«Wie auch immer ihr sie nennt, es sind Menschen»tun & lassen

Vertriebene oder Geflüchtete? Aus der Ukraine oder Afghanistan? Hilfsbereitschaft werde nach Herkunft gewichtet, kritisieren NGOs. Was sind die rechtlichen Grundlagen für Aufnahme und Aufenthalt?

TEXT: RUTH WEISMANN
FOTO: NINA THIEL

«Die Ukraine-Krise hat gezeigt, wozu wir fähig sind, wie viel Solidarität möglich ist», sagt Kid Pex, Musiker aus Wien und Aktivist der Ini­tiative SOS Balkanroute, in einem Instagram-Video vom 21. April. Damit spielt er auf die Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Geflüchteten an, auch von Seiten der österreichischen Regierung. «Wieso sind wir gleichzeitig nicht imstande, einige wenige tausend Geflüchtete, die den Horrorweg geschafft haben nach Griechenland, nach Bosnien, nach Serbien, wieso sind wir nicht imstande, diese wenigen tausend Menschen aufzunehmen?», fragt er auch.
Kid Pex, auch bekannt als Pero Rosandić (siehe Lokalmatador S. 16), spricht damit an, was einige zivilgesellschaftliche Organisationen derzeit kritisieren: Österreich macht einen rechtlichen Unterschied in der Behandlung von Geflüchteten je nach Herkunft. Kübra Atasoy von Asyl in Not schreibt in einer Aussendung, man sehe nun, dass es möglich sei, «dass Behörden schnell und effizient arbeiten, dass Lager nicht als menschenwürdige Form der Unterbringung gelten, dass Menschen von Tag 1 an arbeiten dürfen» und dass man in Österreich ankommen könne, und die Menschenwürde bewahren. Aber das gelte nicht für jene, die aus Ländern ­außerhalb Europas fliehen.

Gleich vor dem Gesetz?

Der Unterschied, von dem die Rede ist: Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten, müssen erst einmal über die Grenzen nach Europa bzw. Österreich gelangen, was oft nicht legal möglich ist. Haben sie das geschafft, können sie um Asyl ansuchen. Ein wichtiges Recht. Doch der Prozess ist mit bürokratischem Aufwand verbunden und dauert mitunter sehr lange. Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt gestaltet sich kompliziert: Seit 2021 ist es für Asylwerbende zwar einfacher möglich, frühestens nach drei Monaten eine unselbstständige Arbeit aufzunehmen, dazu braucht es allerdings eine Bewilli­gung, die nur erteilt wird, wenn nicht schon andere (etwa Inländer:innen oder Bürger:innen aus Ländern des europäischen Wirtschaftsraums) vorgemerkt sind. Saisonbeschäftigung im Tourismus und in der Land-und Forstwirtschaft ist erlaubt, auch eine «gemeinnützige Beschäftigung» ist möglich, für die es aber nur einen kleinen Anerkennungsbeitrag geben kann. Weiters dürfen Asylwerber:innen in der Grundversorgung nicht einfach in ein anderes Bundesland übersiedeln. Auch privat anstatt in Einrichtungen unterzukommen ist schwieriger. Und dann kann es sein, dass der Asylantrag nach langer Wartezeit abgelehnt wird.
Für Ukrainer:innen ist alles anders. Jene, die nach dem 24. Februar – dem Einmarsch der russischen ­Truppen – geflohen sind, dürfen die Grenzen nach Österreich ohne Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin-Verordnung übertreten, können sich registrieren lassen, bekommen gleich ein Recht auf temporären Aufenthalt, können eine Arbeitsgenehmigung beantragen und die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen ruft sogar dazu auf, private Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Das Gleiche gilt für Personen aus Drittstaaten oder Staatenlose, die in der Ukraine Schutzstatus hatten (z. B. Asylberechtigung) und abhängige Familienangehörige (egal welcher Staatsbürgerschaft), wie der Asylrechtsexperte Peter Marhold von der NGO Helping Hands erläutert. Zivilgesellschaftliche Organisationen der Flüchtlingshilfe sehen das positiv, wünschen sich diese Rechte aber auch für Syrer:innen, Afghan:innen und generell alle, die vor Krieg und Terror fliehen.
Bis vor Kurzem hatten auch Ukrainer:innen, die etwa vor Kämpfen in den von Separatisten besetzten Gebieten flohen, noch nicht automatisch diesen temporären Schutz. Möglich macht das nun die Richtlinie 2001/55/EG, die einen sehr langen Titel hat, aber überall als «EU-Massenzustrom-Richtlinie» oder «Richtlinie zum vorübergehenden Schutz» bezeichnet wird. Sie wurde 2001 aufgrund der Erfahrungen mit dem «Massenzustrom» von Schutzsuchenden aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens erlassen. Die EU-Mitgliedstaaten entschieden am 3. März 2022, sie erstmals zu aktivieren. Die österreichische Bundesregierung beschloss anschließend die Verordnung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene. Wegen des Rechtsstatus, der anders als der von anerkannten Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonven­tion ist, spricht man nun von Vertriebenen. Ukrainer:innen, die schon vor dem 24. Februar in ­Österreich waren, können nach Ablauf ihres visumfreien oder ­visumpflichtigen Aufenthalts – ebenfalls temporären Schutz erlangen.

Zukunftsschutz.

Der temporäre Schutz gilt bis 3. März 2023, und kann zweimal für jeweils sechs Monate verlängert werden. So lange dürfen Vertriebene aus der Ukraine vorerst in Österreich leben und arbeiten. Was dann geschieht, weiß derzeit niemand. «Durch die Aktivierung des Massenvertriebenen-Mechanismus haben wir rechtlich gesehen die Bürokratie des Asylverfahrens umgangen, alles dahinter ist aber ohnehin etwas Asylrechts­ähnliches», sagt Peter Marhold.
Er stimmt zu, dass es unfair ist, einen Unterschied zwischen Geflüchteten je nach Herkunft zu machen. Jene, die nun temporären Schutz genießen, könnten aber auch in Zukunft Probleme bekommen. Denn «was passiert, wenn die Verordnung ausläuft? Schicken wir die Leute nach Hause? Werden sie übergeleitet? Keine Ahnung, wie die politische Lage sein wird. Der Status ist also genauso einer mit ungewissem Ausgang», so Marhold. Wer Asyl bekommt, der:dem kann dieser Status ohne individuelle Prüfung zumindest nicht so leicht wieder aberkannt werden. Der temporäre Schutz ­endet aber für alle pauschal.
Kritik übt Marhold auch daran, dass die österreichische Verordnung nicht für Drittstaatsangehörige ohne Schutzstatus in der Ukraine gilt. In Deutschland ist es für diese Personen einfacher, vorübergehenden Schutz zu bekommen. In Österreich fallen sie gar nicht in die Regelung. «Die Leute dürfen die Grenze nach Österreich übertreten und sich hier aufhalten, bis sie in ihre Herkunftsländer weiterreisen können.» Für Drittstaatsangehörige die bleiben wollen, gibt es nur die Möglichkeit, Asyl zu beantragen oder anderweitig ­einen Aufenthaltstitel zu erlangen.
Warum aber war etwa der Krieg in ­Syrien, wegen dem 2015 und 2016 auch viele Menschen nach Europa flohen, kein Grund, die Massenzustrom-Richtlinie in Kraft zu setzen? Schlicht deswegen, weil die EU-Kommission damals keinen Vorschlag zur Feststellung eines Massenzustroms getätigt hat und damit auch die Richtlinie nicht aktiviert ­wurde, wo­rauf auch ein Sprecher des Bundesministeriums für Inneres (BMI) auf Anfrage des Augustin hinweist. Per E-Mail erläutert er außerdem: «Auch ist ein direkter Vergleich der Situation von 2015/2016 mit den aktuellen Entwicklungen i. Z. m. der Ukraine mitunter schwierig, zumal es sich 2015/2016 um starke gemischte Migrationsströme gehandelt hat und hier aufgrund dessen keine ‹pauschale Feststellung der Schutzbedürftigkeit› für ganze Personengruppen erfolgen konnte.» Es habe wesentliche Unterschiede zwischen den ankommenden Menschen gegeben, «z. B. aufgrund der Regionen, Menschen, die schon zuvor in anderen Ländern waren etc.», so die Erklärung des BMI-Sprechers.

Politisch (un-)erwünscht.

Kid Pex hat eine andere Erklärung, wie er in dem erwähnten Video sagt: «Rassismus.» Und: «Ihr könnt sie nennen Vertriebene, Flüchtlinge, Geflüchtete, Refugees, people on the move. Wie auch immer ihr sie nennt, es sind Menschen. Menschen die genauso vor Krieg, Leid und Terror fliehen.»
In eine ähnliche Kerbe schlägt ein Kommentar des Politikwissenschaftlers Olaf Kleist im deutschen ipg-Journal. Er konstatiert, dass die EU mit der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie «eine absehbare Krise» umgehe, «die nämlich nicht in der Ankunft der Flüchtenden, sondern in der mangelnden Asylinfrastruktur zur adäquaten Bereitstellung rechtsstaatlicher Asylverfahren begründet wäre. Zugleich leistet die EU damit aber dem Trend Vorschub, Schutz nicht von individuellem Bedarf und verbürgtem Recht, sondern von politischen Interessen der EU abhängig zu machen.» Die EU-Grenzen, so schreibt er weiter, seien nicht für alle Schutzsuchenden offen, «sondern nur für politisch Erwünschte. Für die meisten Flüchtenden aus Asien, Afrika und dem arabischen Raum bleiben sie gerade in Südeuropa weitgehend verschlossen».
Peter Marhold meint, man müsse endlich zur Kenntnis nehmen, «wenn es mal in der Welt fürchterlich kracht, dann manchen sich x-tausend Menschen auf den Weg, Überraschung. Vielleicht schaffen wir da mal die Struktur dafür».