Augustin 349 - 08/2013
Was wurde eigentlich aus ... seriösem Journalismus?
Wenn eine Sache legalisiert wird, ist sie meistens a) weniger lebensgefährlich und erzeugt b) weniger Abhängigkeitsverhältnisse. Das gilt für die Abtreibung genauso wie für den Drogenkonsum, für Verhütung genauso wie für jedes Arbeitsverhältnis. Und eben auch für den Grenzübertritt. Warum sterben Menschen, wenn sie versuchen, von einem Nationalstaat in den anderen zu kommen?Weil es verboten ist. Warum können Schlepper_innen auch für ein höchst prekäres Angebot viel Geld verlangen? Erraten.
Aber darüber wollen wir nicht sprechen. Lieber halten wir uns mit der Frage auf, ob es ein Verbrechen ist, jemanden im Zug von Ungarn nach Österreich zu begleiten (für null Euro, für fünf, für ein Mittagessen oder eine Monatsmiete, egal). Und wenn wir zu dem Punkt kommen, ja, das ist ein Verbrechen, dann fragen wir uns, wieso dieser Verbrecher in unseren katholischen Gemäuern Schutz suchen durfte. Und wir jubeln, dass ihm jetzt ein völlig überzogenes Strafverfahren bevorsteht. Das mit der Abschiebung in ein – no na – lebensgefährliches Kriegsgebiet enden könnte. Und wir freuen uns darauf, am 29. September eine Antwort auf alle diese Probleme zu finden. Blau oder schwarz oder rot oder irgendeine der vielen Parteien, die keinen Widerspruch erkennen wollen zwischen «verschärfter Asylpolitik» und der Wahrung des Rechts auf ein unversehrtes Leben. Die aus politischen Gründen unfähig sind, Relationen zu bemessen zwischen der Mühsal, ein Land zu verlassen, das zum Leben nicht taugt, und ein «Verbrechen» zu begehen, das aus reinem Anachronismus überhaupt noch eines ist. Die kurzum, gesegnet seist du abgenudeltes Zitat!, besser Geschichte lernen sollten.
Anfang August tagte in München das «International Network of Street Papers» zum jährlichen Austausch über Sorgen, Erfolge und gute Strategien in der Arbeit mit Straßenzeitungen. Ein vielfach bemühter Parameter waren da, wie könnte es anders sein, die Auflagenzahlen. Wie die zu steigern wären und was sie aussagen.
In diesen Wochen sehen wir, wie sich auch die Kolleg_innen vom Mainstreamboulevard um Auflagensteigerung bemühen. «Schlepper in Kloster» werden in dicken Lettern entlarvt, eine «kriminelle Vereinigung» in die Welt gesetzt, deren «menschenverachtende Brutalität» ohne Nachlese in den Akten «preisgegeben», Dreck wird ausgeschüttet, motiviert durch einen Anruf aus dem Innenministerium oder durch die redaktionsinterne Angst, der Printjournalismus könne sonst untergehen? Dabei geht er, wenn überhaupt, nur an der Qualitätsfreiheit zugrunde.
An und für sich bevorzugen wir ja, was den «Falter» betrifft, das Trittbrettfahren bei Marlene Streeruwitz, die ihn vor zwei Jahren im «an.schläge»-Interview so treffend «Maturazeitung für kleine Buben» genannt hat. Aber höre und staune, diesmal haben wir nur Lob übrig für den Reporter Klenk und seine klare Position zu zweierlei politischen Kampagnen der letzten Wochen: die des Innenministeriums und die der österreichischen Schmierblätter (zu denen durchaus nicht nur die Gratiszeitungen gehören, wie Leser_innen der bürgerlichen Presse zu bestätigen wissen).
Es ist keine reine Polemik, und es ist auch kein Standesdünkel, keine Furcht vor dem Ende des Qualitätsjournalismus. Den haben bestimmte Medien nie auf ihrer Agenda gehabt. Aber es ist ein massives Demokratiedefizit, wenn die freie Presse sich unfrei macht, indem sie wie auch immer gearteten Profit daraus schlagen möchte, Menschen in ihrer Integrität zu verletzen. Und nochmal der «Falter»: Spricht Armin Thurnher nicht seit gefühlten Jahrzehnten davon, dass er die Mediaprint gern zerschlagen sähe? Der Augustin lässt in die Marc Aurel Straße telegraphieren, dass er von reinen Lippenbekenntnissen noch nie viel gehalten hat.
Ja, wir wären lieber erwerbsmäßige Schlepper_innen und würden Leute dabei unterstützen, Grenzen zu missachten, als erwerbsmäßig so unappetitlichen Journalismus zu betreiben wie all das, was die hiesige Yellow Press produziert. Thomas Bernhard ließ es seinen Professor Robert so formulieren: «Dem Denkenden kann in der Frühe nur übel werden.»
Ein erholsames und abschiebungsfreies Sommerende wünscht
Ihre Redaktion