Augustin 472 - 12/2018
Keine Gefahr
Was Christian Kern bei seiner letzten Parteitagsrede Ende November in Wels vom Stapel gelassen hat, war nicht so übel. «Einer der besten Momente unseres Landes» sei es gewesen, als im Sommer 2015 tausende Menschen an den österreichischen Bahnhöfen die ankommenden Geflüchteten begrüßt und unterstützt hätten.Und obwohl es, wie der Ex-SPÖ-Chef beklagte, neuerdings «in» geworden sei, über «Gutmenschen zu schimpfen», bekannte er: «Ich bin so ein verdammter ‹Gutmensch›.»
Diese Haltung hätte man sich auch in Kerns Zeit im Kanzleramt gewünscht. Erst einmal dort eingezogen, verlegte er sich nämlich konsequent auf das Gegenteil. Die noch unter Faymann akkordierte «Obergrenze» nahm er hin, den EU-Türkei-Deal paktierte er gleich mit, jenen mit Ägypten obendrein. Analog zu den Plänen der aktuellen Regierung schlugen Kern und Hans-Peter Doskozil schließlich im letzten Nationalratswahlkampf Auffanglager für Geflüchtete in Nordafrika vor. Das war übrigens jener Wahlkampf, in dem reichlich Ungemach über die SPÖ hereinbrechen sollte. Höhepunkt: Die Affäre rund um den von Alfred Gusenbauer vermittelten Politberater Tal Silberstein.
Dass das Spitzenpersonal der SPÖ mit den Reichen und Mächtigen weit mehr anzufangen weiß als mit Eisenbahner_innen und Heimhilfen, hat der Partei noch immer geschadet. Alfred Gusenbauer ist dafür bloß das jüngste Beispiel. Nicht zuletzt als Akteur im Umfeld von René Benko. Erst vor wenigen Wochen hat Benkos Signa-Holding einen 25-Prozent-Anteil an Krone und Kurier erworben. Grund genug für den AUGUSTIN, das Imperium, das Netzwerk und die Praktiken von Benko genauer unter die Lupe zu nehmen (Seite 6).
So divers Benkos Portfolio mittlerweile ist, seine ersten unternehmerischen Gehversuche hat der heute 41-Jährige in der Immobilienbranche gemacht. Gehversuche ganz anderer Art, wenn auch auf verwandtem Terrain, haben die allermeisten Menschen unternommen, die heutzutage in den vielfältigen Hausprojekten Berlins leben. An deren Beginn stand nämlich oft eine Hausbesetzung. Für seine Reportage hat sich Christian Kaserer anhand dreier Projekte alternative Wohn- und Lebensformen angesehen (Seite 16).
Mit dieser Ausgabe tragen wir indes wieder den angestammten AUGUSTIN-Titel am Cover. Unsere Glühmosthütte vor dem Top-
Kino freut sich allerdings auch weiterhin auf Besucher_innen. Noch bis zum 22. Dezember, täglich von 16 bis 22 Uhr. Gestaltet hat die Hütte übrigens der Sprayer labinsac. Eine logische Entscheidung, wie Ruth Weismann in ihrem Porträt des Niederösterreichers (Seite 26) schreibt: «Als Straßenzeitung für einen Straßenevent engagiert man einen Straßenkünstler.»
Zurück nach Wels: Unter ihrer neuen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner will die SPÖ nun weder nach rechts noch nach links, sondern «nach vorn» schauen. Aktuell tut das auch Christian Kern. Sein Fokus: die eigene berufliche Zukunft. Jüngst bestätigte der Ex-Kanzler, dass er sich mit einem Drittelanteil an der Blue Minds Gruppe beteilige. Blue Minds könnte, orakelt der trend, künftig «an Kraftwerksprivatisierungen in Israel und der Türkei teilnehmen». Alles beim Alten also in der SPÖ. Und: Entwarnung für Kurz und Strache. Zumindest von der Stärksten der (Oppositions-)Parteien geht für diese Regierung auch weiterhin keine Gefahr aus.