Augustin 571
Weniger ist mehr, wenn man sich’s leisten kann
Vor ein paar Jahren habe ich beim Mikrozensus mitgemacht. Über mehrere Quartale hinweg wurde ich zum Wohnen, Arbeiten, Einnehmen und Ausgeben befragt. Auf die Frage, ob ich gerne mehr als meine 25 Stunden erwerbsarbeiten wollte, antwortete ich wahrheitsgemäß: «Ich möchte nicht mehr arbeiten. Aber ich möchte gerne mehr verdienen.» Worauf der Kollege am Telefon seinerseits ebenso wahrheitsgemäß sagte: «Das ist leider keine mögliche Antwort.» Dass sein Formular das nicht hergab, habe ich ihm geglaubt. Dass es eine gute Idee ist, Leute zu ihrer Wunscharbeitszeit zu befragen, entkoppelt davon, ob sie sich weniger Erwerbsarbeit und damit mehr selbstbestimmte Zeit eigentlich leisten können, glaube ich nicht. Eine Blitzumfrage unter meinen Kolleg:innen ergibt, dass niemand mehr Stunden arbeiten möchte; mehr Geld, um mehr Leute anzustellen und unsere Gehälter dem Leben anzupassen, das ja. Aber weniger Zeit für Freund:innen, Kinder, Aktivismus und die gute alte Hängematte? Nein, danke! Teilzeit ist für uns keine Falle, sondern eine Möglichkeit, unser Leben zu gestalten. Dass man aber auch Vollzeit arbeiten und dabei arm sein kann, ist für viele Menschen beim Augustin gelebte Realität. In der Coverstory gehen wir der Frage nach, wie es möglich wäre, dass alle die Arbeitszeit reduzieren und trotzdem genug zum Leben haben.
Ihre Arbeitszeit selbsttätig reduziert hat derweil die legendärste Institution des Hauses: das Stimmgewitter. Nach 23 höchst produktiven Jahren fahren die Augustin-Gesangsarbeiter:innen die Maschinen runter und gehen in Pension – es sei ihnen mit einem weinenden Auge vergunnt! Eine Nachschau vom fulminanten Abschiedskonzert Mitte März finden Sie auf S. 20.