Augustin 267 - 01/2010

Information minus Emotion = 0

«Ich habe das Gefühl, dass der Augustin des Öfteren aus reinem Mitleid gekauft wird. Das Nicht-Wahrnehmen des intellektuellen und sozialen Werts dieser Straßenzeitung ist wirklich beschämend und arrogant», sagt eine Studentin. Das sei auch als Selbstkritik zu verstehen. Sie nimmt an einem Seminar über Bewusstseinsbildung und Alltagsverstand teil. Gerald Faschingeder hat als Lehrbeauftragter des Projektes Internationale Entwicklung der Uni Wien für eine Seminar-Einheit den Augustin eingeladen. Die Studierenden reflektieren die Seminarinhalte in so genannten Journalen. In einem dieser Journale lese ich: «Dadurch, dass das Projekt ohne staatliche Subventionen läuft, kann der Augustin auch freier und ohne Hemmungen die Gesellschaft und Politik reflektieren. Der Augustin ist vielleicht in zwei Richtungen bewusstseinsbildend. Einerseits erfahren die so genannten Unterdrückten, dass sie doch etwas wert sind, und sie haben ein Instrument in der Hand, womit sie sich gegen die täglichen Erniedrigungen wehren können; andererseits ist die Zeitung bei den LeserInnen bewusstseinsbildend. Beim Augustin ist eben toll, dass das Anprangern der Gesellschaft weitaus mehr Qualität besitzt als die üblichen Stammtischparolen. Es werden aber auch Emotionen sichtbar, sodass ein Mensch wirklich kalt sein muss, wenn die Augustin-Lektüre in ihm nichts bewegt.»Die Frage ist, ob das zusammengeht: journalistische Qualität und die Emotion des Schreibers, der Schreiberin. Manchmal führt die Emotionalität zu einem melodramatischen Stil, wofür wir uns nachträglich und vorbeugend entschuldigen. Wie könnte man aber kalt bleiben angesichts einer Haiti-Berichterstattung, in der die drastische Militarisierung des Landes durch US-Marines mit der Unfähigkeit der haitianischen Gesellschaft, sich selbst zu organisieren, legitimiert wird, während sämtliche große TV-Anstalten die «Plünderungs»-Bilder den Reportagen über die Selbsthilfe der Zivilgesellschaft vorziehen? Darum unser Haiti-Schwerpunkt auf den Seiten 6 bis 8. Wenn das Staunen als Gefühlsbewegung durchgeht, ist auch der Kommentar zum KV-Abschluss für die Beschäftigten der Gesundheits- und Sozialbrerufe (Seite 14) nicht emotionslos: als Staunen über die Zufriedenheit des ÖGB über plus 1,5 Prozent Lohn in einer Branche, in der die Löhne 20 Prozent hinter den Durchschnittslöhnen liegen. Weil warum? Pflegearbeit ist halt «nur Frauenarbeit». Die Emotion der Verzweiflung ist wohl angebracht, wenn der Chef der SPÖ Steiermark in Sachen allgemeines Bettelverbot (Seite 5) die Position St. Raches übernimmt.

Ist die Augustin-Journalistik ein Nullsummenspiel? In dem negative und positive Emotionen einander aufheben? In diesem Blatt mit Leidenschaft vorgetragen: die Phantasie der französischen Hausbesetzerszene (Seite 29); die irreversible Widerständigkeit der Kärntner Künstlerin Bella Ban (Seite 23); oder die lustvolle «Unterwanderung» des Facebook-Portals durch das Medienkunstlabor Moddr (Seite 26). Ergibt somit die Summe aller Texte den Wert null auf der Aufregungsskala? Hört sich nicht gut an. Besser, wir überlassen das Addieren den StatistikerInnen.

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