Von Nachtflügen und Machtlügentun & lassen

Kann die burgenländische Gemeinde Parndorf die dritte Piste kippen?

Die dritte Piste kommt. Oder kommt sie doch nicht? Warum der Krimi um den Flughafenausbau weitergeht, obwohl vor Gericht bereits ein Sieg erklärt wurde, haben Robert Sommer (Text) und Lisbeth Kovačič (Fotos) im burgenländischen Parndorf erfahren.

Die sich schon als siegreich wähnenden Freund_innen der dritten Flughafenpiste haben möglicherweise einen großen Fehler gemacht: Sie haben die burgenländischen Gemeinden in Flughafennähe aus dem Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ausgeschlossen. Im besten Fall können die zivilgesellschaftlichen und lokalpolitischen Initiativen den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat nun doch noch verhindern. Im zweitbesten Fall gelingt es ihnen, die Inangriffnahme des Großprojekts zu verzögern. Das gäbe den widerständigen Gruppierungen Zeit für ein neues Kräftetanken, für eine Vertiefung ihres Wissens und für die Rekrutierung neuer Aktivist_innen. Genau das, die Verzögerung, ist der nordburgenländischen Gemeinde Parndorf von einem Rechtsanwalt der Flughafen Wien AG vorgeworfen worden; künftige Generationen – nehmen wir optimistischerweise an, ihnen sei die Klimakatastrophe erspart geblieben – werden den Verhinderern große und den Verzögerern kleine Denkmäler setzen.

Widerständiger Ostwind. Die Nutznießer_innen des Großprojekts, die Eigentümer der Flughafen Wien AG (Wien und Niederösterreich besitzen je 20 Prozent), sowie die Baumonopolisten Porr und Strabag, die sich die Aufträge aufteilen, sind mit der aktuellen politischen Konstellation höchst zufrieden, gilt doch Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) als geradezu fanatischer Anhänger der Flughafenerweiterung. «Ich hoffe, diese Akteure haben ein bisschen Angst davor, dass es dem Anwalt meiner Gemeinde gelingt, die Causa Dritte Piste zu verschleppen», schmunzelt Wolfgang Kovacs, der Bürgermeister von Parndorf. «Unser Anwalt will alle rechtlichen Mittel ausschöpfen und wir, die Gemeinde, werden ihn nicht zurückpfeifen.»
Innerhalb des «Dialogforums Flughafen Wien» haben die Initiativen, die Nein zur dritten Piste sagen, ein größeres Gewicht, seit die Gemeinde Parndorf sich offiziell als von den Auswirkungen mitbetroffen in die Widerstandsfront eingereiht hat. Parndorf ist die erste burgenländische Gemeinde, die im Dialogforum ihre Stimme erhebt, und weil sie wegen der Steuereinnahmen aus der Outlet-Zone zu den finanzkräftigsten aller burgenländischen Gemeinden zählt, ist zumindest ausgeschlossen, dass der Kampf gegen das Megaprojekt wegen Geldmangels eingestellt wird. Inzwischen hat sich eine zweite burgenländische Gemeinde, Bruckneudorf, dem Vorgehen Parndorfs angeschlossen. Der Bruckneudorfer Bürgermeister Gerhard Dreizker, ein Mann der SPÖ, stellt sich damit quer zur Position der Parteiführung, die die dritte Piste wegen des vermeintlich riesigen Arbeitsplätze-Zuwachses herbeiwünscht. Der Parndorfer Bürgermeister sitzt aufgrund des Wahltriumphs der unabhängigen Bürger_innenliste LIPA im Amt, ist also frei von Druck von oben.

Fliegen wie der Heilige Florian. Rechtsanwalt Wolfram Proksch ist drauf und dran, der Flughafenlobby die Freude über ihren Sieg zu vergällen. Ende März hatte der Verwaltungsgerichtshof als letzte Instanz die Einsprüche diverser Bürger_inneninitiativen abgelehnt. Das zwölf Jahre dauernde UVP-Verfahren sollte damit abgeschlossen sein. «Die dritte Piste hat grünes Licht», titelte das Zentralorgan des bedingungslosen Wirtschaftswachstums, Die Presse, erleichtert.
Ist die UVP tatsächlich abgeschlossen? Das kann nicht sein, sagt Parndorf. Denn die Gemeinde war zu Unrecht weder am UVP-Genehmigungsverfahren noch am Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof beteiligt. Proksch will den Beweis führen, dass die Gemeinde Parndorf als eine «übergangene Partei» charakterisiert werden kann. Dass sie an die Standortgemeinde (Schwechat) nicht angrenzt und circa 23 Kilometer Luftlinie von der geplanten Piste entfernt liegt, sei kein Grund, sie aus dem Verfahren auszuschließen. Rechtlich sei sie der Kategorie der «betroffenen Öffentlichkeit» zugeeignet. An der starken Einschränkung des Flugbetriebs über Wien zwischen 9 Uhr abends und 7 Uhr früh leiden schließlich die Parndorfer_innen, die seither dem Lärmterror der Nachtflüge ausgesetzt sind. «Nennt man diese Interessenspolitik nicht, nach dem Floriani-Prinzip zu handeln?», fragt Kovacs. Eine rhetorische Frage.
Außerdem will Proksch via Beschwerde an die EU-Kommission eine Klage gegen die Republik Österreich anregen, weil eine höchst bedeutende Angelegenheit als nicht verfahrensrelevant beurteilt wurde: Die Flugrouten und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung seien nicht untersucht worden – was die UVP zur Farce macht, wie radikale Kritiker_innen der Flughafenerweiterung betonen.

Wie wär’s mit Bahnfahren? Zu einer grundsätzlichen Mobilitätskritik sind auch unter jenen, die gegen die dritte Piste mobilisieren, erst wenige bereit. Die aber finden den Streit um die «richtigen» Flugrouten kontraproduktiv, weil der Flugverkehr in seiner aktuellen Erscheinungsform überhaupt in Frage gestellt werden müsse. Das Flugzeug ist, pro Kopf und Kilometer gerechnet, das klimaschädlichste Verkehrsmittel.
Es geht also darum, den Flugverkehr radikal zu reduzieren. Die Aktivist_innen der mobilitätskritischen NGO System Change not Climate Change schlagen einen Verzicht auf Flüge in die Städte von Nachbarländern vor. Zwei Drittel der Passagier_innen in Schwechat fliegen kürzer als 1000 Kilometer. Moderne Bahnverbindungen wie jene zwischen München und Berlin – eine Fahrt dauert nur vier Stunden – lassen die Fluglust alt aussehen.
Eine andere Strategie zur Reduzierung des Fliegens: die Herstellung der Kostenwahrheit. Laut Verkehrsclub Österreich wurden 2017 rund 900 Millionen Liter Kerosin in Österreich getankt. Der Staat verzichtet bei Kerosin auf die Mineralölsteuer. Würde der Flugzeugtreibstoff ähnlich besteuert werden wie Benzin, wären Flüge finanziell unattraktiv. Wien käme mit einer Piste aus.

Alter Mythos Arbeitsplatz. Wie überall bei umstrittenen Großprojekten: Die Flughafengesellschaft versucht ihre Kontrahent_innen mit der Arbeitsplatz-Keule zu zerschlagen. Sie operiert mit einer völlig aus der Luft gegriffenen Zahl: Die dritte Piste schaffe 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze. System Change not Climate Change rechnete nach und sah, dass die Korrelation zwischen Passagier_innen und Jobs von der Flughafen AG erfunden ist. Zwischen 2000 und 2014 stieg die Zahl der Flugpassagier_innen in Österreich um 73 Prozent, die Zahl der Beschäftigten im Flugverkehr ging aber um 12,3 Prozent zurück.
Bürgermeister Wolfgang Kovacs steht der Spott ins Gesicht geschrieben, als der AUGUSTIN erwähnt , wie die Gemeinde Bruck an der Leitha, die anders als Parndorf und Bruckneudorf voll für die dritte Piste eintritt, die Arbeitsplätze «rettet»: Die Flughafen AG «möge sicherstellen, dass am Flughafen vorzugsweise Arbeitnehmer_innen aus dem Bezirk Bruck bzw. österreichische Staatsbüger_innen beschäftigt werden» und dass die «neu eintretenden Mitarbeiter_innen» nicht weniger Lohn als die schon lange Beschäftigten bekommen. «Auf solche Bedingungen lässt sich kein Unternehmen der Welt ein», wundert sich Kovacs über die Naivität der bezirkshauptstädtischen Politiker_innen. Gegen das Ausspielen von Klimaschutz und Arbeitsplätzen machen sich vor allem die Mitglieder von System Change not Climate Change stark. Sie versuchen, eine Allianz von Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Klimaaktivist_innen zu zimmern, scheitern aber bisher am Unwillen der Arbeitnehmer_innenvertretung, anzuerkennen, dass nicht jeder Arbeitsplatz gleich wertvoll für die Gesellschaft und gleich verträglich für den Planeten ist.

Fürsprechen oder selbst sprechen. Eben deshalb schätzt Parndorfs unabhängiger Bürgermeister die Chance, die dritte Piste zu verhindern, als nicht sehr groß ein. Durch ein Gegeneinander-Ausspielen von Umweltschutz und «Vollbeschäftigung» sind schon viele Wahnsinnsprojekte realisiert worden. Der abgespannte «Realpolitiker» in Wolfgang Kovacs wird in diesem Augenblick erkennbar. Das zivilgesellschaftliche Korrektiv einer engagierten örtlichen Basisinitiative, deren Leidenschaft auch den «Ortskaiser» mitreißen würde, fehlt in Parndorf – paradoxerweise gerade wegen des Erfolgs der Bewegung, die die Antipartei-Partei an die Spitze brachte. Denn Wolfgang Kovacs ist von einem Selbstsprecher (als linker Aktivist der einstigen Widerstandsbewegung gegen eine Giftmülldeponie) zu einem Fürsprecher geworden. Wenn Bürgermeister ihr zum Klientel gewordenes Gemeindevolk befriedigend gegenüber allen übergeordneten Behörden und Interessen vertreten, wird die Notwendigkeit einer Selbst­organisation leicht übersehen. Der diesbezügliche Vorbehalt der Besucher_innen vom AUGUSTIN lässt den Bürgermeister kurz nachdenklich werden. «Ihr habt eigentlich Recht», sagt er schließlich.

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