Literatur
Lieber würde Gabrielle sich mit Rechtsstreitigkeiten über Windparks beschäftigen, aber auf ihrem Schreibtisch im Erdberger Verwaltungsgericht häufen sich Beschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen im Asylverfahren. In zwei Stapeln («im Prinzip ein Präjudikat») sortiert sie die Eingänge. Und dann erfahren wir auf fast 300 Seiten, was die Richterin über die Menschen denkt.
Mit unsympathischen Protagonist_innen ist es ein bissl kompliziert: Einerseits sind sie in der österreichischen Literatur so üblich, dass eine Story, die ohne sie auskommen will, unglaubwürdig ist. Andererseits weiß man bei Lesen nicht so recht, wieso man sich das antun muss: dieses mittelmäßig informierte Nachdenken über Afghanistan, die zwischen Mitleid und Arroganz schwankenden Gedanken über die Beschwerdeführer_innen, unter denen erstaunlich viele Vergewaltiger sind. Und dann – ups! – schlurft auf Seite 125 auch noch ein Zeitungsverkäufer heran und «belästigte sie, wie es üblich war», aber Gabrielle entscheidet gutbürgerlich: «Er bekam das Geld und sie das Obdachlosen-Blatt, das sie im Supermarkt üblicherweise wie versehentlich liegen ließ.» Es folgt Verfolgung durch afghanische Unzufriedene, und der Rest ist Ehegeschichte mit einem sehn- und putzsüchtigen Mann. Ein dichter, nicht fader Roman. Könnte eh alles so passiert sein. Leider.
Lydia Mischkulnig: Die Richterin
Haymon 2020, 289 Seiten
22,90 Euro