Den Krieg auslachen? Gewalt und Vertreibung mit poetischem Sarkasmus begegnen? Hamed Abboud hat in seinen literarischen Texten eine entwaffnende Antwort auf Erfahrungen von Entmenschlichung gefunden.
Text: Helmut Neundlinger, Fotos: Jana Madzigon
Das mit dem Bart ist eine komplizierte Sache. «Normalerweise trage ich ihn gern», erzählt Hamed Abboud, «aber in der Quarantäne musste ich ihn kürzen: Er hat mich depressiv gemacht!» Die in ebendiesem Bart versteckten Geschichten – so der Titel seines im Vorjahr in der Edition Korrespondenzen erschienenen Kurzprosabandes – hat der 1987 in der syrischen Stadt Deir al-Zor geborene Dichter zum Glück schon vorher gepflückt. Er erzählt darin von seinem Ankommen in Österreich und den damit verbundenen Erfahrungen. Am 12. 12. 2014 meldete er sich als Flüchtling in einer Grazer Polizeistation und wurde vom verblüfften Polizeibeamten gefragt, ob ihm bewusst sei, dass er nicht in Deutschland, sondern in Österreich gelandet sei. Abboud war der Unterschied bekannt, nicht zuletzt weil ihn sein in Graz lebender Cousin zur Polizei begleitet hatte. Weniger bekannt war ihm das Burgenland, in das er nach einem Kurzaufenthalt im Flüchtlingslager Traiskirchen versetzt wurde: nach Aschau im Bezirk Oberwart, wo sich ihm bald der spezifische sprachliche Kosmos der dort ansässigen Bevölkerung samt der darin zum Ausdruck kommenden Mentalität eröffnen sollte. Das Land, «dessen Bewohner einen Helikopter als Himmelstraktor bezeichneten», wuchs ihm so ans Herz, dass ihm das Bekenntnis zu diesem Volk auch in der Bundeshauptstadt Wien ohne Wimpernzucken über die Lippen ging. In dem Text Was wirklich aus den Zugvögeln wurde beschreibt er, wie er die Herzen der Stammbelegschaft eines fest in ex-jugoslawischer Hand befindlichen Beisls in der Goldschlagstraße mit der Feststellung, er komme «aus dem Burgenland», erobert. Woraufhin die kroatische Kellnerin ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck bringt, «dass eines Tages ein Mann in ihre Wiener Kneipe kommen und sich selbst als Landei vorstellen würde, ohne es als Witz zu meinen.»
Sarkasmus als Therapie.
«Wenn du wie ich auf der Flucht in Griechenland auf der Straße schlafen musst oder in Nordmazedonien von der albanischen Mafia entführt wirst und einfach keinen sicheren Ort mehr hast, dann bist du gezwungen, die Sachen anders zu sehen», erzählt Hamed Abboud. «Du wirst entweder depressiv oder beginnst, über die Wirklichkeit zu lachen.» Er bezeichnet den Sarkasmus, den er sich auf seiner Flucht angeeignet hat, als eine Art von Therapie, ein Selbstgespräch, das ihn an eine Eigenart in arabischen Ländern erinnert. In Syrien, Palästina oder Libanon sei es nämlich üblich, dass man psychisch Kranke nicht wegsperre, sondern ihnen im Gegenteil einen festen Platz im öffentlichen Leben der Dörfer und Städte zubillige. Im Vorbeigehen haben sich manche dieser verrückten Monologe für ihn wie Weisheiten oder Prophezeiungen angehört, erzählt Abboud. Ein bisschen ähnlich sei er sich vorgekommen, als er begonnen habe, seine Texte über die Flucht in Online-Magazinen zu veröffentlichen. «Als ich gemerkt habe, dass meine Freunde über diese Texte lachen, wusste ich, dass etwas Wichtiges geschafft war.»
Kostproben dieser unheimlichen, gewaltlosen Macht des Grotesken lassen sich auch in Abbouds 2017 im Schweizer Verlag pudelundpinscher erschienenen Band Der Tod backt einen Geburtstagskuchen nachlesen. Da wird dem Wunsch, «einen Panzer (zu) fahren», auf äußerst poetische Weise gehuldigt oder die «verschiedenen Varianten des Todes» beschworen. «Wandere um eines besseren Lebens willen nicht aus, sondern um eines besseren Todes willen», heißt es da. «In einer Zeit, in der alle durch Kugeln sterben, denke darüber nach, fortzugehen und zu ertrinken.» Frei von selbstgerechtem Moralisieren treffen solche Sätze ins Mark jener Verdrängung, die der Rest der Welt in Bezug auf den Krieg in Syrien leistet.
Steuern zahlen, verlieben, flüchten.
Hamed Abbouds poetischer Humor relativiert, indem er zuspitzt. Er schafft Platz und Aufmerksamkeit für jene Lebensgeschichten, die von Krieg und Vertreibung unwiderruflich verändert wurden. «Natürlich habe ich ein Schicksal», spricht der Protagonist von Imre Kértesz’ Roman eines Schicksallosen (orig. 1975) nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager, «aber es ist nicht meines.» Möglicherweise findet sich Abboud bei aller Unterschiedlichkeit der Erfahrungen in einer solchen Formulierung wieder. In der Geschichte Das ansteckende Fluchtgen formuliert er es so: «Wenn dir die Flucht vorherbestimmt ist, wird sie so sicher stattfinden, wie du Steuern zahlen musst, oder dich verlieben wirst.»
Abbouds Texte sind durchzogen von einem subtilen Widerstreit zwischen Identifikation und Distanzierung, und darin spiegelt sich auch der Spannungsbogen biographischer Erfahrungen wider. «Zu dichten habe ich begonnen, als ich unglücklich verliebt war», beschreibt er seine literarische Initiation im Teenageralter. «Ich konnte nicht sprechen, also musste ich schreiben – und es hat mich panisch gemacht, als ich merkte, dass es Gedichte waren, die aus mir herausflossen.» Zuspruch von Freund_innen und ein wachsendes Interesse an Philosophie und Literatur zu Studienzeiten münden in die Veröffentlichung eines ersten Gedichtbandes im Jahr 2012. Den Ausbruch der Revolution in seiner Heimat Syrien im Jahr davor hätte er beinahe versäumt, da er zu dieser Zeit in Schreibquarantäne an seiner Bachelorarbeit im Studienbereich Telekommunikation arbeitete. «Ich hatte keinen Fernseher und erfuhr erst von Freunden, dass Demonstrationen stattfanden.» Abboud schloss sich dem Aufstand an und kam bald in Schwierigkeiten, was ihn auch dazu zwang, seinen Gedichtband zu vernichten. «In einem Gedicht fand sich ein Satz über einen Märtyrer, der lautete: ‹Du bist unser Engel und ihr Teufel – wie schön bist du!›»
Aus Angst um ihre Kinder bat Abbouds Mutter Hameds älteren Bruder, der in Dubai arbeitete, um Flugtickets. Die Familie floh mit dem letzten Flugzeug nach Ägypten und blieb dort ein Jahr, bis aufgrund des Machtwechsels im Jahr 2013 die Stimmung gegenüber Flüchtlingen kippte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Dubai und einem Jahr in Istanbul gelangte Abboud mit seinem Bruder nach Griechenland und über die sogenannte Balkanroute schließlich nach Österreich.
Ein vielfältiges Produkt.
Seit 2016 lebt Hamed Abboud in Wien. Eine Bekanntschaft mit Schweizer Literaturfreunden brachte ihm einen Auftritt beim Festival Tour de Lorraine in Bern im Jahr 2015 und in der Folge seine erste Publikation in deutscher Sprache sowie zahlreiche Lesungen im gesamten deutschsprachigen Raum. Sprachlich bleibt Abboud einstweilen noch beim Arabischen, auch wenn schon erste Versuche auf Deutsch existieren. «Ich habe 20 Jahre gebraucht, um im Arabischen meinen Stil zu finden, das wird wohl auch im Deutschen noch ein bisschen dauern.»
Verlassen möchte er auf jeden Fall die Schublade des «schreibenden Flüchtlings». «Vor dem Krieg habe ich mich in meinen Texten mit so abstrakten Themen wie dem Nichts beschäftigt. Nun war ich gezwungen, mir die Erfahrungen als Flüchtling selbst und anderen zu erklären.» Was die Zukunft bringt, darf mit großer Spannung erwartet werden. Das Leben in Wien habe ihn jedenfalls in ein «vielfältiges Produkt» verwandelt. «In Syrien durften wir diese Vielfalt der Sprachen und Kulturen nicht genießen. Erst auf der Flucht habe ich verstanden, wie reich unsere Kultur eigentlich wäre – mit all den kurdischen, armenischen oder assyrischen Einflüssen. Hier in Wien treffe ich mich mit Menschen aus Österreich, Schweiz, Deutschland, Bosnien und merke erst, wie groß die eigene Perspektive dadurch wird.»
Hamed Abboud:
«Der Tod backt einen Geburtstagskuchen»
pudelundpinscher 2017, 152 Seiten, 19 Euro
«In meinem Bart versteckte Geschichten»
Edition Korrespondenzen 2019, 160 Seiten, 20 Euro
aus dem Arabischen von Larissa Bender
und Kerstin Wilsch
Handsigniert
Exklusiv für unsere Leser_innen verkaufen wir zehn handsignierte Ausgaben von «In meinem Bart versteckte Geschichten»
Die gesamten Einnahmen gehen an den AUGUSTIN – mit herzlichem Dank an den Autor für seine Solidarität.
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