Wer drin ist, stellt nix anAllgemein

"Resozialisierung" ist kein Ziel der Kriminal- und Justizpolitik mehr

Wer drinnen ist, kann draußen nichts anstellen. Das scheint die Devise der Kriminalpolitik vieler westlicher Länder, darunter leider auch Österreich zu sein. Dabei weiß jede/r, dass die Gefängnisse die Universitäten der Kriminalität sind. Der Sicherheits-Kult überdeckt alles. Sehr kurzsichtig! Die Häftlinge, die früher in den Genuss von vorzeitigen Entlassungen oder diversen anderen Vollzugsockerungen gekommen wären, gehen irgendwann ja doch raus. Dann aber unter weitaus schlechteren Voraussetzungen. Damit wird die Rückfallquote extrem erhöht, mehr Taten in Kauf genommen. Man heizt so die Kriminalität gewaltig an, so klar sah es ein Gefangener aus Stein in einem seiner Beiträge für den Augustin (Briefe aus Stein, Ausgaben Nr, 203 und 204).

Ich zitiere weiter aus dem Schreiben des Steiner Langzeithäftlings: Weniger Entlassungsvorbereitungen, keine Vollzugspläne, die Sozialtrainings gingen enorm zurück, die Ausgänge ebenso, fast keine § 133 StGB-Entlassungen (einige Anwärter starben einfach weg), weniger Gefangene und besonders weniger Langstrafige auf Außenstellen, Freigänger zu Firmen wurden auf Null zurückgedreht, beamtenfreie Arbeiter aus Betrieben auf Null gebracht usw. (…) Einem Ausländer mit Abschiebebescheid wurde der Ausgang nicht bewilligt. Er klagte sehr kompliziert und langwierig zum Höchstgericht durch und bekam dort recht. Sie wissen es schon: Bis heute ging der Sieger natürlich nicht auf Ausgang. Der Anstaltsleiter will es einfach nicht. Für dieses Auf-die-lange-Bank-schieben in Bezug auf die Herstellung der Gesetzlichkeit entwickelte unser Hofrat eine Menge von Methoden.

Der Anstaltsleiter geht konform mit führenden Politikern von rosarot über schwarz bis braun, die dem Prinzip des staatlichen Strafens huldigen wie es in den 70r und 80er Jahren unvorstellbar gewesen wäre.

Außer dem Augustin scheint es hierzulande kein Medium zu geben, in dem die Legitimität und die Effizienz des staatlichen Strafens generell in Frage gestellt werden kann. Die Institution Gefängnis ist tabu, und die Medien, die sich am weitesten nach vorne wagen, kritisieren höchstens einige grobe Missstände des Strafvollzugs. In dieser tristen Situation war es mir eine Freude, auf das www.forum-recht-online.de zu stoßen, das ähnlich wie das Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie www.irks.at – populistischen Forderungen nach mehr Sicherheit den Resozialisierungsgedanken entgegen hält und untersucht, wie sehr die Justizpolitik heute die Idee der Resozialisierung pervertiert.

Robert Sommer

Entlassung in die Freiheit als Risko?

Hier ein gekürzter Artikel von Kai Bammann, Kriminologe und Jurist, zurzeit Mitarbeiter am Strafvollzugsarchiv an der Universität Bremen, im forum recht. Es geht um deutsche Zustände, aber die Entwicklungen verlaufen parallel, die Fakten und Schlussfolgerungen sind gut auf österreichische Verhältnisse übertragbar.

In den vergangenen Jahren hat sich die Meinung über Strafvollzug und Strafgefangene deutlich gewandelt und von der Aufbruchstimmung der 1970er Jahre ist heute nichts mehr zu spüren. Damals wurde über weit reichende Rechte der Gefangenen diskutiert, der damalige Bundespräsident Heinemann sprach gar vom „Staatsbürger hinter Gittern“. Das Strafvollzugsgeetz, das am 1.1.1977 in Kraft trat, entstammte einer Grundhaltung, nach der in den StraftäterInnen nicht in erster Linie bedrohliche VerbrecherInnen gesehen wurden, sondern Menschen, die Hilfe brauchen, um sich ohne Straftaten in der Gesellschaft zurecht zu finden.

Zu den wichtigsten Grundideen des deutschen Strafvollzuges gehört die Gewährung von Vollzugslockerungen (Ausführung, Ausgang, Freigang und Urlaub) als Teil der Entlassungsvorbereitung. Diese Maßnahmen sind im Strafvollzug etwas Alltägliches und finden in der Regel weitgehend unbeachtet und unbeanstandet statt. Tatsächlich verhalten sich die meisten Täter/innen sowohl im Vollzug als auch in den Lockerungen vollkommen unauffällig, verbüßen ihre Strafzeit, um danach wieder in die Freiheit entlassen zu werden. Problematisiert wird das Thema Lockerungen in der Regel nur dann, wenn einE GefangeneR, der/die wegen einer Gewalt-, Sexual- oder Tötungsstraftat verurteilt wurde, im Zuge der Entlassungsvorbereitung einschlägig rückfällig wird. Dies betrifft aber nur eine verschwindend geringe Zahl aller gewährten Lockerungsmaßnahmen – und aller Gefangenen. Die meisten BürgerInnen erleben Strafvollzug jedoch nur in diesen Momenten des Scheiterns, mit der Folge, dass hierdurch oftmals ein verzerrtes Bild von der Vollzugswirklichkeit entsteht. Auf dieser Grundlage – einem Zu-Wenig an Informationen – wird dann nach mehr Sicherheit und härteren Strafen verlangt.

Vollzugslockerungen gehören zu den wichtigsten Maßnahmen der Resozialisierung, gehen jedoch, wie auch eine Reihe neuerer wissenschaftlicher Studien zeigt, in fast allen Bundesländern immer mehr zurück. Diese Entwicklung ist insofern alarmierend, als eine Reduzierung der Lockerungen nachgewiesenermaßen nicht geeignet ist, die Sicherheit der Bevölkerung zu fördern. Im Gegenteil werden Gefangene, die Lockerungen erhalten haben und vorzeitig entlassen werden, gerade weniger oft rückfällig als jene, die ihre Strafe bis zum Ende verbüßen.

Einst mit Verfassungsrang ausgestattet, läuft der Resozialisierungsgedanke heute Gefahr, ganz hinter den Aspekt des „Schutzes der Allgemeinheit“ zurückzutreten. Bei der Diskussion um mehr Schutz vor gefährlichen StraftäterInnen drängt sich auch die Frage auf, wie Gefährlichkeit bemessen werden soll, und wer bestimmt, vor welchen TäterInnen (also bei welchen Straftaten) die Gesellschaft besonders geschützt werden muss. Wer nach Sicherheit durch Wegsperren verlangt, öffnet leicht ein Fass ohne Boden. Konsens kann vermutlich am leichtesten bei Sexualstraftätern und bei gewalttätigen WiederholungstäterInnen erzielt werden. Aber schon bei Tötungsdelikten wird es schwierig, weil hier die WissenschaftlerInnen Einspruch erheben könnten, da Menschen, die einmal im Affekt getötet haben, gerade kein hohes Wiederholungsrisiko aufweisen. Und im anderen Extrem haben Untersuchungen belegt, dass Opfer von Wohnungseinbruchdiebstählen oftmals nach der Tat unter einem besonders intensiven Traumaerleben leiden. Kann ein solches Opfererleben zum Maßstab werden, die Gesellschaft auch vor solchen TäterInnen schützen zu müssen? Sicher nicht, denn aus juristischer Sicht ist eine solche Maßnahme unverhältnismäßig und mit dem Schuldprinzip unseres Strafrechts unvereinbar.

Für die überwiegende Zahl der TäterInnen gilt mithin, dass ihre Strafe zeitlich begrenzt ist und sie sich danach wieder in der Freiheit zurecht finden müssen. Hierauf muss der Vollzug sie vorbereiten und darf nicht bloß „wegschließen“. Das heißt unter Umständen auch, bei der Gewährung von Lockerungen etwas zu riskieren und zu erproben, wie sich der/die Gefangene „draußen“ zurechtfindet. Anderenfalls würde einE GefangeneR mit dem Ende ihrer/seiner Strafzeit unvorbereitet – und zumeist auch ohne entsprechende Zukunftsperspektive – wieder in die Freiheit entlassen und das Risiko, dass er/sie in alte Verhaltensmuster oder die alte Szene zurückfällt, wäre umso größer. Strafvollzug ist letztlich immer nur so erfolgreich, wie die Maßnahmen, die ergriffen werden, um den/die TäterIn auf ein straffreies Leben in Freiheit vorzubereiten. Die gegenwärtige Kriminalpolitik geht hierbei genau den falschen Weg, indem sie populistischen Forderungen nach mehr Sicherheit folgt und dabei nicht die Konsequenzen ihres Tuns zu Ende denkt. Erwartet wird ein Strafvollzug, in dem keine Fehler passieren und TäterInnen nicht erneut straffällig werden. Dieser Anspruch ist, wird er so kategorisch formuliert, jedoch Illusion. Sicher: wo keine Lockerungen mehr gewährt werden, kann es auch nicht mehr zu Zwischenfällen in Lockerungen kommen. Wird der/die Gefangene auf dem Weg in die Freiheit aber nicht begleitet, nicht durch therapeutische und andere Unterstützung auf die Zeit nach dem Strafende vorbereitet, dann verschieben sich die Probleme nur in die Zeit nach der Haftentlassung. Hier können dann Forderungen nach Sicherungsverwahrung – einem „Wegschließen für immer“ – erhoben werden.

In einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, der die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung erhoben hat, kann dies jedoch für die Masse der StraftäterInnen keine Lösung sein, sondern muss immer den Ausnahmefall darstellen. So können auch die Länder, wenn sie die Gesetzgebungskompetenz ergreifen und einen sicherheitsorientierten Strafvollzug einrichten, nicht erreichen was sie erreichen wollen. Absolute Sicherheit kann es nicht geben; davor die Augen zu verschließen ist ebenso fahrlässig wie die Tendenz, Kriminalpolitik an Presseberichten und öffentlichem Meinungsdruck auszurichten.

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