Immo Aktuell
Österreich droht unter seinem versiegelten Boden zu ersticken. Wie es so weit gekommen ist und was getan werden muss, erklärt die pensionierte Universitätsprofessorin für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur Gerlind Weber.
INTERVIEW: GREGOR STADLOBER
Die Landbevölkerung stagniert, es scheint, als hätten eh alle schon ein Einfamilienhaus und jedes Dorf eine Shopping-Mall. Warum kommt der Bodenverbrauch nicht von selbst zum Stillstand?
Ein Treiber des Bodenverbrauchs ist schon, dass die Bevölkerungszahl in vielen Landgemeinden noch steigt. Etwa in den überwiegend noch ländlich geprägten Speckgürteln rund um die Landeshauptstädte oder in den wirtschaftsstarken Gemeinden Westösterreichs. Tatsache ist aber auch, dass sich seit den späten 1960er-Jahren der Anstieg der Zahl an Wohnungen vom Bevölkerungszuwachs entkoppelt hat. Das hat viele Ursachen: das stark steigende Wohlstandsniveau, immer kleinere Haushalte durch hohe Scheidungsraten, Nachkommen, die früh einen eigenen Hausstand gründen können, hohe Lebenserwartung, veränderte Arbeitsverhältnisse, die oft mehrere Wohnsitze erfordern und natürlich die wachsende Zahl der Feriendomizile.
Jüngst hat sich auch der Finanzmarkt zum großen Treiber entwickelt, da das angesparte Geld kaum mehr Zinsen abwirft und deshalb in Immobilien investiert wird. Das schließt die Veranlagung – auch von Auslandskapital – in Baugrundstücke, Wohnungen, aber auch Geschäftsflächen und Büros ein. Durch den Trend zum Wohnen und Arbeiten unter einem Dach wirkt sich mittlerweile auch Corona auf den ländlichen Bodenmarkt aus. Viele Objekte dienen aber nunmehr rein der Vermögenssicherung, das heißt, sie werden nicht oder nur teilweise genutzt.
Wie kommt Österreich zu seiner Sonderrolle als «Europameister» im Bodenversiegeln?
Indem die hohe Siedlungsdynamik auf mangelnde Einsicht stößt, was die Notwendigkeit zum Bodensparen betrifft. Es wurde und wird in vielen Fällen das «Bauen am falschen Platz» zugelassen. Das heißt, dass viel mehr Boden der Landwirtschaft entzogen wurde und wird als erforderlich. So hat man die Zersiedelung Österreichs über Jahrzehnte zugelassen bzw. sogar betrieben. Das Resultat lässt sich in folgenden Stichworten zusammenfassen: Landschaft verschandelt! Boden verschleudert! Geld vergeudet! Zukunft verbaut! Man hat Gesetze verabschiedet, die nicht dagegenhielten und zudem diese noch nachlässig – Stichwort Freunderlwirtschaft – vollzogen.
Welche Schäden verursacht Bodenversiegelung, und was sind die Auswirkungen auf das Klima?
Wird Boden versiegelt, das heißt verbetoniert bzw. geteert, wird zunächst die Humusschicht entfernt, wobei die darin gespeicherten Treibhausgase freigesetzt werden. Es entsteht ein reger Baustellenverkehr, und es kommen äußerst starke Verbrennungskraftmaschinen, aber auch Baumaterialien mit einem großen «ökologischen Rucksack» zum Einsatz. Der Boden wird mit einer wasserundurchlässigen Schicht überzogen, und damit verliert er seine Eigenschaft, Treibhausgase zu speichern, es wird auch tief in das Bodenleben und in die Wasserverhältnisse eingegriffen. Schließlich entstehen Gebäude oder Straßen, die durch ihre Nutzung zu einer starken Quelle für Treibhausgase werden. Es geht also die Schere zwischen immer weniger unbebautem Boden, der Treibhausgase speichern könnte, und immer mehr Treibhausgasquellen auf.
Was ist notwendig, um das Problem in den Griff zu bekommen? Und welche politischen Forderungen ergeben sich daraus?
Noch scheint die Problemeinsicht bei den Entscheidungsträgern nicht wirklich angekommen zu sein. Seit Jahren drängt die Fachwelt auf einen Kurswechsel, der kurz zusammengefasst lautet: «Von der Außenentwicklung zur Innenentwicklung!» Das heißt, man sollte alle Baubewilligungen von der Einsicht ableiten, dass das Versiegeln der «grünen Wiese» ein Auslaufmodell sein muss, nicht zuletzt, weil genügend Bausubstanz bereits existiert, aber nur besser oder anders genützt werden müsste. Elemente dieser Strategie wären: eine bewusstere Prüfung, ob das Baubegehren überhaupt noch vertretbar erscheint – siehe Lobautunnel! Eine Erhebung dessen, was leer steht bzw. krass unternutzt ist und wie diese Objekte einer Wiederverwendung zugeführt werden könnten. Hier sind Umbauten von Ein- auf Zweifamilienhaus, Ausbau (durch Aufstockung) oder Anbau – dabei wird ein freistehendes Gebäude zum Doppelhaus – die gängigsten Optionen. Es gibt aber auch schon gut durch Straße und Leitungen erschlossene Baulücken, die bevorzugt geschlossen werden sollten. Das Bebauen von großräumigen Landwirtschaftsflächen muss in Zukunft die absolute Ausnahme sein!
Im Augustin Nr. 531 haben wir behauptet, beim Viertelfestival Niederösterreich würde trotz des Mottos «Bodenkontakt» die Versiegelungsproblematik nicht thematisiert werden. Falsch! Unter anderem wird Gerlind Weber an einer Podiumsdiskussion teilnehmen:
Ein kleiner Flecken Erde – Errettung einer Kleinstfläche
18. September, 15–22 Uhr (Podiumsdiskussion: 18 Uhr)
3333 Böhlerwerk, Parkplatz Volksschule
www.viertelfestival-noe.at