Ibiza hat Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus alle Ämter gekostet. Der Versuch einer rechten Regierungskoalition beschert uns wieder einmal Neuwahlen. Aber was sagt «Ibizagate» über die politische Lage in Österreich aus?
Text: Benjamin Opratko, Foto: Christopher Glanzl
1. Wir werden von Verbrecher_innen regiert
Viele stellen sich den Staat sehr kompliziert vor. Manchmal funktioniert er aber sehr einfach. Eine Bande von Politiker_innen bietet ihr Produkt den Meistbietenden an. Das Produkt: Staatsmacht und damit die Verfügung über immense Geldmittel. Das Angebot: Diese Geldmittel an jene weiterzuleiten, die am meisten zahlen. Die Meistbietenden: zahlungskräftige Unternehmen und Einzelpersonen. Oder wie Heinz-Christian Strache sagt: «Idealisten», die sich Steuersenkungen wünschen. So nennt der Ex-FPÖ-Chef jene Spender_innen, die «500.000 bis 2 Millionen» an seine Partei überweisen.
Dass Reiche sich politischen Einfluss kaufen, um ihre Interessen im Staat geltend zu machen, ist nichts Ungewöhnliches. Wenn aber Politiker_innen anbieten, gegen Spenden für ihre Partei Steuergelder direkt an diese Reichen in zig-facher Höhe umzuleiten, ist das kriminell. Nichts anderes legen Strache und Gudenus im schon jetzt legendären Video nahe. Milliardenaufträge, so das Angebot, sollen dann zum Beispiel über das Infrastrukturministerium an jene gehen, die sich die Gunst der FPÖ erkauft haben.
Solche Geschichten kennen wir aus Ländern, die aus diesem Grund zur «Dritten Welt» gezählt werden. Oder denen man abspricht, «reif» für den Beitritt zur Europäischen Union zu sein. Länder, in denen die Verschränkung von politischen und ökonomischen Interessen so schamlos zur Schau getragen wird, dass man nicht mehr einfach Kapitalismus dazu sagen kann, sondern Korruption sagen muss. Die korrupten Regierenden nennt man dann Verbrecher_innen. Mit der FPÖ, das wissen wir durch die Veröffentlichung des Videos aus Ibiza, sind die Verbrecher_innen auch in Österreich an der Macht.
2. Sie halten sich für unantastbar
Die Gestalten in dem Video haben wohl nicht zum ersten Mal so gesprochen. Sie wurden nur zum ersten Mal dabei gefilmt. Strache und Gudenus reden darüber, wie sie Millionen «ohne Meldungen an den Rechnungshof» kriegen. Das Geld gehe dann an einen «gemeinnützigen Verein». Sie hätten ja auch schon, so Strache, Geld vom Waffenproduzenten Gaston Glock, von der Glücksspielfirma Novomatic oder vom Immobilienmagnaten René Benko gekriegt. Den Verein, so können wir schließen, gibt es schon.
Die FPÖ ist eine Partei der Reichen. Bisher konnten wir das nur anhand ihrer Taten zeigen. Jetzt ist klar: Diese Taten lässt sie sich auch etwas kosten. Und dabei agieren Strache und Gudenus schamlos und gelegentlich offenbar unter Missachtung der Gesetze. Das halten sie scheinbar für normal, sonst würden sie nicht mit dieser Selbstverständlichkeit darüber sprechen. Und das Video zeigt: Sie gehen davon aus, dass man sie dafür nicht belangen kann.
3. Die Korruption agiert international
Wer immer die FPÖ-Chefs gefilmt hat, wusste, dass eine falsche russische Oligarchennichte für die beiden eine besonders unwiderstehliche Gelegenheit darstellte. Das liegt nicht nur an den guten Beziehungen der FPÖ zu den russischen Machthabern oder Johann Gudenus’ Kenntnissen in Broken Russian. Österreich ist schon lange ein beliebtes Investitionsfeld für internationales Kapital, insbesondere für jenes aus dem Osten.
Korruption bedeutet nicht nur, dass sich heimische Kapitalbesitzer_innen günstigere Ausbeutungsbedingungen erkaufen. Am globalen Markt hat das Kapital Privilegien, die sich Menschen nur erträumen können: Es kennt keine Grenzen. Deshalb kann ein offensichtlich derangierter, aber die Regeln des neoliberalen Kapitalismus noch erinnernder Strache der vermeintlichen russischen Investorin versprechen: Wenn sie nur so etwas Ähnliches wie die STRABAG gründet, würde sie in Zukunft Milliardenaufträge des Verkehrs- und Infrastrukturministeriums bekommen. Apropos: Was sagt Straches Sicherheit, dass das so funktionieren würde, eigentlich über Verkehrs- und Infrastrukturminister Hofer aus?
4. Wer die Medien kauft, kauft die Staatsmacht
Ein Aspekt hat die Sache für die Schwarz-Blaue Kuschelkoalition besonders explosiv gemacht: der Faktor Krone. Die falsche russische Oligarchin bietet Strache und Gudenus an, die Kronen Zeitung unter ihre Kontrolle zu bringen und der FPÖ zu Diensten zu machen. Strache wird ob dieser Aussicht geradezu enthusiastisch: «Dann machen wir nicht 27 [Prozent], sondern 34.» Und Strache, so die logische Folge, wäre statt Vizekanzler Kanzler geworden.
Dass den Rechten die Pressefreiheit kein hohes Gut ist, soll uns dabei nicht weiter überraschen. Interessant ist vielmehr zweierlei. Erstens sagt es etwas über die Rolle der Massenmedien und über die Qualität der Demokratie in diesem Land aus. Wenn ein rechtsextremer Politiker davon ausgehen kann, dass ihn die Unterstützung der größten Boulevardzeitung in die Position des Regierungschefs katapultieren kann, ist das alarmierend. Und das Schlimmste ist: Er hat recht. Die Medienlandschaft in Österreich ist erbärmlich, der Einfluss des Boulevards erdrückend. Den Rechtsextremen reicht die weitgehende inhaltliche Übereinstimmung zwischen Parteiprogramm und Chefredaktionen bei den Boulevardzeitungen aber nicht mehr. Sie wollen den direkten Durchgriff. Während die Kurz-ÖVP das einigermaßen elegant erledigt – Hallo, Chefredakteurin Salomon! Good Bye, Claus Pándi! –, muss die institutionell schlechter aufgestellte FPÖ brutaler vorgehen. Deshalb die permanenten Attacken auf Armin Wolf. Und deshalb auch der Quasi-Samenerguss von Strache im Video, als er eine Möglichkeit sieht, die Krone zum FPÖ-Hausblatt zu machen. (Nur nebenbei: Ein halbes Jahr nachdem die falsche Oligarchin Strache und Gudenus die Idee einer Fünfzig-Prozent-Übernahme der Krone schmackhaft gemacht hatte, stieg der «größte Immobilienmakler Österreichs» (Strache) René Benko – laut Strache einer der FPÖ- und ÖVP-Spender – über eine 49-Prozent-Beteiligung bei der
Krone ein.)
Zweitens lässt die Krone-Dimension «Ibizagate» für die FPÖ zur existenzbedrohenden Affäre anwachsen. Hätten die Rechtsextremen die größte Boulevardzeitung auf ihrer Seite gehabt – wie oft geschehen –, hätte es für Strache und Gudenus eine reelle Chance gegeben, sich aus der Sache herauszuwinden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Krone ist ein eigenständiger Akteur im politischen Feld – und sie hat das Ibiza-Video nicht zu Unrecht als Angriff auf ihre Eigenständigkeit gelesen. Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex muss immer noch zerschlagen werden.
5. Nur weil Strache weg ist, ist noch nichts gut
Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus haben die Ibiza-Affäre politisch nicht überlebt. (Und da haben wir noch gar nicht über das weiße Pulver am Couchtisch geredet.) Der Rücktritt der beiden ist natürlich ein Grund zur Freude. An der gesellschaftlichen Mehrheit der Rechten in diesem Land ändert er aber nichts.
Kurz hat sich für Neuwahlen entschieden. Kann er damit einen Großteil der FPÖ-Wähler_innen für sich gewinnen? Dann haben wir im schlimmsten Fall eine ÖVP-Alleinregierung – und eine Weiterführung der autoritären Wende in Österreich (wenn auch ohne Uniform-Fetischisten wie Kickl). Hält die Stimmung allerdings an, die die Massen am Wochenende auf den Ballhausplatz getrieben hat und die deutlich macht, dass das Wahlvolk nicht länger dermaßen und von solchem Personal regiert werden will, könnte das eine neue Dynamik anstoßen. «Genug ist genug», hat Kurz in seiner kurzen Rede zum «Ibizagate» gesagt, und wir stimmen ihm zu: Genug ist genug. Auch Kurz ist niemand, von dem wir weiter regiert werden wollen.
Der Text erschien auf mosaik-blog.at und wurde für den AUGUSTIN aktualisiert.