Eine Skulptur des Bildhauers Gottfried Bechtold wurde zerstört. Einst stand sie vor dem Austria Center Vienna, abgebaut wurde sie, ohne den Künstler zu fragen. Eine Geschichte über internationale Verbindungen, lebende Steine und Kunst im öffentlichen Raum.
TEXT UND FOTO: NATALIE DEEWAN
«Die Trümmer der Interkontinentalen Skulptur liegen hinter der Russenkirche.» Was wie ein Kommentar zum aktuellen Weltgeschehen klingt, ist die Beschreibung eines ganz konkreten Sachverhalts, aus dem Mund des Vorarlberger Bildhauers und Konzeptkünstlers Gottfried Bechtold. Es geht dabei um seine 1987 vor dem Austria Center Vienna (ACV) errichtete und ebendort 2010 im Zuge von Bauarbeiten (oder soll man es eher «Facelifting» nennen?) zerstörte Interkontinentale Skulptur, bestehend aus fünf riesigen Monolithen aus den fünf bewohnten Erdteilen. Diese meterhohen, tonnenschweren Urgesteine waren aus den USA, Brasilien, Australien, Marokko und der damaligen Sowjetunion mit immensem Aufwand nach Österreich, auf den Vorplatz des Kongresszentrums bei der UNO-City transportiert worden und standen dort in einem Fünfeck beieinander, eigentlich um miteinander zu kommunizieren. Die vorgesehene Verbindung der Monolithen mit grünen Laserstrahlen wurde allerdings «aus Kostengründen» nie realisiert, obwohl Bechtold eine kalifornische Laser-Firma als Sponsor für die Produktion der Laseranlage gewinnen konnte, die es mit viel Geduld auch schaffte, die technischen Bedenken der österreichischen Behörden auszuräumen. Die Verwirklichung des wesentlichen, kommunikativen Aspekts, also der «Konferenz» zwischen den Repräsentanten der Kontinente, scheiterte schließlich an der Übernahme der jährlichen Betriebskosten.
Gesetzeslücken im Urheberrecht.
Vermutlich war der Betreibergesellschaft des ACV, dem Internationalen Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien (IAKW-AG), auch der Anruf nach Vorarlberg zu teuer, als sie im Jänner 2010 daran ging, die offenbar störende Skulptur aus dem Weg zu räumen – und zwar ohne Bechtold über das Vorhaben in Kenntnis zu setzen oder um Rat zu fragen. Bechtold war aber zu diesem Zeitpunkt gerade in Wien – um nämlich den Würdigungspreis für Medienkunst entgegenzunehmen. Inmitten der Feierlichkeiten ereilte Bechtold der Anruf eines Bekannten: «Gottfried, die bohren Löcher in deine Steine!» Bechtold brach sofort aus der Innenstadt auf nach Transdanubien, wo er allerdings die Zerstörung seiner Urgesteine durch den Bautrupp, mit rund 60 Bohrlöchern, diversen Abplatzungen und Frakturen, nicht mehr verhindern konnte und sogar des Platzes verwiesen wurde.
Eine heftige Auseinandersetzung über den Status von Kunst im öffentlichen Raum war die Folge. Rechtsanwalt Axel Anderl, der den fassungslosen Künstler damals beriet, sieht darin eine «kulturpolitisch spannende Frage» und ortet eine Gesetzeslücke im Urheberrecht: im Gegensatz etwa zur Rechtslage in Deutschland stünde es dem:der Besitzer:in eines Kunstwerks in Österreich nämlich frei, dieses zu zerstören, ohne mit dem:der Künstler:in davor Kontakt aufnehmen zu müssen. Um hier eine Gesetzesänderung zu erwirken, müsste allerdings so ein Verfahren durch sämtliche Instanzen durchgefochten werden – eine Mühe, der Bechtold sich nach diesem Schlag verständlicherweise nicht mehr aussetzen wollte. Eine Eingabe an die Staatsanwaltschaft, die darauf abzielte, dass hier ein aus Steuermitteln finanziertes Kunstwerk der Öffentlichkeit durch Zerstörung entzogen worden sei, und es sich hiermit um ein Offizialdelikt handele, verlief unter Justizministerin Bandion-Ortner im Sande.
Der Friedhof.
Die zu 100 % in Bundesbesitz befindliche IAKW-AG, die seinerzeit den Kunstwettbewerb ausgeschrieben und die Errichtung der Skulptur in Auftrag gegeben hatte, sah damals die Skulptur nicht als zerstört an, sie würde lediglich «an einem anderen Ort zwischengelagert» werden. Dieser andere Ort liegt nicht weit entfernt, 450 m Luftlinie, sogar straßenseitig einsehbar, wenn auch nicht betretbar: Direkt neben der koptisch-orthodoxen Kirche in der Wagramer Straße 17a, gemeinhin «Russenkirche» genannt, da am Bau ab 1917 russische Kriegsgefangene beteiligt waren, befindet sich ein schmaler, eingezäunter Grünstreifen: der «Friedhof» der Interkontinentalen Skulptur.
Die monumentalen Steine, jeder 60 bis 100 Tonnen schwer, liegen wie hingewürfelt da, zerlegt in ihre Einzelteile, außen angebohrt, teils innen hohl, aus einem der Steine wächst ein kleiner Baum. «Die Steine leben», sagt Gottfried Bechtold, und zwar schon lange: Ihr Alter liegt zwischen 350 und 3.500 Millionen Jahren. Sie lagen geduldig in einer Steinwüste im mittleren Atlas in Marokko, in völlig überwuchertem Gelände nahe Rio – «ein herrlicher, grau-rötlicher Granit» –, oder in einem Flussbett nahe Mykolajiw in der heutigen Ukraine und warteten auf Gottfried Bechtold. Der hatte 1985 den Wettbewerb für die Gestaltung des Vorplatzes des Austria Centers mit dem Konzept der Interkontinentalen Skulptur gewonnen und sich verpflichtet, binnen zehn Monaten fünf Findlinge aus fünf Erdteilen aufzuspüren, auszuwählen und schließlich nach Wien zu befördern. Ein Wettrennen gegen die Zeit und oft auch gegen höhere Mächte und Gewalten, aka Bürokratie, begann. «Anfangs meinte ich gerade hier in diesem Ministerium … wortwörtlich auf Granit zu beißen,» schrieb Bechtold am 6. Mai 1986 in sein Reisetagebuch. Mit im Gepäck: Satellitenbilder des geologischen Instituts in Freiburg und ein Diplomatenpass, um die zahlreichen Recherchereisen durch alle Weltgegenden zu erleichtern.
Als sich am 26. April 1986 in Tschernobyl ein Super-GAU ereignete, streifte Bechtold gerade nicht durch monolithenmäßig vielversprechende ukrainische Flussbetten zwischen Odesa und Cherson, sondern stapfte noch in Begleitung lokaler Geolog:innen durch brasilianische Urwälder, steile Berghänge und dichtes Gestrüpp auf der Suche nach geeigneten wollsackverwitterten, also kantengerundeten Findlingen. Ein Monat später dasselbe Spiel in Australien: «12.00 Uhr. Ich bin in Sydney gut und frisch desinfiziert angekommen und bin mit dem Taxi ins Zentrum gefahren, wo ich im Koala Inn soeben eine super interkontinentale Rasur hingelegt habe. In meinen italienischen Schuhen auf australischem Boden stehend, schabe ich mit der amerikanischen Klinge meinen österreichischen Bart samt marokkanischem Rasierschaum ab. Mit einem brasilianischen Alaunstift stoppe ich das Blut aus den kleinen Schnitten und reibe mir dann das französische Rasierwasser aus Singapur ins Gesicht.» Frisch rasiert folgte dann eine Rede im australischen Unterhaus in Canberra, um für sein kontinenteübergreifendes Projekt um Unterstützung zu werben.
Steine und Steuern.
Ganz zum Schluss tritt dann auch Eurasien auf den Plan, in Gestalt des Granitblocks aus Mykolajiw: Das «endlich letzte Mosaiksteinchen», wie es damals im Mittagsjournal hieß, überquerte am 10. März 1987, begleitet von Funk und Fernsehen, den Grenzübergang Nickelsdorf. «Dieses Steinchen wiegt rund 70 Tonnen und hat einen mühsamen Behördenweg aus der Sowjetunion nach Wien hinter sich.» Teil dieser Verhandlungen war ein Treffen Bechtolds mit dem Außenminister der UdSSR, Eduard Schewardnadse, im Kreml gewesen, der als einziger der beteiligten Ländervertreter sämtliche Bergungs-, Steinbruch- und Logistikkosten komplett übernommen und den Stein der Republik Österreich zum Geschenk gemacht hatte.
Bechtold war es mit viel Verhandlungsgeschick gelungen, die Gesamtkosten «weit unter 10 Millionen Schilling» (ca. 1,5 Mio. Euro) zu halten, wofür ihm bei der Eröffnung im April 1987 sogar der damalige Finanzminister Lacina Respekt zollte. Dieser sparsame Umgang mit Steuermitteln scheint sich in späteren Jahren auf Auftraggeber:innenseite nicht wiederholt zu haben, wie in parlamentarischen Anfragen und Berichten über «Grassers Spesen-Center» Anfang der 2000er Jahre zu lesen war.
Die Fragen, ob es seitens der IAKW-AG in dieser Angelegenheit ein Problembewusstsein gebe, ob die nun fast 13 Jahre andauernde «Zwischenlagerung» immer noch als solche zu bezeichnen wäre bzw. was mit den Überresten der Skulptur weiter geschieht, blieben unbeantwortet. Ein Versuch des ehemaligen mumok-Direktors Edelbert Köb, die Steine für eine Open-Air-Installation Bechtolds zu erhalten, scheiterte vor einigen Jahren. Auch Gottfried Bechtold selbst bekam nach der Demontage seiner Skulptur von der IAKW-AG keinerlei Auskunft und wurde auch nie wieder kontaktiert.
Von IAKW zu AKW.
Seine Vorliebe für den öffentlichen Raum hat diese Misere jedenfalls nicht getrübt. Seit September 2022 steht eine große Skulptur vor dem AKW Zwentendorf, ein Ankauf der EVN. Derzeit rollt auch eine von Bechtold meterhoch signierte Taurus-Lok quer durch Europa. Im Neuen Kunstverein Wien in St. Marx ist noch bis 3. März die dazugehörige Ausstellung Signatur zu sehen.
Bildbeschreibung: Dieser zerteilte Findling stammt aus einem Flussbett in Mykolajiw/Ukraine und war ein Geschenk der damaligen Sowjetunion an Österreich.