Wahnsinn 0,009 Prozenttun & lassen

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Ein Anschauungsbeispiel für die realitsferne Propaganda rund um die Mindestsicherung lieferte erst kürzlich das neue Gesetz im Burgenland. Der Landtag im Burgenland verwehrt Armutsbetroffenen demokratische Standards wie einen schriftlichen Beschied, beschließt niedrigere Leistungen für zugezogene Anspruchsberechtigte und einen 1.500-€-Kürzungsdeckel.Das alles wird mit der „Dynamik“ des Anstiegs begründet, obwohl in Wirklichkeit ganze 11 Haushalte die Deckelungsgrenze von 1.500 € überschreiten.

Aber der Reihe nach. Im neuen Mindestsicherungsgesetz im Burgenland wird der schriftliche Bescheid abgeschafft. Kein schriftlicher Bescheid heißt, der Zugang zum Recht wird für Armutsbetroffene eingeschränkt. Der Bescheid ist eine der tragenden Säulen rechtsstaatlichen Behördenhandelns und damit der Demokratie. Das gilt insbesondere für den schriftlichen Bescheid. Das Gesetz will aber nicht bloß das Rad der Zeit zurück zu drehen, indem die erst 2010 eingeführten Verfahrensbestimmungen wieder gestrichen werden. Vielmehr ist geplant, diese durch eine gegenlautende zu ersetzen und damit auszuhebeln. Damit soll den Sozialämtern die offenbar als lästige Pflicht eingestufte Notwendigkeit erspart werden, ihre Entscheidungen schriftlich zu begründen. Demokratie und Rechtstaat müssen aber für alle gelten – egal ob arm oder reich.

Burgenland ist das absolute Schlusslicht bei der Mindestsicherung: ganze 3.776 Personen haben im Jahr 2015 zumindest einmal eine Leistung erhalten. Das sind 1,3 % aller BMS-Bezieher_innen in Österreich. Sowohl Bezieher_innen-Zahlen als auch Ausgaben sind nicht nur gering, sondern unterdurchschnittlich: Im Burgenland leben 3,4% der österreichischen Bevölkerung, aber nur 1,3% der Mindestsicherungs-BezieherInnen. Der Anteil des Burgenlandes an den österreichischen Gesamtausgaben für Mindestsicherung lag bei 0,8%. Von einer dramatischen Dynamik – wie das Gesetzesvorhaben begründet wird – also keine Spur. Am Stichtag 2. Jänner 2017 sind nur 222 Asylberechtigte unter den burgenländischen Bezieher_innen der Mindestsicherung. Und bei der 1500 Euro Deckelung liegen in Wirklichkeit nur ganze 11 Haushalte darüber. Wir sprechen also von eine Regelung, die für 0,009% der Haushalte gemacht wird.

Weiteres Problem: Im Gesetz werden Menschen mit Behinderungen weiter „ewige Kinder“ und Bittsteller bleiben. Ist die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit schon festgestellt, gilt die Pflicht zur Rechtsverfolgung. Das heißt nichts anderes, als dass Menschen mit Beeinträchtigungen weiterhin bereit sein müssen, ihre Eltern nötigenfalls auf Unterhalt zu klagen. Sie werden damit, obwohl längst erwachsen, zu „ewigen Kindern“ gemacht, die ihren Eltern gegenüber als „Bittsteller_innen“ auftreten müssen, während ihre Eltern – anders als die Eltern anderer Kinder – lebenslänglich unterhaltspflichtig bleiben. Eine Politik der Inklusion und Förderung der Selbstermächtigung von Menschen mit Beeinträchtigung sieht anders aus.

Auch hier lernen wir wieder: „Asyl“ wird gesagt, gestrichen wird dann bei allen. Realitsferne Dramatisierung bereitet den Boden für den Abbau von Grundrechten. Der Abbau von Grundrechten hat autoritäre Züge.

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