Vorsorgen fürs Danachtun & lassen

Hinterlassenschaften

Was passiert mit meiner Hinterlassenschaft, wenn ich einmal nicht mehr bin? Wie kann ich meinen Lieben Familienfotos oder letzte Worte zukommen lassen? Augustin fragt den Notar Stephan Prayer und den Gründer einer Plattform für digitalen Nachlass Stefan Jurecek.

Text: Jenny Legenstein
Fotos: Carolina Frank

Zum Tod pflegen das Wienerlied und der Austropop ein ­inniges Verhältnis. Der dem Dichter ­Ferdinand Sauter (1804–1854) zugeschriebene Spruch «Verkauft’s mein Gwand, i fahr in Himmel» ist der ­Titel ­eines bekannten Wienerlieds, und als mini­malistische Anweisung, wie mit ­einer mageren Hinterlassenschaft ­umzugehen sei, interpretierbar. Wo es mehr als ein «Gwand» und andere persönliche Gegenstände zu vererben gibt, kann ein Testament aufgesetzt werden. Doch auch wenn kein schriftlicher letzter Wille vorhanden – oder auffindbar – ist, gibt es eine gesetzliche Erbfolge.
Direkte Nachkommen, Ehe- und eingetragene Partner:innen sind in jedem Fall erbberechtigt und können nach österreichischem Recht nur im Fall schwerer moralischer oder strafrechtlicher Verfehlungen enterbt werden. Sonst steht ihnen zumindest der sogenannte Pflichtteil zu. Wer anderen als den vom Gesetz Vorgesehenen nach seinem Tod etwas zukommen lassen oder einer gemeinnützigen ­Organisation ­einen Betrag vererben möchte, kann das testamentarisch festlegen.

Vier bis sechs Monate.

Mit «schnellem Geld» ist im Todesfall der sprichwörtlichen Erbtante nicht zu rechnen. Vier bis sechs Monate dauere die ­Abwicklung ­einer durchschnittlichen Verlassenschaft, sagt Notar Stephan ­Prayer. Nach dem Tod der Erblasserin oder des Erblassers erfolgt ein mehrstufiger Ablauf bis zur Ausstellung des Einantwortungsbeschlusses – «das ist die Urkunde, die das Gericht allen Erb:innen zustellt, damit ist die Verlassenschaft formell beendet», erklärt Stephan ­Prayer. Das Vermögen geht dann zur Gänze oder zum Teil an die Erb:innen über. Aber der Reihe nach: Das Standesamt, in dessen Sprengel jemand verstorben ist, erstellt aufgrund des ärztlichen Totenscheins und der Meldedaten eine Sterbeurkunde, die es dem Bezirksgericht, in dem der:die Verstorbene den Wohnsitz hatte, zusendet. Dieses leitet die Sterbeurkunde dann an ein Notariat weiter. Welches Notariat für den Einzelfall zuständig ist, ergibt sich aus der letzten Meldeadresse und dem Sterbedatum der verstorbenen Person.

Ansprechpersonen suchen.

Die:der Notar:in sieht nach, ob in den Datenbanken der Notariats- und Anwaltskanzleien ein Testament registriert ist, und sucht nach Ansprechpersonen. Dass sich gar niemand finde, sei sehr selten, meint Notar Prayer, wer etwa im ­Spital war, habe üblicherweise eine Kontaktperson angegeben. Oft meldeten sich Verwandte, Bekannte der gestorbenen Person auch selbst. Nun wird eruiert, wer die Erb:innen und gegebenenfalls im Testament begünstigte Personen sind. Auch der Umfang des hinterlassenen Vermögens wird erhoben, ­ebenso eventuelle Außenstände. Grundsätzlich ­haften Erb:innen für Schulden. Sie können aber auf den Erbantritt verzichten oder z. B. eine bedingte Erbantrittserklärung abgeben, wenn sie befürchten, es könnten noch größere offene Forderungen etc. bestehen. Meistens wüssten die Erb:innen, wie jemand mit dem Vermögen umgegangen sei, meint Prayer. «Seit ich diesen Beruf ausübe, eingetreten bin ich in diesen Stand im Februar 1987, gab es nie eine böse Überraschung.»
Trotz ausgefeiltestem Testament kann es zu Streit unter den Erb:innen kommen. «Vor Gericht geht es aber selten», weiß Stephan Prayer, «und wenn, geht es meistens nicht ums Geld.» Da gäbe es eine familiäre Vorgeschichte, Zerwürfnisse, die sich nicht reparieren ließen. Prayer hat auch eine Ausbildung als Mediator und versucht die Leute so zu begleiten, «dass zum Schluss etwas herauskommt, wo alle Beteiligten sagen, es ist o.k.»

Internet-Plattform.

Fotos, die an gemeinsame Unternehmungen erinnern, ­liebe Worte an Hinterbliebene, aber auch Passwörter oder praktische Anweisungen – wie: so funktioniert die ­Heizung, wie oft gieße ich die Topfpflanzen – sind für Hinterbliebene wertvoll. ­Stefan ­Jurecek hat eine Internet-Plattform gegründet, um eben diese Dinge an Partner:innen, Freund:innen, ­Verwandte auf elektronischem Weg zu übermitteln – im Todesfall oder wenn jemand plötzlich langfristig nicht in der Lage ist, sich um Alltags- oder geschäftliche Dinge zu kümmern. Seit einem halben Jahr ist Tellju.com nun online, an der Entwicklung und ­Umsetzung seiner Idee arbeitet Stefan Jurecek seit sechs Jahren. Auslöser ­dafür war ein schwerer Unfall, den Jurecek 2016 hatte. «Ich war völlig aus dem Alltagsleben herausgerissen», erzählt er, mehrere schwere Operationen, lange Krankenhausaufenthalte und mehrere Monate Reha folgten. «Ich dachte, ich würde einigen Menschen, meiner damaligen Verlobten oder meinen Eltern oder meinen Geschwistern, gerne noch was sagen, aber auch beruflich. Es ist einfach so viel noch ungesagt. So ist es zu diesem Projekt gekommen.»

Recherchen.

Als er gesundheitlich wiederhergestellt ist, beginnt er zu recherchieren: Gibt es so etwas im Internet schon? Worauf muss ich achten? Wie schütze ich mich vor Datendiebstahl? Welche Kosten entstehen für mich durch so ein Projekt? «Wenn einer eine Idee hat, haben sie mehrere gleichzeitig und bei Tellju war es auch so», sagt Stefan ­Jurecek. Mit einigen Mitbewerber:innen im deutschen Sprachraum, die damals ebenfalls am Beginn ihrer Projekte ­waren, hat er sich ausgetauscht. Zu ­einer Zusammenarbeit kam es nicht, auch weil jede:r verschiedene Schwerpunkte hat. Eine der Plattformen sei etwa auf Verträge spezialisiert.

Niederschwellig.

Fotos, Videos, Briefe, praktische Informationen können ohne großen Aufwand auf Tellju hinterlegt werden. Ein niederschwelliger, unkomplizierter Zugang und Ablauf ist ­Jurecek wichtig. Man registriert sich auf der Seite, gibt zwei Vertrauenspersonen an und kann schon eine Botschaft hochladen. Eine Textnachricht samt Foto-, Dokumenten- und Video-Upload ist kostenlos, darüber hinaus gibt es gestaffelte Monatsgebühren. Benutzer:innen erhalten in regelmäßigen Abständen ein E-Mail, wird darauf nicht reagiert, kontaktiert das System die Vertrauenspersonen. Erst wenn ­diese ­bestätigen, dass der jeweiligen Person ­etwas passiert ist, erhalten die angegebenen Menschen einen Link, über den sie dann die für sie hinterlegten Bilder, Briefe oder Clips herunterladen können. Tellju ersetzt kein Testament, das wäre rechtlich auch gar nicht gültig. Vielmehr bietet es eine Vorstufe oder einen Zusatz zu einem Testament an.
«Am liebsten wäre mir, wenn meine Kund:innen mein Service nie brauchen», meint Stefan Jurecek. «Im Prinzip ist es wie bei einer Versicherung. Meistens braucht man sie eh nicht, aber wenn was passieren sollte, ist man abgesichert.»