Zivilcourage, und hinschauenArtistin

Im Dokumentarfilm Widerstandsmomente sprechen Frauen, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse wehr(t)en – zur Zeit des Nationalsozialismus und heute. Regisseurin Jo Schmeiser über ihren Film und die Momente des Widerstehens.

INTERVIEW: JENNY LEGENSTEIN
FOTO: CAROLINA FRANK

Widerstandsmomente beginnt mit dem Einblenden eines Textes des jiddischen Liedes «Es brent» von Mordechai Gebirtig aus 1938. Warum steht gerade das am Anfang?
Jo Schmeiser: Das ist im Schnittprozess entstanden. Eine der Protagonistinnen, Rúbia Salgado, hat sich das Lied ausgesucht und sie nimmt darauf Bezug mit ihrem eigenen Gedicht, das sie am Ende des Films vorliest. Auch angesichts der Flüchtlingspolitik haben wir entschieden, dass wir mit dem Shtetllied beginnen und aufhören.

Was war der Ausgangspunkt oder Auslöser, Widerstandsmomente zu machen?
Ich arbeite schon länger an diesem Thema und es gab mehrere Auslöser. Meine Urgroßmutter Anna Čadia war als Kommunistin im KZ Ravensbrück, von ihr gibt es aber nur Tonaufnahmen. Zuerst habe ich einen sehr persönlichen Film zu schreiben begonnen und habe dann gemerkt, dass das nicht mein Ansatz ist, sondern dass ich einen nicht-biografischen Film machen möchte, der auch Dokumente von Frauen heute zeigt, und auch Aufnahmen und Gegenstände, die sonst in Archiven nur Eingeweihten zugänglich sind. Zum Beispiel Kassiber von Frauen aus dem Gefängnis, die von den Nazis ermordet wurden. Ich wollte nicht nur eine Form von Widerstand zeigen, sondern – wie schon der Titel sagt – diese kleinen Momente, dass jede:r von uns Widerstand leisten kann im Alltag, als Zivilcourage, und hinschauen sollte, wo etwas passiert, von dem man nicht möchte, dass es passiert.

Marie Paul, eine der Protagonistinnen des Films, eine junge Frau aus Berlin, spricht davon, dass es nicht so sehr um die Heldinnen geht, sondern darum, was die Frauen im Widerstand gegen das NS-Regime getan haben.
Dieses Statement hat uns wie eine Art Leitsatz auch im Schnittprozess begleitet. Bis hin zur Entscheidung, im Nachspann die Tätigkeiten zu benennen: also nicht «Regisseurin», sondern «Buch und Regie» und nicht «Bildgestalterin», sondern «Bildgestaltung» usw.

Wie sind Sie zu den Protagonistinnen, den Sprecherinnen in der Gegenwart und der Vergangenheit gekommen?
Judith Umathum und Ana Antić kenne ich von einem Antirassismusprojekt im borg3. Als ich mit dem Film angefangen habe, waren sie gerade aus der Schule raus und haben zu studieren angefangen. Marie Paul, die jüngste im Film, ist die Tochter einer Freundin. Die Jugend ist ein widerständiges Alter und mich hat interessiert, mit ihr zu arbeiten. Rúbia Salgado ist Mitgründerin und Mitarbeiterin der Migrantinnenorganisation maiz, mit der Simone Bader und ich als Klub Zwei schon viele Projekte zusammen gemacht haben. Auch LEFÖ (Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen) kenne ich schon sehr lange. María Cristina Boidi, die Mitgründerin kenne ich schon seit 30 Jahren. Sie war die erste Protagonistin, die ich gefragt habe. Das Netzwerk muslimische Zivilgesellschaft NMZ und Ines Mahmoud hat mir eine Freundin als Protagonistin für den Film vorgeschlagen.
Die Historikerin Renée Winter hat mit mir die Widerstandskämpferinnen gegen die Nazis recherchiert. Wir hatten sehr viele Materialien, die wir nur zum Teil in den Film reinnehmen konnten. Ich habe mich zum Beispiel für die «Gruppe Soldatenrat» entschieden, weil es Jugendliche waren, sehr viele von ihnen junge Frauen, weil die Männer wurden eingezogen und dann haben die Mädchen und Frauen übernommen. Da gibt es die Kassiber der Elfriede Hartmann aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Ela Hornung, die in der Historikerkommission zu Zwangsarbeiter:innen gearbeitet hat, habe ich gefragt, ob es da widerständige Frauen gab, und sie hat Helene Pawlik vorgeschlagen, eine ehemalige polnische Zwangsarbeiterin, die auch nach dem Krieg in Österreich geblieben ist. Ich habe vor Kurzem ihre Enkelin Romana kennengelernt. Sie wird in St. Pölten bei der Podiumsdiskussion nach dem Film dabei sein.

Im Regiestatement lese ich, dass die Arbeiten zum Film 2014 begonnen haben, das ist relativ lang her. Inzwischen hat sich politisch einiges getan. Inwiefern ist der Film noch aktuell oder besonders aktuell?
Ich habe jetzt wieder gedacht, dass er besonders aktuell ist. Wenn wir die Situation an den EU-Außengrenzen anschauen und den Umgang mit geflüchteten Menschen aus bestimmten Herkunftsländern, denke ich mir, es brennt nach wie vor. Man muss auch gegen die Normalisierung von Unrecht und Unmenschlichkeit etwas tun. Auch wenn wir das nicht wollen, gewöhnt man sich schnell daran. Und gegen diese Gewöhnung muss man Widerstand leisten. Ana Antić sagt das im Film.

Ist es ein Aufruf an die Menschen, die nicht einverstanden sind mit dem Umgang mit Migrant:innen, nicht aufzugeben?
Ja und nein. Michael Pekler hat bei der Viennale geschrieben, es ist «ein filmischer Appell». Ja natürlich ist es ein Appell. Es ist aber auch eine Stärkung. Eine Stärkung für Leute, die anders denken oder die vielleicht schon resignieren, und die zu ermutigen, ist eine Absicht.

Wie habt ihr die Drehorte ausgesucht?
Das sind z. B. Arbeitslandschaften von heute, in denen die historischen Stimmen vergegenwärtigt werden. Die habe ich so ausgesucht, dass sie ein Echo haben, hin zu diesen Stimmen aus der Vergangenheit, ohne dass es genau dort stattgefunden haben muss, was sie uns erzählen. Das sind Landschaften, in denen Widerstand möglich ist oder war, dieser Gedanke hat mich interessiert. Deswegen hörst du zum Beispiel die Zwangsarbeiterin ­Helene Pawlik erzählen, während du Weingärten siehst, in denen Arbeiter:innen heute arbeiten und sie erzählt von Arbeitsbedingungen in der Vergangenheit. Frau Pawlik erzählt, wir haben den Mais geerntet und dann ist das und das gewesen. Du siehst den Weingarten und hörst, was sie erzählt und hast diese Schere. Sie verbindet die Zeiten, aber sie bleiben auch getrennt. Ich wollte, dass beim Zuschauen so was wie ein überzeitlicher Reflexionsraum entsteht.

Widerstandsmomente hätte ja im Frühjahr 2020 ins Kino kommen sollen, dann kam aber der erste Lockdown und der Filmstart wurde immer wieder verschoben. Eine vielleicht triviale Frage, aber wie war es, so lange auf den Kinostart zu warten und damit umzugehen?
Das ist gar nicht so trivial, finde ich. Es war das erste Mal, dass ich ein Projekt gemacht habe, das dann plötzlich abgestoppt wurde, und ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist, etwas Neues anzufangen, wenn ein Projekt unabgeschlossen im Raum steht. Damit habe ich ziemlich gekämpft. Da hat mir dann auch das kollektive Moment des Films geholfen, weil ich mir gesagt habe, es geht allen so.

Hat sich die Aktualität der Themen im Film in den zwei Jahren verändert?
Eine Sache, die jetzt aktuell ist und damals nicht, sind die geflüchteten Menschen, die aus der Ukraine kommen. Ich finde es super, wie die hier aufgenommen werden. Gleichzeitig bin ich ambivalent, weil ich weiß, wie die afghanischen Frauen aufgenommen wurden und werden. Ich würde mir wünschen, mehr Bewusstsein erzeugen zu können. Nicht nur der Krieg in der Ukraine ist schrecklich, sondern auch der Krieg in Afghanistan, und lasst uns jetzt keine Unterschiede mehr machen zwischen Geflüchteten!

Widerstandsmomente
Ab 17. Mai im Kino

17. Mai, Filmcasino Wien, 20.15 Uhr, Gespräch mit Protagonistinnen und Aktivistinnen im Anschluss an den Film
20. Mai, Filmhaus Wien, 18 Uhr, Regiegespräch

Weitere Info, Materialien und Termine auf
www.widerstandsmomente.at

Bildbeschreibung: Ein Widerstandsmoment – Selbstverteidigungskurs des Netzwerk Muslimischer Zivilgesellschaft
Filmstill: Widerstandsmomente

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