«Wie Bambi auf rohen Eiern»tun & lassen

Angeschrien, runtergemacht, kontrolliert und manipuliert – 43 Prozent der Frauen haben psychische Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Anlässlich der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen erzählt eine Betroffene von ihrer toxischen Beziehung.

TEXT: BETTINA ENZENHOFER

«Zu Beginn der Beziehung habe ich permanent Anerkennung und Komplimente bekommen. Doch bald hat mein damaliger Partner angefangen, ein dichtes Netz um mich zu spannen», erzählt Julia Kolda. «Ich habe mich überrumpelt gefühlt und nicht mehr die drei Anrufe am Tag beantwortet. Das hat er nicht akzeptiert: Das gehöre sich nicht, das sei nicht anständig, ich sei unreif. Bis zum Schluss hat sich das so durchgezogen.» Kolda war damals frisch vom Vater ihres Kindes getrennt und hörte von vielen, wie toll es sei, dass ihr Kind nun wieder eine männliche Bezugsperson habe – das von ihm streng kontrollierte Bild der glücklichen Familie war nach außen perfekt. Lange wusste niemand, was Kolda in dieser neuen Beziehung alles durchgemacht hat: «Wenn ich gesagt habe, ‹Das passt mir nicht, das tut mir weh›, sagte er nur: ‹Eine Beziehung heißt Kompromisse›. Seine permanenten Angriffe – mal subtiler, mal laut, mal extrem aggressiv, und immer wieder – ­haben mich zerbröselt.»

Gaslighting.

Julia Kolda ist Anwältin, die sich für Minderheiten und im Opfer­schutz stark macht. Sie ist Femi­nistin und weiß über gesellschaftliche ­Ungleichheiten Bescheid. «Und trotzdem ist mir das passiert. Es ist furchtbar, wie gut Gaslighting in so kurzer Zeit funktioniert, auch wenn man es theoretisch kennt.»
Gaslighting ist eine häufige Form psychischer Gewalt: Eine Person stellt über einen längeren Zeitraum die Wahrnehmung der anderen Person infrage. «­Etwas hat zwar in mir gesagt, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist, aber diese Gefühle habe ich bezweifelt – ich dachte dann schon selbst, dass ich wohl hysterisch sei. Ich hatte kein Selbstvertrauen mehr», sagt Kolda.
Was die heute 41-Jährige zu Beginn ihrer Beziehung erlebt hat, lässt sich auch als «Love Bombing» benennen: eine frühe Phase des Überschüttetwerdens mit Zuneigung, dem Betonen der einzigartigen Beziehung, die aber nicht anhält, sondern in Abwertung übergeht. Im weiteren Verlauf der Beziehung hat er sie immer mehr von ihren Freund:innen isoliert – auch das zählt zu psychischer Gewalt. «Es war alles so anstrengend. Ich habe mir immer überlegt: Wenn ich etwas machen will, zum Beispiel eine Freundin treffen, riskiere ich das, und damit auch die Schreierei danach? Er hat mich wegen allem angeschrien – wenn ich ‹zu laut› gekocht habe, wenn ich eine Lungenentzündung mit 40 Grad Fieber hatte oder wenn ich Rotz und Wasser war, weil mich die ­Beziehung so ­kaputtgemacht hat.» Zentral war in Koldas ­Beziehungsleben, «so wenig ­Geräusche wie möglich zu ­machen, nicht zu viel oder zu wenig zu sagen, potenzielle ­Explosionen abzufangen. Mit diesem Rumgestakse bin ich mir vorgekommen wie Bambi auf rohen Eiern». Es sei schwer, aus so einer Beziehung zu kommen, weil man komplett erschöpft sei. «Da ist ­keine Kraft mehr für sich selbst und keine Kraft zum Herauskämpfen», fasst ­Julia Kolda zusammen.

Unterschätzt.

43 Prozent der ­Frauen haben laut einer 2014 durchgeführten, EU-weiten Studie der Agentur der Euro­päischen Union für Grundrechte bereits psychische Gewalt in ihrer Partnerschaft erlebt. Psychische Gewalt ist ein breites Spektrum und umfasst unter anderem Abwertungen, Demütigungen, Stalking, Einschüchterungen, Runtermachen, Verhaltenskontrolle oder Mani­pulation. Sie beginnt oft schleichend, ist nach außen hin nicht sichtbar und für viele schwer greif- und benennbar, doch psychische Gewalt darf nicht unterschätzt werden – nicht zuletzt folgt ihr oft auch körperliche und/oder sexualisierte Gewalt.
Meist dauert es lange, bis die Betroffenen realisieren, dass sie in einer Gewaltbeziehung sind. «Psychische Gewalt ist genauso verletzend wie physische Gewalt», erklärt Katja Russo vom Verein Frauen* beraten Frauen*. «Eingeschüchtert sein, Angst haben, Nervosität, Schlafstörungen – das ständige Sich-selbst-infrage-Stellen und Überlegen, wie man Gewaltsituationen vermeiden kann, hat für die Frauen körperliche und soziale Folgen.» Doch die Psychotherapeutin erlebt insbesondere seitens der Polizei und Gerichte, dass psychische Gewalt bagatellisiert wird: «Die patriarchalen Strukturen sind sehr stark.» Auch vom Umfeld kämen oft relativierende Meinungen wie «Wenn ihr streitet, seid ihr beide schuld». Doch wenn eine Person vorwiegend austeilt und die andere vorwiegend einsteckt und verletzt wird, könne man das nicht mehr so sehen. «Bei einer Beziehung auf Augenhöhe, in der es keine Abhängigkeiten gibt, kann man auch mal härter streiten, und gemeinsam gestalten, wie man mit Konflikten umgeht. Aber sobald es in der Beziehung ein Macht-Ungleichgewicht gibt, sich eine Person mit ihren Werten, Vorstellungen und Machtmitteln ausbreitet, geht es in Richtung Gewalt», so Russo. Aus ihrer Beratungserfahrung kennt sie viele Schattierungen, in denen sich psychische Gewalt äußern kann: von Partner:innen, die gezielt vorgehen und beispielsweise Spyware am Handy der Partner:innen installieren, bis zu solchen, die eher impulsiv handeln. Oft würden die Betroffenen psychische ­Gewalt nicht als solche benennen und das Verhalten der Partner:innen rechtfertigen – sie haben eine schwere Kindheit gehabt oder stehen unter Druck. «Viele Frauen probieren in so einer Dynamik, alles ‹richtig› zu machen – richtig in der Definition des abwertenden Partners. Sie wollen die ­Situation verbessern, weil sie zum Beispiel dem Kind nicht den Vater wegnehmen wollen», so Russo. «Aber umso länger Frauen in so einer Beziehung sind, desto mehr kommen sie in eine psychische Abhängigkeitsspi­rale und die ­Gewalt wird chronisch weitergeführt.» Hürden wie ­ökonomische ­Abhängigkeit, Angst vor der Zukunft, ein ungesicherter Aufenthaltstitel oder gemeinsame Kinder machen es zusätzlich schwierig, sich zu trennen.

Narzissmus.

Julia Kolda hat nach einer erneuten, noch massiveren Eskalation begonnen, anderen davon zu erzählen. Eine Freundin hat die Situation klar eingeordnet: «Das ist nicht in Ordnung!» Und ein Begriff war für Kolda hilfreich: gewaltvoller Narzissmus. Während ein «gesunder» Narzissmus zum Beispiel bedeuten kann, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, wird er problematisch, wenn nur mehr das eigene Selbst erhöht wird, keine Empathie, also kein Einfühlen in die Bedürfnisse einer anderen Person mehr möglich ist und sie abgewertet und gedemütigt wird, auf Widerspruch oder Kritik aggressiv reagiert wird. «In den letzten Jahren ist dieser Begriff immer mehr aufgekommen. Er kann für die Betroffenen hilfreich sein und das Erkennen fördern», erklärt Russo. «Aber man muss sich eine Gewaltbeziehung individuell ansehen – jede Situation ist anders. Viel wichtiger als die Beschäftigung mit den Motiven des Täters ist die Benennung der Gewalt und die Bestärkung der Betroffenen auf ihrem Weg aus der Gewaltsituation.»
«Es war gut zu erfahren: Was mir passiert, ist echt. Ich bilde mir das nicht ein. Und ich bin damit nicht alleine – sehr viele Leute sind davon betroffen», sagt Kolda, die sich nach dreieinhalb Jahren Beziehung getrennt hat. «Wenn du es dann aus einer solchen Beziehung rausgeschafft hast, ist die nächste Baustelle, damit umgehen zu lernen, dass dir das passiert ist. Wenn dann Reaktionen kommen wie: ‹Aber ihr habt doch so glücklich miteinander ausgesehen› – nein, danke! Mein Ex hat meine Grenzen auf mehreren Ebenen überschritten.» Kolda hat ihren Ex-Partner auf allen Kanälen blockiert und keinen Kontakt mehr. Doch viele erleben psychische Gewalt auch noch nach der Trennung, indem zum Beispiel der Ex-Partner die ehemalige Partnerin stalkt oder die gemeinsamen Kinder manipuliert und instrumentalisiert.

Unterstützung.

Über die unterschiedlichen Formen von Gewalt in Beziehungen kann deshalb nicht oft genug aufgeklärt werden – erst recht hierzulande, wo im Schnitt öfter als alle zwei ­Wochen ein Mann seine (Ex-)­Partnerin tötet. Dass Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist, wo sie beginnt und welche Wege es aus der Gewalt gibt – indi­viduell und ­gesellschaftlich – hat der Verein ­Frauen* beraten Frauen* heuer in einem kompakten, kostenlos verfügbaren Handbuch veröffentlicht. «Sich ­Unterstützung ­holen ist wichtig», so Russo, ebenso «die eigenen Gefühle ernst nehmen – auch wenn man Zweifel und Ambivalenzen hat.» Betroffene können sich beispielsweise an Frauen* beraten Frauen* ­wenden – auch niederschwellig und kostenlos, schriftlich oder telefonisch, über anonyme Online-­Beratungen (siehe ­unten). Und auch das Umfeld kann unterstützend sein, sofern es nicht mit Unverständnis oder Schuldzuweisungen reagiert, wie Russo erklärt: «Besser wäre: sensibel hinhören und die Steuerung bei der betroffenen Person ­lassen, sie in ­ihrer Wahrnehmung stärken, nicht ­sofort Tipps geben, nicht relativieren oder ihr Handeln beurteilen. Das klingt nach ­wenig, ist aber nicht leicht und bringt irrsinnig viel.»

www.frauenberatenfrauen.at
Frauenhelpline 0800/222 555
24-Stunden Frauennotruf (01) 71 71 9

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