Augustin 572
Ruhen und Tachinieren
Die Redensart «Nur ned hudeln» sagt auf Wienerisch, was neudeutsch-esoterisch mit «In der Ruhe liegt die Kraft» gemeint ist. Also eile mit Weile, um nicht überhaps dumme Entscheidungen zu treffen, Geschirr und Werkzeug zu zerbrechen und über die eigenen Füße zu stolpern! Wie die (innere) Ruhe zu finden und zu bewahren sei, ist eine andere Frage. Überhaupt ist das mit der Ruhe und dem Ruhen eine ambivalente Sache. Einerseits gilt Ruhe als ein angestrebtes hohes Gut, andererseits geraten Ruhende allzu oft in den Verdacht des Tachinierens. Bestimmten Bevölkerungsgruppen wird grundsätzlich ein angebliches Nichtstun vorgeworfen. «Als Migrantin in Wien muss ich ständig beweisen, dass ich nicht faul bin», sagt die aus Belgrad stammende Künstlerin Zoe Gudović, und «Ruhe ist ein Privileg.» Rest is Resistance nennt sie ihre Performance, die sie in einer nachgebauten Toilettenanlage aufführt. WCs sind für viele Menschen oft die einzigen Räume, in denen sie Ruhe finden können. Mehr dazu in einem Interview, das Sónia Melo mit Zoe Gudović geführt hat (S. 18).
Gegen überkommene Ex-Jugoslawien-Klischees arbeitet Katharina Tyran mit Geschichte und Fakten, mit einer Kollegin hat sie den Band Südslawisches Wien herausgegeben. Uwe Mauch porträtiert die Sprachwissenschaftlerin mit burgenland-kroatischem Hintergrund als Lokalmatadorin auf Seite 16. «Bin ich ein Klischee, weil ich gerne tanze und so richtig slawisch wütend werden kann … haha», und viele andere Fragen stellt Grace Marta Latigo diesmal im «Speakers’ Corner» mit dem Titel «Gedankenhüpfer» (S. 13). Gedankenhüpfer – das könnte eigentlich auch ein Synonym für den Augustin sein. Wir laden Sie ein, von Artikel zu Artikel, von Gedanke zu Gedanke in dieser Zeitung zu hüpfen, aber mit Ruhe!