«Wir sind nicht dazu da, es bequem zu haben»Artistin

Kunst & Kind, Teil 3: Lore Heuermann

Was tun, wenn dem Künstler-Mann das Leben mit Kindern «zu bürgerlich» wird?  Wovon leben alleinerziehende Künstlerinnen? Kunsthandwerk, Lohnarbeit, Tauschhandel – «Ich habe allerlei gemacht, um zu Geld zu kommen», erzählt Lore Heuermann im Gespräch mit Saskya Rudigier. Die einstige Präsidentin der IG Bildende Kunst arbeitete als Grafikerin, Installateurin und Performerin, zog «nebenher» drei Kinder groß und plädiert für mehr Solidarität unter Frauen. Fotos: Carolina Frank

Wie haben Sie Ihre künstlerische Arbeit und die Verantwortung als Alleinerziehende ab den 1960er Jahren unter einen Hut gebracht?

Ich kam 1956 aus der deutschen Provinz nach Wien, ohne die Unterstützung meiner Eltern. An der Akademie war ich in derselben Klasse wie Otto Mühl. Ursprünglich wollte ich Schriftstellerin werden, habe mich aber durch meinen damaligen Mann, den Schriftsteller Oswald Wiener, einschüchtern lassen, weil er mir das Gefühl gab, dumm zu sein. Geheiratet hatte ich mit 22. Zwei Jahre später, 1961, wurde das erste Kind, 1962 das zweite und 1963 das dritte Kind geboren. Die Kinder waren nicht geplant, aber ich habe sie sofort angenommen.

Mit 27 habe ich mich scheiden lassen, weil der Kindsvater das bürgerliche Leben mit Kindern nicht ausgehalten hat. Das konnte ich verstehen. Meine Mutter hat nur gesagt: «Du hast dir diesen Mann ausgesucht, jetzt schau, wie du das machst.»

Damals hatte ich nach dem Gesetz auch noch nicht die Vormundschaft für meine Kinder. Ich durfte ohne schriftliche Erlaubnis meines Ex-Mannes u. a. nicht die Schulen aussuchen oder mit ihnen zu meinen Eltern nach Deutschland fahren. Die Eheleute wurden in Österreich erst Ende der 1970er Jahre gleichgestellt.

Von der Kunst kann ich nicht leben, habe ich mir gedacht. Um zu überleben habe ich Batik-Lampen und Tücher für die «Österreichischen Werkstätten» gemacht, alte Möbel verkauft und überhaupt allerlei gemacht, um zu Geld zu kommen. Auch Kurse für Werbung und Verkauf habe ich abgeschlossen, aber eine Anstellung hätte ich nur bekommen, wenn ich meine Kinder ins Heim gegeben hätte.

Künstlerisch zu arbeiten habe ich erst wieder begonnen, als meine drei Kinder aus dem Gröbsten raus waren und der Jüngste in die Schule kam, gegen Ende der 1960er Jahre. Meine Kinder sind nicht sehr behütet aufgewachsen, ich hatte nicht viele Regeln und sie große Freiheiten. Aber auf eines habe ich bestanden: dass sie um 19 Uhr ins Bett gehen und bis 21 Uhr lesen, damit ich ein bisschen arbeiten kann und Ruhe habe.

Damals habe ich hauptsächlich Wachs-Batiken gemacht und auch sehr große Arbeiten gestaltet. Das 1982 fertiggestellte Fastentuch für die Michaelerkirche (online zu sehen auf www.michaelerkirche.at) in Wien war meine größte Batikarbeit. Da das Geld immer knapp war, habe ich in dieser Zeit auch viel getauscht. Einmal konnte ich vier Räder von Steyr-Puch gegen Arbeiten von mir tauschen, damit wir im Sommer in die Lobau oder ins Stadionbad fahren konnten.

1972 hatte ich eine große Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst. Die Kinder haben sich geweigert hinzugehen. Ich kann es verstehen, sie haben schon stark an der wenigen Aufmerksamkeit gelitten. Später sind sie aber auch zu den Ausstellungen gekommen. Es war die Zeit, wo dir in den Galerien gesagt wurde, sie stellen keine Frauen aus, und einmal im Jahr eine Frau ausstellen, das reicht. Oder mir wurde empfohlen, doch lieber einen reichen Mann zu suchen.


Kommen Sie aus einer Künstler_innenfamilie?

Nein, aus einer sehr bürgerlichen. Eine Reihe meiner Vorfahren waren Pastoren. Meine Mutter war immer berufstätig als Lehrerin, mein Großvater Arzt. Mein Vater war nicht autoritär, im Gegenteil. Er hat geschaut, dass meine Mutter keine Arbeit mit ihm hat und ihr immer das Frühstück ans Bett gebracht.

Im bürgerlichen Programm sind der schöne Schein und das Äußere sehr wichtig – was gefühlt oder gedacht wird, ist im Allgemeinen nicht von Interesse. Ab meinem 10. Lebensjahr bekam ich eine Aussteuer mit meinem Monogramm. Mir war eindeutig klar, dass das nicht mein Lebensprogramm war. Mich haben die vielen Bücher zu Hause gerettet, die ich gelesen habe, und der Aufenthalt in der nicht kultivierten Natur. Neben der Literatur hat mich auch die Sammlung meines Großvaters sehr beeinflusst: Er hat asiatische Kunst gesammelt.


Was waren Ihre Erfahrungen mit Auslandsaufenthalten, während die Kinder klein waren?

Bei meiner großen Ausstellung in Münster hatte ich jemand in der Provinz zum Aufpassen. Drei oder viermal haben auch junge Studentinnen einige Tage bei mir gewohnt, wenn ich im Ausland aktiv war. Sonst konnte ich bei Auslandausstellungen nicht persönlich anwesend sein – bis zur Mittelschulzeit. Ab dann waren meine Kinder im Internat, in der BEA (Bundeserziehungsanstalt).

Sarah ging im 3. Bezirk zur Schule, damals eine reine Mädchenschule, und Una maturierte in Gmunden. Adam hatte viele Schulwechsel hinter sich, aber die Schule abgeschlossen. Er ist auch Künstler gewesen. Meine Kinder waren immer Querulant_innen und schon früh sehr selbstständig.


Haben Ihre Kinder Ihr Leben und Ihre Arbeit positiv beeinflusst?

Erfahrungen machen ist ein Sinn des Lebens. Ich will nicht sagen, dass das nicht auch sehr anstrengend war. Aber bestimmte Situationen haben nicht nur Nachteile, sie bringen dir auch Erkenntnisse, Wissen, Unabhängigkeit und Kraft.

Ich habe es nie bereut, Kinder zu haben. Mich hat es wach gemacht und für die Entwicklung meiner Persönlichkeit war es wichtig. Ich war ein sehr zurückhaltender Mensch und ein sehr verträumtes Kind und Mädchen. Die Verantwortung für die Kinder hat mich gezwungen, rauszugehen und zu kämpfen. Sie hat mich autonom und selbstständig gemacht.

Notsituationen können erfinderisch und kritisch machen, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Eigenverantwortung ist anstrengend, aber wir sind doch nicht dazu da, es bequem zu haben. So gesehen war ich schon ein Glückskind, auch wenn ich es im Moment nicht gesehen habe, keine Frage.


Welche Wünsche und Forderungen für die Vereinbarkeit von Kunst und Kind hätten Sie?

Früher, z. B. bei der Dokumenta, habe ich immer gezählt, wie viele Künstlerinnen eingeladen waren. Vieles hängt ja mit der künstlerischen Resonanz zusammen. Wenn du diese nicht bekommst, wirst du auch nicht eingeladen.

Bei einer Veranstaltung von jungen Filmemacherinnen im Parlament (FC Gloria: «Because it’s 2015 – Braucht die Filmbranche eine Geschlechterquote?») haben die Frauen sich bitter beklagt, nicht die gleichen Förderungen wir ihre Kollegen zu erhalten. Und da habe ich mir gedacht, dieselben Argumente wie vor 40 Jahren! Frauen sollten sich viel stärker solidarisieren und Netzwerke bilden. Das machen Männer oft besser, die empfehlen einander alle weiter, wurscht wie mies jemand ist.


Die Interviewserie «Kunst & Kind» wurde von der IG Bildende Kunst in Auftrag gegeben. Wir übernehmen sie in verlängerter Fassung und mit eigens erstellten Fotos. www.igbildendekunst.at/politik/kind