppendynamischen Sog zurück.
In seiner flott und spannend geschriebenen Erzählung gelingt ihm eine kurzweilige und humorvolle Darstellung seiner eigenen Entwicklung und jener der Kommune, die zu ihren besten Zeiten immerhin an die 700 Mitglieder hatte und europaweit in der Alternativbewegung einflussreich war. Seine kritische Selbstreflexion über seine Selbstverleugnung zugunsten des radikalen kommunistischen Experiments, der ihm Sicherheit gebenden Gruppe und der Faszination für Muehls charismatische Persönlichkeit, klingt plausibel. Tragisch, wie er sich, einem Chamäleon gleich, immer wieder anzupassen versucht, wiederholte Erniedrigungen aushält und trotzdem von Muehl abgelehnt wird. Als der Kunstpädagoge dann zum Wirtschaftsboss der Kommune avanciert und erst in dieser Funktion endlich die Anerkennung des Übervaters erhält, ist das tragikomisch.
Krass auch seine Beschreibung der straffen, hierarchischen Gruppenstruktur, die durch die brutale «Recht des Stärkeren»-Mentalität immer wieder an die nationalsozialistische Prägung des ehemaligen Hitlerjungen Otto gemahnt. Auch seine treffende Beobachtung des stetig wachsenden Muehl’schen Größenwahns, den er auf dessen Kokainismus ab circa 1983 zurückführt, ist durchaus nachvollziehbar. Weniger glaubwürdig wirkt, dass niemand in der Kommune von Muehls Missbrauch der minderjährigen Mädchen, für den er dann 1991 ins Gefängnis kam, etwas mitbekommen haben will.
Idylle mit Hund und Mann.
Ich besuche den alten Freund der Familie in seinem gemütlichen Wohnatelier und treffe auf eine Idylle mit fröhlicher Hündin Lucy und sympathischem Ehemann. An der Wand hängen einträchtig nebeneinander die Bilder von Karl und Stefan. Dieser sei aber kein Profikünstler, sondern male zum meditativen Ausgleich für seinen stressigen Job, den der studierte Berliner Geisteswissenschaftler hier in Wien ausübe, erzählt mir Karl nicht ohne Stolz. «Was bedeutet diese Ehe für dich?», will ich wissen. «Sie ist für mich ein Bekenntnis, auch eines zur Übernahme von Verantwortung in Krisen. Das ist nun, nach einer Zweckehe für die Kommune, meine erste richtige Ehe, und ich bin recht erstaunt, dass offenbar keine Lebensform leicht ist. Das Kommuneleben, das Singleleben, die Zweisamkeit. Wir müssen wie alle anderen den Alltag hinkriegen, aber es geht uns gut.»
Zusammenfassend meint er zu seinem Leben bei Muehl: «Ich habe eine Inflation von Entwürdigungen durchlebt, aber auch einen wichtigen Erkenntnisprozess durchlaufen.» Und nicht zuletzt: «Schlimm war, dass uns die Traumatisierungen der Kinder nicht so klar waren, daran arbeiten wir noch heute.»
Wir sprechen auch über die aktuelle Politik, die Karl mit Argusaugen beobachtet. Die Rechtswende bei uns sei für ihn Anlass für Wut und Sorge. Trotz vielfach erfolgreicher emanzipatorischer Aufklärung bewege man sich immer noch auf einem sehr dünnen Eis, und die alten Feindbilder, sprich Juden, Schwule, Frauen, könnten jederzeit wieder bedient werden. Derzeit sei er selbst nicht direkt betroffen, denn: «Die FPÖ lässt ja seit dem Skandal um ihren Jörg Haider die Schwulen in Ruhe, bedient sich anderer Feindbilder, zum Beispiel der Migration.» Den neuesten internationalen Eklat im April dieses Jahres, die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle in Brunei, sieht er einerseits als Zeichen des Rückschrittes, der eben auch da dem Islamismus oder anderswo dem konservativen Christentum immer mehr Raum gebe, andererseits habe die Gegeninitiative des Hollywood-Schauspielers George Clooney Wirkung gezeigt, das stimme ihn wiederum optimistisch. Es habe sich doch sehr viel getan in den letzten fünfzig Jahren, und das könne so schnell nicht alles wieder rückgängig gemacht werden.
Auf diese doch sehr veränderte Welt bezogen, frage ich ihn, ob er heute als junger Mann noch einmal so ein Experiment wie die Muehl-Kommune wagen würde: «Natürlich nicht!», ruft da «da Iro Koarl» fast entrüstet: «Heute würde ich in eine Schwulen-WG ziehen!» Womit eigentlich alles gesagt wäre.
Karl Iro Goldblat:
Als ich von Otto Muehl geheilt werden wollte
Ritter Verlag 2018, 208 Seiten, 18,90 Euro