Augustin 483 - 06/2019
Auswege aus Schamgegenden
Unser Kolumnist und Sozialexperte Martin Schenk zitiert in seinem Beitrag «Scham als soziale Waffe» auf Seite 5 den Soziologen Georg Simmel, weil dieser zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einen entscheidenden Fortschritt im Reden und Denken über arme Leute erzielt habe. Für Simmel waren die Armen weder verachtenswerte noch bemitleidenswerte Menschen. Jetzt, nach rund einhundert Jahren, kann man noch immer nicht behaupten, dass sich der Simmel’sche Ansatz breitenwirksam durchgesetzt hätte. Im Gegenteil, die Stigmatisierung von Armut erhält einen neuen Schub von ganz oben und lässt sich auch mit einem Stichtag festmachen: Am 1. Juni tritt die «Sozialhilfe neu» in Kraft. Dabei schwingt mit, dass man sich der Armut wieder ruhig schämen soll.
Die Scham, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, hat eine alleinerziehende vierfache Mutter aus Niederösterreich zwar überwinden können, einfacher ist deswegen ihre Situation auch nicht geworden. Das größte Bundesland von Österreich durfte nämlich als «Pilotland» für die «Sozialhilfe neu» herhalten. Stefanie Stadlober und Alban Knecht sprachen mit der Niederösterreicherin (Seite 10) und erfuhren dabei, was nun im gesamten Bundesgebiet von Armut Betroffenen blüht.
Und was blüht uns, nachdem wir nun alle wissen, wie schambefreit sich bestbezahlte Österreichische Spitzenpolitiker verhalten? Was Ibizagate bedeutet, kommentiert Benjamin Opratko auf Seite 12.
Der Künstler Karl Iro Goldblat hat sich in jungen Jahren über seine Homosexualität geschämt, so sehr, dass er sich justament von Otto Muehl davon heilen lassen wollte! Goldblat begab sich in Muehls Kommune, also Fänge. Und was für eine Überraschung, er konnte am Friedrichshof nicht geheilt werden, vielmehr erlitt er ein Trauma. Trotzdem kann Goldblat heute eine «gute» Ehe mit einem Mann führen, wie er auf Seite 8 Ariane Ehlmaier-Heilingsetzer verraten hat.
Unter Ehepartner_innen kann es unter günstigen Voraussetzungen sogar zu Sex kommen, doch Sex ist, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, in erster Linie eine meist kostenlose Dienstleistung. Und diejenigen, die sich erlauben, für diese Leistung auch noch Geld zu verlangen, betrachten sich als Sexarbeiter_innen. Céline Béal traf eine Gruppe davon, genauer das Kollektiv Red Edition, anlässlich des bevorstehenden Internationalen Hurentags am 2. Juni. Dieses Kollektiv hat es satt, dass immer nur über Sexarbeiter_innen oder für sie gesprochen wurde, aber sie selbst beschämend wenig befragt wurden. Nun ergreifen sie als Expert_innen aus der Praxis das Wort, auf
Seite 6 – wo sonst!?